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Deutschlandticket: Kommunen kritisieren „faktische Mittelkürzung“

Kommunen warnen, dass Haushaltstricks der Bundesregierung das Deutschlandticket gefährden könnten. Im Verkehrsausschuss des Bundestages appellierten zahlreiche Verbände, dessen Finanzierung endlich langfristig zu klären.

von Carl-Friedrich Höck · 9. Oktober 2024
Autos in einer Schlange, darüber ein Zug auf einer Brücke

ÖPNV statt Stau? Das Deutschlandticket gilt bei Expert*innen als Erfolg, doch seine Zukunft bleibt unklar.

Erneut beschäftigt das Deutschlandticket den Deutschen Bundestag. Im Verkehrsausschuss wurden am Mittwoch dazu diverse Verbände angehört. Anlass war der „Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes“. Was sich hinter dem sperrigen Titel verbirgt: Der Bund setzt damit seine Zusage an die Länder um, sich in diesem und im kommenden Jahr weiter an den Kosten des Tickets zu beteiligen.

Mit dem Gesetz wird endlich geregelt, dass nicht abgerufene Restmittel aus dem Jahr 2023 ins laufende Jahr übertragen werden können. Das gilt als wichtiger Baustein, der es überhaupt erst ermöglicht hat, das Ticket auch in diesem Jahr für einen Preis von 49 Euro anzubieten. Denn die von Bund und Ländern bereitgestellten drei Milliarden Euro für 2024 reichen dafür längst nicht mehr aus. Diese sogenannte Überjährigkeit soll auch für 2025 gelten.

Bund will Mittel vorerst einbehalten

Dies zumindest wird von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände begrüßt. Ansonsten sparen die Städte, Gemeinden und Landkreise in einer Stellungnahme nicht mit Kritik. Vor allem eine Maßnahme erzürnt die Kommunen: Der Bund will einen Teil der Regionalisierungsmittel für 2025 (mit denen er sich an der ÖPNV-Finanzierung beteiligt) zunächst einbehalten und erst 2026 auszahlen. Und das auch erst, nachdem ihm Verwendungsnachweise für das Geld vorgelegt wurden.

Aus Sicht der kommunalen Spitzenverbände stellt das „eine faktische Kürzung der Regionalisierungsmittel“ um 350 Millionen Euro dar. Der Hintergrund: Wenn der Bund die Mittel im kommenden Jahr noch nicht auszahlen muss, hilft das der Ampel-Regierung, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Man könnte auch sagen: Der Bund leiht sich das Geld bei den Ländern und Kommunen, indem er es ihnen erst ein Jahr später gibt.

Dieser Haushaltstrick ist jedoch nicht ohne Risiko, wie die Kommunalen Spitzenverbände in ihrer Stellungnahme betonen: Nachdem im Nahverkehr bereits die Energie- und Personalkosten gestiegen seien, werde das die Defizite weiter steigen lassen. Die Kommunen selbst könnten das Geld nicht vorstrecken, weil sie 2024 selbst ein Defizit von mehr als 13 Milliarden Euro erwarteten. Wenn die Länder nicht mit einer Zwischenfinanzierung in die Bresche springen, „drohen damit Angebotskürzungen und der Ausstieg aus dem Deutschlandticket“, warnen die Kommunen.

Ausstiegsgefahr

Rein rechtlich steht das Deutschlandticket ohnehin auf tönernen Füßen. Außer Thüringen hat bisher kein Land seine Kommunen verpflichtet, den bundeseinheitlichen Tarif anzuwenden. Die meisten Kommunen weisen ihre Verkehrsunternehmen bisher also freiwillig an, am Deutschlandticket teilzunehmen und es für einen bestimmten Preis anzubieten. Für die damit verbundenen Kosten müssen die Städte und Landkreise haften. Mittlerweile seien diese befristeten Vorgaben in vielen Kommunen ausgelaufen, berichtete Thomas Kiel d´Aragon vom Deutschen Städtetag im Verkehrsausschuss. Theoretisch könnten die Verkehrsunternehmen dort also sofort aus dem 49-Euro-Tarif aussteigen.

Sorgen bereitet den Kommunen auch, dass die Deutsche Bahn die Trassenpreise erhöhen will – eine Art Maut für das Schienennetz. Um ganze 23,5 Prozent sollen die Trassenpreise nach den Plänen der DB InfraGO ab Januar 2026 steigen. Auch das gilt als indirekte Folge von Haushaltstricks der Bundesregierung. „Die Trassenpreise machen heute bereits 40 Prozent der Regionalisierungsmittel aus, die über die DB an den Bund zurückfließen“, schreiben die kommunalen Spitzenverbände in ihrer Stellungnahme. Eine Anhebung „würde die Finanzierungssituation im ÖPNV unzuträglich verschärfen“.

Das Deutschlandticket wird im kommenden Jahr nicht mehr 49, sondern 58 Euro kosten. So hat es die Verkehrsminister*innenkonferenz beschlossen. Während der Verkehrsclub VCD die geplante Erhöhung im Verkehrsausschuss des Bundestages kritisierte, unterstützen die Kommunen den Beschluss.

Deutschlandticket gilt als Erfolg

Grundsätzlich wurde das Deutschlandticket in der Expertenanhörung als Erfolgsmodell gefeiert. Von einem „Gamechanger für die Mobilitätswende“ sprach Elias Kaas vom VCD. Als „Durchbruch für einfache und günstige Nutzung“ bezeichnete Matthias Pippert von der Eisenbahngewerkschaft EVG das Ticket. Es habe messbare Umstiegseffekte vom Auto auf den Nahverkehr erzielt. Marc-Philipp Waschke vom Autoclub ACE forderte, „die Erfolgsgeschichte des Deutschlandtickets muss unbedingt fortgeschrieben werden.“

Einhellig appellierte die Expertinnen und Experten an Bund und Länder, sich endlich auf ein langfristiges Finanzierungsmodell für das Ticket zu verständigen. Denn bisher ist seine Existenz nur bis Ende 2025 halbwegs gesichert.

Es sei „unerträglich, dass wir uns von Jahr zu Jahr hangeln“, schimpfte Oliver Wittke, Vorstandssprecher beim Verkehrsverband Rhein-Ruhr (VRR). Er berichtete, dass den Unternehmen Planungssicherheit fehle. Der VRR hat als Reaktion auf die Einführung des Deutschlandtickets seine Tarifstrukturen radikal vereinfacht und 75 Prozent seiner Tarife gestrichen. „Wir kriegen ein Riesenproblem, wenn das D-Ticket ab 2026 plötzlich nicht mehr existieren oder finanziert werden würde“, erklärte Wittke.

In Jobtickets liegt Potenzial

Der VRR habe die Zahl seiner Abonnent*innen um ein Drittel steigern können, vermeldete er einen weiteren Erfolg. Ein Problem sei aber die geringe Zahl der verkauften Jobtickets auf Deutschlandticket-Basis. Auch das hänge mit der fehlenden langfristigen Perspektive zusammen. „Wenn wir mehr Planungssicherheit hätten, könnten wir eine große Kampagne starten.“

Auch Bernhard Knierim vom Verein „Allianz pro Schiene“ warb dafür, stärker auf das Jobticket zu setzen, um mehr Menschen für ein ÖPNV-Abo zu gewinnen. Die öffentliche Hand könnte Vorreiter sein und das für ihre Beschäftigten standardmäßig anbieten, schlug er vor. „Damit wäre ein Teil der Finanzierung schon gesichert.“

 

Weiterführende Informationen:
bundestag.de

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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