Reform des Sozialstaats

Blockade der CDU: Wo es beim Bürgergeld hakt

Kai Doering07. November 2022
Jobcenter im Kreis Unna (Archivbild): Das Bürgergeld soll „Hartz IV” ablösen und wäre ein Paradigmenwechsel.
Am 1. Januar soll das Bürgergeld Hartz IV ersetzen. Auf den letzten Metern will die Union das Gesetz über den Bundesrat stoppen. Die SPD appelliert an die Länder, sich nicht auf „die parteitaktischen Spielchen von Herrn Merz“ einzulassen.

Am Donnerstag soll es soweit sein. Dann will der Bundestag das Gesetz für die Einführung des Bürgergelds beschließen. Zum 1. Januar soll es in Kraft treten. Hartz IV wird damit Geschichte sein. Doch auf der Zielgeraden formiert sich der Widerstand. Da die Länder einen beträchtlichen Teil der Kosten, etwa für die Unterkunft, bezahlen, muss auch der Bundesrat dem Gesetz zustimmen. Und daran hakt es.

Ampel reagiert mit neuen Vorschlägen auf Kritik

In einer Stellungnahme kritisiert die Länderkammer den Gesetzentwurf als unzureichend. Konkret üben die Länder Kritik an der Ausweitung der Zuverdienstmöglichkeiten sowie der Freistellung der Altersvorsorge bei der Vermögensanrechnung. Auch die sechsmonatige „Vertrauenszeit“, in der Bürgergeld-Empfänger*innen nur im Ausnahmefall Leistungen gekürzt werden können, sehen die Länder kritisch, ebenso wie die Höhe des Schonvermögens von 60.000 Euro, also des Geldes, das in den ersten zwei Jahren nicht angetastet werden muss, wenn jemand das Bürgergeld bezieht.

Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP haben deshalb reagiert und Änderungsvorschläge für das geplante Bürgergeld-Gesetz gemacht. Diese betreffen vor allem die zweijährige Karenzzeit, in der Empfänger*innen des Bürgergelds z.B. nicht der Verlust der Wohnung droht. Sieht der Gesetzentwurf in dieser Zeit keine Grenze für die Übernahme der Heizkosten vor, schlagen die Ampel-Fraktionen nun vor, dass die Kosten nur noch „in angemessener Höhe“ übernommen werden sollen. In eine teurere Wohnung darf nur umziehen, wer die Zustimmung des Jobcenters hat.

Wer Schonvermögen geltend macht, muss dafür einen höheren Aufwand betreiben und die Art seiner Ersparnisse genau auflisten, damit das Jobcenter die Angaben überprüfen kann. Nach dem bisherigen Gesetzentwurf reichte eine persönliche Versicherung, nicht über mehr Vermögen zu verfügen, aus. Die Vertrauenszeit soll nun auch erst nach dem Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen Jobcenter und Bürgergeld-Empfänger*in beginnen.

Heil kritisiert Merz scharf

„Wir nehmen die Hinweise aus den Bundesländern sehr ernst und haben sie in unseren Änderungen bedacht“, sagt der Sprecher für Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion Martin Rosemann. Er ist überzeugt: „Was jetzt vorliegt, ist ein kompromissfähiger Vorschlag.“

CDU-Chef Friedrich Merz dagegen kritisiert sowohl Karenzzeit als auch Schonvermögen als zu großzügig. Das setze „die falschen Anreize für den Arbeitsmarkt“ und werde durch die vorgeschlagenen Änderungen „nicht korrigiert“, sagte Merz am Sonntag in den „Tagesthemen“ in der ARD. Stattdessen bot er an, die geltenden Hartz-IV-Sätze auf die Höhe anzuheben, die das geplante Bürgergeld vorsieht. Zuvor hatten Merz und andere Vertreter*innen aus CDU und CSU kritisiert, das Bürgergeld nehme Anreize, zu arbeiten, weil Arbeitnehmer*innen mit geringen Einkommen nicht mehr Geld zur Verfügung hätten als Bürgergeld-Empfänger*innen – eine Behauptung, die mittlerweile von verschiedenen Stellen widerlegt wurde.

Beim SPD-Debattenkonvent warf Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Merz deshalb vor, er wolle Geringverdiener*innen gegen Bedürftige ausspielen. „Es geht darum, dass wir mit dem Bürgergeld dafür sorgen, dass Menschen, die in existenzielle Not geraten, verlässlich abgesichert werden“, betonte Heil und zeigte sich zuversichtlich, dass der Bundestag das Bürgergeld am Donnerstag beschließen werde.

„Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren.“

Wie es dann im Bundesrat weitergeht, ist bisher offen. Hier steht am 25. November die nächste Sitzung an. „Unsere Erwartung ist, dass die Bundesländer ihrer staatspolitischen Verantwortung nachkommen und sich nicht auf die parteitaktischen Spielchen von Herrn Merz einlassen“, sagt SPD-Sozialpolitiker Rosemann. Gelingt das nicht, müsste der Vermittlungsausschuss aus Vertreter*innen von Bundestag und Bundesrat eine Lösung finden.

An eine Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar wäre dann wohl nicht mehr zu denken. In dem Fall würde nicht nur die bisherigen Regelsätze nicht erhöht, auch bestehende Regelungen der Corona-Zeit über Schonvermögen würden auslaufen. Martin Rosemann appelliert deshalb an die Bundesländer: „Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, damit die Regelungen des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.“

Dieser Artikel wurde zuerst auf vorwaerts.de veröffentlicht.

Was die Kommunen zum Bürgergeld sagen

Der Gesetzentwurf für das neue Bürgergeld war am Montag Thema einer Anhörung im Bundestag. Die kommunalen Spitzenverbände haben das zum Anlass genommen, Stellung zu den Regierungsplänen zu nehmen.

Der Deutsche Städtetag unterstützt die Einführung des Bürgergeldes ausdrücklich. Begrüßt werden insbesondere die vorgesehenen Verbesserungen im Bereich der Integration, Qualifizierung und Weiterbildung. „Die Einführung entsprechender finanzieller Anreize wie das Weiterbildungsgeld oder den Bürgerbonus ist folgerichtig“, schreibt der Verband.

Nachbesserungen fordert der Städtetag in drei Bereichen: Die Karenzzeit für vorhandene Vermögen solle von zwei Jahren auf höchstens ein Jahr verkürzt werden. Die Jobcenter müssten ab 2023 personell und finanziell besser ausgestattet werden, „um aus dem Bürgergeld einen Erfolg zu machen“. Und der Verwaltungsaufwand für neue Regelungen müsse verringert werden. Vor allem die geplanten Kooperationspläne, die Vertrauenszeit und die Schlichtungsverfahren könnten mit mehr Bürokratie verbunden sein, befürchten die Städte.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund argumentiert ähnlich, hat aber auch grundsätzliche Bedenken. Das Lohnabstandsgebot müsse gewahrt werden, damit Menschen, die trotz Arbeit nur niedrige Einkommen beziehen, mehr Geld in der Tasche haben als diejenigen, die Bürgergeld bekommen. Auch solle das Bürgergeld erst 2023 in Kraft treten, weil die Jobcenter derzeit stark belastet seien, nicht zuletzt wegen der Betreuung von mehr als 500.000 Geflüchteten aus der Ukraine.

Der entschiedenste Widerspruch kommt vom Deutschen Landkreistag. Die Handlungsmöglichkeiten der Jobcenter bei der Sanktionierung dürften „nicht über Gebühr eingeschränkt werden“, schreibt der Verband in einer Stellungnahme. Darin wird das geplante Bürgergeld in die Nähe eines bedingungslosten Grundeinkommens gestellt. Die Reduzierung von „Anreizen“ zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt lehnt der Landkreistag ab. CFH

weiterführender Artikel