Buchrezension

Bibliotheken unter Druck

Carl-Friedrich Höck29. Juni 2022
Cover Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität
Wohin entwickeln sich die öffentlichen Bibliotheken „zwischen Digitalisierung und Austerität”? Das hat Katja Thiele in ihrer Dissertation untersucht und Beispiele aus Bonn, Leicester und Malmö unter die Lupe genommen. Sie schreibt: Ausgerechnet in sozial benachteiligten Stadtquartieren werde das Angebot schlechter.

Sind öffentliche Bibliotheken überhaupt noch zeitgemäß? Diese Frage drängt sich auf, seit die Digitalisierung die Lesegewohnheiten verändert und gedruckte Bücher auf dem Rückzug sind. Die Einrichtungen müssen sich neu erfinden, um eine Zukunft zu haben. Gleichzeitig stehen sie unter hohem Kostendruck. Weil sie zu den „freiwilligen Leistungen“ der Kommunen gehören, fallen immer wieder Büchereien dem Rotstift zum Opfer, sobald eine Gemeinde in Sparzwänge gerät.

Das Forschungsfeld, das Katja Thiele für ihre Dissertation an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gewählt hat, ist also durchaus spannend. „Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität“ heißt die Arbeit. Sie fragt aus humangeographischer Perspektive nach ihrer Bedeutung auf der lokalen Ebene, wie die Autorin zu Beginn erklärt. Thiele hat die Entwicklungen in drei europäischen Städten untersucht: In Bonn, Leicester und Malmö. Es wurden Dokumente analysiert, Expertinnen und Experten interviewt, Daten ausgewertet und teilnehmende Beobachtungen durchgeführt.

Begrenzte Handlungsspielräume

Die Ergebnisse dürften die Kulturpolitiker*innen in den Kommunen kaum überraschen. In allen drei Städten hat Thiele Veränderungen beobachtet, „die sowohl die Angebotsseite als auch die Seite der Nutzung betreffen“, wie sie zusammenfassend schreibt. Zwei Erkenntnisse hat sie für den kommunalen Umgang mit Digitalisierung und Austerität herausgearbeitet: „Das Abhängigkeitsverhältnis der lokalen zu den höheren Ebenen reduziert die kommunalen Handlungsspielräume und die Trennung der Ressorts Bildung und Kultur erschwert die lokale Bibliothekspolitik.“ Gleichwohl attestiert sie der Kommunalpolitik eine gewisse Beinfreiheit. Die Strategien der drei untersuchten Städte seien zum Teil sehr unterschiedlich.

Für alle gelte aber: Öffentliche Bibliotheken könnten als „Möglichkeitsräume einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung“ genutzt werden, um Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Doch ausgerechnet in den sozial benachteiligten Stadtquartieren passiere eher das Gegenteil: Hier verschlechtere sich die Situation. Und, so die Autorin: „Im Zuge der Corona-Krise droht die öffentliche Bibliothek als dritter Ort gefährdet zu werden.“

Katja Thiele
Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität.
Kommunale Strategien und ihre Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit
Transcript-Verlag 2022, 388 Seiten, 50,00 Euro, ISBN: 978-3-8376-6174-3

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