Reform des Eisenbahn-Gesetzes soll Wohnungsbauprojekte retten
Die Regierung möchte Kommunen den Wohnungsbau auf Eisenbahn-Brachen erleichtern. Dafür muss das Allgemeine Eisenbahngesetz geändert werden. Ein konkreter Vorschlag wurde am Donnerstag im Bundestag beraten.
Leon Kuegeler/photothek.de
Das geänderte Allgemeine Eisenbahngesetz soll die Weichen stellen für zahlreiche Wohnungsbauprojekte in Deutschland. (Symbolfoto)
Seit Ende Dezember 2023 stehen Eisenbahn-Brachen in Deutschland unter einem Bestandsschutz. Damals hatte der Bundestag den Paragrafen 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) geändert. Der bestimmt seither im Wesentlichen, dass alte Bahnflächen frei bleiben müssen und nicht anderweitig bebaut werden dürfen. Als „sehr begrenzte Ausnahmefälle“ nennt das Gesetz Bedarfe für die Landesverteidigung oder den Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Die gutgemeinte Absicht der Ampel-Koalition war es damals, stillgelegte Eisenbahn-Trassen oder nicht mehr genutzte Abstellgleise oder Bahnbetriebsflächen vor einer voreiligen Bebauung zu schützen. Schließlich war es parteiübergreifendes Ziel, mehr Verkehr auf die Schienen zu verlagern. Das kann aber nur gelingen, wenn auch genügend Platz für neue Schienen zur Verfügung steht. Die Politik hat in den vergangenen Jahren die Reaktivierung alter Bahnstrecken vorangetrieben und den Kommunen dafür Fördermittel zur Verfügung gestellt. Vor allem im ländlichen Raum sollten frühere Nebenstrecken für den Fall der Fälle erhalten bleiben und nicht wegen einer Neubebauung verschwinden.
Stadt Stuttgart hofft auf Gesetzesänderung
Doch der Effekt der Neuregelung war stärker, als es der Gesetzgeber wohl damals beabsichtigt hat. Denn das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) hält sich seit 2024 strikt und ohne Abwägung von Argumenten an die gesetzliche Vorgabe. Dieser zufolge liegt der „Bahnbetriebszweck” von Bahngrundstücken „im überragenden öffentlichen Interesse”. Damit die Flächen freigestellt werden können, muss das Interesse des Antragstellers dieses überragende Interesse noch überwiegen. Die Folge ist, dass die Entwidmung ehemaliger Bahnflächen, etwa für Wohnungsbauprojekte, praktisch vollständig zum Erliegen gekommen ist.
Mit großem Schrecken hat dies auch der Gemeinderat der Stadt Stuttgart erfahren müssen. Die Stadt hatte das 85 Hektar große Gleisvorfeld am Hauptbahnhof gekauft. Es ist nach Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs überflüssig geworden und war zur Wohnbebauung vorgesehen. Dies hätte nicht nur den Mangel an Wohnraum in der baden-württembergischen Landeshauptstadt gemildert. Der Verkauf der Flächen an Investoren sollte zudem zur Finanzierung von Stuttgart 21 beitragen. Sämtliche Interventionen beim EBA blieben erfolglos.
Eisenbahn-Gesetz beschäftigt Bundestag
Doch jetzt ist damit zu rechnen, dass der Bundestag den Paragrafen 23 im AEG ändern wird. Ein konkreter Vorschlag von Union und SPD wurde am Donnerstag in erster Lesung im Bundestag beraten. Mit der Reform könnte das Eisenbahn-Bundesamt den Antrag der Stadt Stuttgart neu bewerten und der Umnutzung zustimmen.
Stuttgart ist das prominenteste Beispiel. Ungefähr weitere 100 Kommunen leiden ebenfalls unter dem Veränderungsbann, der insbesondere den Bau von Wohnungen verhindert. Die Verantwortlichen dürften die Lesung mit Erleichterung verfolgt haben. Anja Troff-Schaffarzyk betonte für die SPD-Fraktion, „die kommunale Ebene hat deutlich gemacht, dass der Gesetzgeber über das Ziel hinausgeschossen ist“. Der Wohnraum-Mangel gebiete es, den Wohnungsbau zu erleichtern. „Die kleine Änderung im Gesetz wird eine große Wirkung zeigen“, war sie überzeugt.
Passus entfällt: „überragendes öffentliches Interesse“
Die CDU/CSU- und SPD-Fraktionen schlagen darin eine pragmatischere Lösung vor. Künftig soll das „überragende öffentliche Interesse“ nicht mehr Voraussetzung für die Freistellung eines Bahnareals sein – sofern klar ist, dass kein Verkehrsbedarf mehr besteht und auch langfristig keine Bahnnutzung mehr absehbar ist.
In der Begründung zur Gesetzesänderung heißt es: „Durch die Änderung wird das überragende öffentliche Interesse fortgeführt, aber unmittelbar an das Verkehrsbedürfnis und den langfristigen Nutzungsbedarf eines Grundstückes für den Bahnbetriebszweck geknüpft. Soweit beides nicht vorliegt, entfällt das überragende öffentliche Interesse am Bahnbetriebszweck.“ Die Grundstücke könnten dann unkomplizierter für andere Zwecke freigegeben werden.
Zugleich soll mit einer Übergangsregelung sichergestellt werden, dass Anträge berücksichtigt werden können, die vor Inkrafttreten der verschärften Regelung Ende 2023 gestellt wurden – ein Schritt, der zahlreichen bereits angestoßenen Projekten eine neue Chance gibt. Gleichzeitig soll aber weiterhin sichergestellt sein, dass eine Freistellung im Fall einer möglichen Reaktivierung einer Bahnstrecke ausscheidet.
Mit der Überweisung in den Verkehrsausschuss ist der Weg für eine baldige Einigung geebnet. Die Koalitionsfraktionen wollen das Verfahren zügig vorantreiben. Sollte der Bundestag der Gesetzesänderung zustimmen, könnten bereits 2025 erste Projekte von der neuen Regelung profitieren.
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bundestag.de
ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu