Verkehrsminister will E-Scooter dem Radverkehr gleichstellen
Gehwege, die für den Radverkehr freigegeben sind, dürfen in Zukunft wohl auch mit E-Scootern befahren werden. Das Bundesverkehrsministerium will die Regeln für beide Verkehrsarten angleichen. Die Kommunen können aber Ausnahmen festlegen.
Thomas Trutschel/photothek.net
E-Scooter bald auch legal auf Gehwegen? Die Pläne des Bundesverkehrsministers werden kontrovers diskutiert.
E-Scooter sind nach der Definition Elektro-Kleinstfahrzeuge wie Elektro-Rollstühle oder Segways. Seit 2019 besteht diesbezüglich eine Verordnung mit jedoch wenigen Vorschriften, was mit den bis zu 20 Stundenkilometern schnellen Elektro-Tretrollern erlaubt ist und was nicht. Manche Nutzer*innen verstehen das schmale Regelwerk als eine Art Freibrief für zügellose Fahrten durch Innenstädte und Parken, wo immer es gefällt. Sie sind ein Mischwesen aus Fußgängern und Radfahrern. Nun will das Bundesverkehrsministerium nachbessern.
Das sei bereits vor fünf Jahren so geplant gewesen, heißt es von der Pressestelle. Die Reform sei somit keine Reaktion auf die Kritik an den Scootern, die in manchen Städten als Plage betrachtet werden. In Gelsenkirchen mussten die Anbieter auf Betreiben der Stadtverwaltung bis zum 24. April dieses Jahres sämtliche E-Scooter aus dem öffentlichen Verkehrsraum entfernen. Eine Verbannung dürfte künftig schwieriger werden. Denn der Referenten-Entwurf aus dem Ministerium von Volker Wissing (FDP) sieht vor, die „verhaltensrechtlichen Regelungen” zu E-Scootern denen zum Radverkehr anzugleichen, „wo dies möglich ist”. Und Fahrräder sind nicht mehr aus dem Straßenbild zu bekommen.
Rechtliche Anpassung
Vorgesehen sind Anpassungen an der Elektro-Kleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV), der Bußgeldkatalog-Verordnung und der Straßen-Verkehrsordnung (StVO). Die bisher teils in der eKF-Verordnung und teils in der StVO enthaltenen Regelungen zu Elektro-Kleinstfahrzeugen sollen vollständig in die Straßen-Verkehrsordnung überführt werden. Das diene der Regelungsvereinfachung, heißt es aus dem Verkehrsministerium.
Indem die Regeln für E-Scooter und Fahrräder einander angeglichen werden, sollen diese für die Bürger*innen leichter verständlich werden. Und weil damit weniger Verkehrszeichen nötig sein werden, sinkt nach Auffassung des Verkehrsministeriums auch der Aufwand für die Kommunen. Denn wo ein Weg bereits für den Radverkehr freigegeben ist, müssen die Behörden künftig nicht mehr ein zusätzliches Zeichen anbringen, um diese Freigabe auf E-Scooter auszuweiten.
Im Referentenentwurf heißt es dazu: „Nur in den – voraussichtlich wenigen – Fällen, in denen für eine bestimmte Verkehrsfläche unterschiedliche Regelungen für Radverkehr und Elektrokleinstfahrzeuge getroffen werden sollen, müssen künftig gesonderte Verkehrszeichen für Elektrokleinstfahrzeuge angeordnet werden.”
Kommunen erhalten ein Jahr Zeit
Mitte Juli erhielten die Länderregierungen und die Verbände den Referenten-Entwurf. Die Frist zur Stellungnahme läuft bis zum 8. August. Die Verordnung soll im April 2025 in Kraft treten. Verhaltensrechtliche Regelungen ist eine Übergangsfrist von einem Jahr vorgesehen. In dieser Zeit können die Kommunen laut Ministerium prüfen, welche Gehwege und Fußgängerzonen sie für E-Scooter weiterhin zu einer Tabuzone erklären wollen, auch wenn dort Radverkehr erlaubt ist.
Das ist außerdem neu: E-Scooter benötigen einen Blinker. Fahrer*innen dürfen bei Rot abbiegen, wenn ein Grünpfeil an der Ampel dies zulässt. Außerdem steht im Entwurf der Vorschlag, dass Elektro-Kleinstfahrzeuge Gehwege oder Fußgängerzonen mit dem Zeichen „Radverkehr frei“ im Schritt-Tempo nutzen dürfen. Sie sollen „in besonderem Maße auf den Fußverkehr Rücksicht nehmen“, mahnt der Entwurf.
Die Bundesländer müssen wiederum regeln, ob und wo E-Tretroller, die ortsunabhängig zur Vermietung angeboten werden, im öffentlichen Raum abgestellt werden dürfen. Die zuständigen Behörden der Bundesländer seien berechtigt, Vermietern das Anbieten von Sharing-Elektro-Kleinstfahrzeugen nur unter bestimmten Maßgaben zu erlauben. Dies könne zum Beispiel ausgewiesene Abstellflächen sein. „Die jeweilige Situation kann von den zuständigen Stellen vor Ort am besten bewertet werden“, sagt eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums.
Lob und Kritik für den Entwurf
TIER Mobility ist bundesweit der größte Anbieter. Eine Sprecherin teilt mit: Das Bundesministerium habe „sehr klar artikuliert, welchen positiven Mehrwert E-Scooter – privat genutzt wie auch im Sharing – mittlerweile leisten. Diese Wertschätzung sehen wir auch in der Novelle gespiegelt.“ Zahlreiche vom Unternehmen kritisierten Verkehrsregeln würden dem Radverkehr angeglichen. Dadurch entfielen „Ausnahmen und nicht nachvollziehbare Besonderheiten“. Insgesamt zeigt sich TIER nach eigenen Angaben „mit den vorliegenden Änderungen sehr zufrieden“.
Der Fachverband Fußverkehr Deutschland (Fuss e.V.) sieht den Referenten-Entwurf hingegen als „grobe Attacke auf die Menschen zu Fuß“. Den bisher vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,5 Metern zu Fußgängern beim Überholen wolle Wissing abschaffen, so der Vorwurf. „Mehr Drängeln wird erlaubt.“ Ein weiterer Kritikpunkt von Fuss: Bußgelder sollen zwar geringfügig erhöht werden. Doch illegales Gehwegfahren mit E-Scootern solle weiterhin „nur 25 Euro“ kosten – und selbst gefährliches, schnelles Slalomfahren in dichtem Gewühl „nur 35 Euro“. „Es sollten aber die gleichen Geldbußen wie für Autos gelten“, fordert der Verband. Diese starteten bei 55 Euro. Weiter heißt es in der Fuss-Stellungnahme: „Sollte das nicht wirken, verweisen wir auf Frankreich, das mit Bußen bis 135 Euro für Gehwegfahren und -parken gute Erfahrungen macht.“
Unfallstatistik
Im Jahr 2023 verunglückten insgesamt 141.649 Kraftrad-, E-Scooter- und Fahrradnutzende, davon 1.017 tödlich. Damit waren 38 Prozent aller Verunglückten und 36 Prozent aller Verkehrstoten im Straßenverkehr Benutzende von Krafträdern, Fahrrädern oder E-Scootern.
Insgesamt kamen im vergangenen Jahr im Straßenverkehr 497 Menschen, die auf einem Kraftrad mit amtlichem Kennzeichen unterwegs waren, ums Leben. 446 waren mit einem Fahrrad unterwegs, darunter 190 auf einem Pedelec, 53 mit einem Kraftrad mit Versicherungskennzeichen und 21 nutzten ein Elektro-Kleinstfahrzeug wie einen E-Scooter.
Quelle: Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV)
ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu