Umgang mit Geschichte

Diskussion um neuen Namen für die Hindenburgstraße

Irmela Heß17. Dezember 2020
Am Beispiel Paul von Hindenburg zeigt sich, dass eine Beurteilung historischer ­Persönlichkeiten durchaus unterschiedlich sein kann.
Vom schwierigen Umgang mit der Geschichte und einem neuen Vorstoß zur Umbenennung in Mainz

Hannover hat es schon im Jahr 2018 getan, Darmstadt folgte 2019, Freiburg und Trier in diesem Jahr. Die Stadt Esslingen hat im Herbst 2019 eine andere Lösung gefunden, genau wie Offenburg Anfang 2020. In der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz ist indes noch nichts entschieden: Die Umbenennung der Hindenburgstraße wurde hier vor einigen Jahren bereits abgelehnt, aber nun gibt es einen neuen Vorstoß. Die rund 700 Meter lange Allee zieht sich in der Mainzer Neustadt an der neuen Synagoge entlang bis zum Goetheplatz.

In vielen Kommunen gab und gibt es Diskussionen über Namen von Straßen und Plätzen, die man nicht mehr im Stadtbild sehen möchte, weil sie etwa an Hitleranhänger oder NS-Profiteure erinnern. Am Beispiel Paul von Hindenburg zeigt sich, dass eine Beurteilung historischer Persönlichkeiten durchaus unterschiedlich sein kann.

AG „Historische Straßennamen“ sollte belastete Namen überprüfen

Im Jahr 2011 beschloss der Mainzer Stadtrat die Einrichtung der Arbeitsgruppe (AG) „Historische Straßennamen“ mit Mitgliedern verschiedener Parteien sowie historischen Beratern und Beraterinnen. Sie sollte „belastete“ Straßennamen überprüfen. „Wir hatten vom Stadtarchiv eine Liste von Namen erhalten, die wir genauer unter die Lupe nahmen“, erinnert sich Martina Kracht, kulturpolitische Sprecherin der SPD in Mainz und ehemaliges AG-Mitglied.

Zur Beurteilung wurde ein Katalog mit Fragen erarbeitet, etwa: War die betreffende Person Mitglied der NSDAP? Hat sie einen wesentlichen Beitrag zur Anbahnung und/oder Aufrechterhaltung der NS-Herrschaft geleistet? Hat sie sich positiv über Adolf Hitler, die NSDAP, die Verfolgung und/oder Ermordung von NS-Opfergruppen und/oder über mögliche Kriegsziele geäußert? Sind Handlungen nachweisbar, die aus heutiger Sicht moralisch und strafrechtlich zu verurteilen sind?

Bis die Arbeitsgruppe im Jahr 2016 ihre Arbeit mit einem Abschlussbericht beendete, hatte sie drei Empfehlungen für Umbenennungen gegeben. Die ­Hindenburgstraße, die auch auf der Liste stand, war nicht dabei. Das Urteil über den hochgeachteten Heerführer des Ersten Weltkriegs Paul von Hindenburg (1847-1934), der als „Retter Ostpreußens“ gefeiert, 1925 dann im Alter von 77 Jahren vom Volk direkt als Reichspräsident gewählt wurde, war nicht eindeutig ­gewesen.

Für Martina Kracht persönlich wäre es auch heute nicht unbedingt nötig, der Straße einen neuen Namen zu geben. „Ich bin mir nicht ganz sicher, wie groß Hindenburgs Schuld wirklich ist.“ Aber als die Grünen in diesem Jahr im Ortsbeirat Mainz-Neustadt einen erneuten Vorstoß unternahmen, stimmten auch die SPD und die Linke dem Antrag auf Umbenennung dreier Straßen zu, unter anderem der Hindenburgstraße, die seit ihrer Entstehung im Jahr 1880 Bonifatiusstraße nach einem Mainzer Bischof hieß. 1916 wurde sie zu Ehren Hindenburgs umbenannt. Nun muss der Stadtrat darüber entscheiden.

Platz vor der neuen Synagoge wurde umbenannt

Dabei spielte es damals wohl keine Rolle, dass 1912 an dieser Straße die neue jüdische Hauptsynagoge eingeweiht worden war. Erst als hier rund 100 Jahre später eine neue Synagoge errichtet wurde, zog man eine Umbenennung in Betracht. Sie wurde unter anderem mit dem Argument abgelehnt, weil zu viele Menschen ihre Adresse hätten ändern müssen. Allerdings wurde der Platz vor der Synagoge in Synagogenplatz umbenannt. Die Stadt hatte 2009 die Namensgebung bewusst auf einen historisch denkwürdigen Tag gelegt: Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit.

Für die Gegner des Straßennamens zählt, dass Reichspräsident Hindenburg 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte. Die jüngere Forschung habe herausgearbeitet, dass Hindenburg nicht altersseniles Opfer gewesen sei, sondern bis zum Ermächtigungsgesetz die NS-Politik legitimierte. Als Steigbügelhalter Hitlers gehöre er eindeutig nicht mehr zum Kreis derer, auf die man sich ­traditionsbildend berufen sollte.
Vor allem Historiker argumentieren dagegen, dass sich Hindenburg wie ein Demokrat verhalten habe, als er 1933 den Chef der stärksten Partei zum Kanzler ernannte und mit der Regierungsbildung beauftragte.

Ein Jahr vorher habe er sich noch geweigert, Hitler und der NSDAP Regierungsgewalt zu übertragen. Aber nach dem Scheitern mehrerer Kabinette habe er keine andere demokratische Lösung gesehen. Eine Umbenennung sei „unhistorisch und ungerecht“. Damit würde den Menschen die Basis genommen, auf der sie die Gegenwart beurteilen könnten. In Offenburg und Esslingen hat man sich übrigens für eine andere Lösung entschieden: Der Name bleibt, erhält aber eine erklärende Hinweistafel, die die historischen Zusammenhänge erläutert.