VKU-Handbuch

Daseinsvorsorge in allen Facetten

Carl-Friedrich Höck23. Dezember 2022
Cover Handbuch Daseinsvorsorge
Wir alle werden mit Gas, Wasser und Strom versorgt, können Schulen und Krankenhäuser nutzen und unser Müll wird abgeholt. Dafür garantiert der Staat. Was Daseinsvorsorge ist und wie sie funktioniert, erklärt ein Handbuch des VKU.

Mehr als zwei Millionen Ergebnisse erhält, wer in der Suchmaschine Google den Begriff „Daseinsvorsorge“ eingibt. Das Wort ist im öffentlichen Diskurs allgegenwärtig. Dass der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) dem Begriff nun ein ganzes Handbuch widmet, erscheint insofern als logischer Schritt. Wer dort eine allgemeingültige Definition sucht, wird allerdings enttäuscht sein. „Daseinsvorsorge ist und bleibt ein unscharfer Begriff“: Dies räumen Herausgeberin Claudia Neu und VKU-Verlagsgeschäftsführer Carsten Wagner gleich im Vorwort ein.

Kompakter Überblick

Doch gerade deshalb ist das Buch lesenswert. Denn es zeigt auf, wie facettenreich der Begriff ist. Auf mehr als 350 eng beschriebenen Seiten wird Daseinsvorsorge von allen Seiten beleuchtet. Dafür haben zahlreiche Autor*innen aus Wissenschaft und Praxis ihre Expertise beigesteuert. Sie stellen die verschiedenen Bereiche jeweils auf wenigen Seiten kompakt vor, darunter klassische Sparten wie Abfallwirtschaft, Energiemarkt, Gesundheitsversorgung oder Wohnungswesen. Je nach Definition werden auch Sparkassenwesen, Theater, Bibliotheken und Sportanlagen zur Daseinsvorsorge gerechnet. Das Handbuch geht außerdem auf neuere Entwicklungen ein wie die Digitalisierung und den Ausbau der Breitbandversorgung. Kommunikation gehört nämlich ebenfalls zur Daseinsvorsorge. Früher war die Post im staatlichen Besitz, heute ist es Aufgabe der öffentlichen Hand, einen Zugang zum Internet zu ermöglichen.

Im 21. Jahrhundert kümmert sich der Staat jedoch nicht mehr um alles alleine. Akteure der Daseinsvorsorge sind neben Kommunen und Verwaltung auch (teils private) Unternehmen und die Zivilgesellschaft. Freiwillige Feuerwehren zum Beispiel wäre ohne ehrenamtliches Engagement nicht denkbar.

Begriff im ständigen Wandel

Erhellend ist ein Kapitel zur Begriffsgeschichte und zum rechtlichen Rahmen der Daseinsvorsorge. Das Verständnis hiervon hat sich mehrfach gewandelt, zeigt der Verwaltungswissenschaftler Jens Kersten auf. Erste Konzepte seien mit der Industrialisierung im entstanden. An der Wende von 19. zum 20. Jahrhundert propagierten vor allem Sozialdemokrat*innen, dass der Staat für alle Bürger*innen einen gesicherten Zugang zu wesentlicher Infrastruktur schaffen sollte: etwa zu Gas, Strom, Wasser, Krankenhäusern, Schulen und Straßenbahnen. (Munizipalsozialismus)

Auf dieser Grundlage prägte der Verwaltungsrechtler Otto Mayer den Grundsatz, dass der Staat lebenswichtige Infrastrukturen garantieren müsse – er müsse sie aber nicht zwingend selbst erbringen. Gleichwohl wurde das Wort Daseinsvorsorge in der frühen Bundesrepublik geradezu inflationär genutzt, um alle möglichen Tätigkeiten zur Staatsaufgabe zu erklären. Auch deshalb galt der Begriff bald als sinnentleert und geriet in Verruf.

Doch dann kamen die 1980er Jahre und eine Privatisierungswelle. Plötzlich war Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff wieder wichtig, „um die Regulierung privatisierter öffentlicher Güter und Infrastrukturen als eine öffentliche Aufgabe zu kennzeichnen“, wie Kersten schreibt. Mittlerweile geht der Trend wieder zu mehr Rekommunalisierung. Und über Daseinsvorsorge wird neu nachgedacht: Ökologie, Nachhaltigkeit und Digitalisierung werden in Zukunft wohl eine stärkere Rolle spielen.

Daseinsvorsorge ermöglicht Teilhabe

„Dass dieses Handbuch den Titel ‚Daseinsvorsorge‘ trägt, soll insbesondere auf die enge Verknüpfung von öffentlichen Ver- und Vorsorgeleistungen, gesellschaftlichem Wohlstand und Teilhabemöglichkeiten verweisen“, erklären Claudia Neu und Carsten Wagner im Vorwort. Was mit Teilhabe gemeint ist, wird in mehreren Kapiteln des Buches deutlich: Wenn wir heute über demokratische Mitbestimmung in Kommunen, die Chancen des Ländlichen Raums, gleichwertige Lebensverhältnisse oder die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sprechen, geht es oft auch um die Qualität der Daseinsvorsorge.

Dass der Verlag des Verbandes kommunaler Unternehmen ein solches Buch veröffentlicht, ist natürlich auch eine Eigenwerbung für die Arbeit der Stadtwerke. Wer jedoch eine profane PR-Broschüre erwartet hat, liegt falsch. Die Beiträge sind fachlich und fundiert, die Autor*innen kompetent und die Entwicklung der kommunalen Infrastruktur wird gelegentlich auch kritisch reflektiert. Herausgeberin Claudia Neu ist keine VKU-Mitarbeiterin, sondern Professorin für Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel. Wer sich für Daseinsvorsorge und die Rolle der Kommunen interessiert, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt.

Claudia Neu (Hrsg.):
Handbuch Daseinsvorsorge.
Ein Überblick aus Forschung und Praxis
VKU-Verlag 2022, 354 Seiten, 89,00 Euro,
ISBN-Nr.: 978-3-87750-936-4