EU-Taxonomie

Energiewende: Warum Stadtwerke auf Gaskraftwerke setzen

Carl-Friedrich Höck11. Januar 2022
Gaskraftwerk in Berlin (Archivbild)
Der Vorschlag der EU-Kommission, Gaskraftwerke als nachhaltige Investition einzustufen, wird vielfach kritisiert. Der Verband kommunaler Unternehmen verteidigt die Pläne und wünscht sich sogar eine weitergehende Regelung.

Es war ein Knaller zu Silvester: Ausgerechnet zum Jahreswechsel hat die EU-Kommission bekanntgegeben, dass sie Kern- und Gaskraftwerke unter bestimmten Voraussetzungen als nachhaltig einstufen will. Konkret heißt das: Die Kommission hat ein Konsultationsverfahren zu einem „Entwurf eines ergänzenden delegierten Taxonomie-Rechtsakts“ eingeleitet. Die EU-Taxonomie dient privaten Investor*innen als Leitlinie, welche Investitionen politisch gewünscht werden. Sie kann Geldströme des Finanzmarktes in die eine oder in die andere Richtung lenken. Mit dem Entwurf der Kommission müssen sich nun die EU-Mitgliedsländer befassen.

Kontroverse Debatte

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Die europäischen Grünen erwägen, gegen die Pläne der EU-Kommission zu klagen. Das fordert auch die Deutsche Umwelthilfe. Die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung urteilt: „Die EU-Entscheidungen zur Taxonomie sind falsch und rückwärtsgewandt und nicht mit den Klimaschutzzielen zu vereinbaren.“ Sie würden den Umstieg hin zur Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien behindern.

Gänzlich anders bewerten die deutschen Stadtwerke das Thema Gaskraftwerke. Das machten Vertreter des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) am Dienstag in einem Pressegespräch deutlich. „Grundsätzlich halten wir den Vorschlag der Kommission für richtig“, stellte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing klar – zumindest für den Gasbereich.

In Zukunft sollen Kraftwerke mit Wasserstoff arbeiten

Liebing erklärte: In der Debatte gehe es nicht um „irgendwelche Gaskraftwerke“, sondern um diejenigen, die in Zukunft mit CO2-freien Gasen betrieben werden könnten. Also vor allem mit Wasserstoff. Fossiles Erdgas habe keine Zukunft, meint auch Liebing. Die Kraftwerke seien jedoch ein „Baustein im Transformationsprozess hin zur Klimaneutralität“.

Zum Hintergrund: Ende 2022 soll in Deutschland das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden. Der Kohleausstieg wird bis 2030 angestrebt. Die wegfallende Leistung der Kraftwerke gilt es aufzufangen, zumal parallel die Elektromobilität ausgebaut werden soll. Die Stromerzeugung aus Windkraft und Solaranlagen ist wetterabhängig und schwankt, solange nicht genügend Speicherkapazitäten zur Verfügung stehen. Deshalb sehen die Stadtwerke in Gaskraftwerken einen wichtigen Schlüssel, um die Energieversorgung sicherzustellen und Strompreise bezahlbar zu halten. Andere Energiequellen wie Holzkraftwerke seien zwar als Ergänzung hilfreich, würden aber das Problem allein nicht lösen.

„Wir sehen die Gaskraftwerke als natürlichen Partner der Erneuerbaren“, sagte Josef Hasler, Geschäftsführer der Städtischen Werke Nürnberg. Sein Kollege Maik Piehler von den Stadtwerken Leipzig nennt die dortige Gas-KWK-Anlage sogar eine „Supertechnologie“. Sie erzeuge neben Strom auch Wärme, sei hoch wirksam und erbringe gegenüber den bisherigen Anlagen eine deutliche CO2-Reduzierung. Der VKU argumentiert, dass gasförmige Energieträger auch Erneuerbare Energien ergänzen könnten, indem sie Speicher- und Transportfunktionen übernehmen.

Schwierige Investitionen

Der Verband geht davon aus, dass bis 2030 Gaskraftwerke mit einer Leistung von zusätzlichen 15 bis 40 Gigawatt gebaut werden müssen, um die Energiewende abzusichern. Aktuell seien Kraftwerke mit weniger als vier Gigawatt Gesamtleistung im Bau. Die Zeit drängt: Bis für ein neues Kraftwerk ein Standort gefunden und eine Genehmigung erteilt ist, können leicht vier bis sieben Jahre ins Land gehen. Hinzu kommen laut VKU etwa zwei Jahre Bauzeit.

Die anhaltende Debatte um die Zukunft von Gaskraftwerken hat direkte Auswirkungen auf die Arbeit der Stadtwerke. „Wir stellen fest, dass heute schon der Finanzmarkt reagiert“, sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Liebing. Stadtwerke hätten Schwierigkeiten einen institutionellen Anleger zu finden, wenn sie ein Gasnetz übernehmen wollen. Die Commerzbank habe entschieden, Investitionen in Gas nicht mehr zu finanzieren.

VKU hält EU-Vorschlag für zu restriktiv

Umso mehr hoffen die Stadtwerke nun auf ein deutliches Signal der EU. Die Vorgaben im Entwurf der EU-Kommission hält der VKU sogar für zu restriktiv. Einer der Gründe: Er legt eine Obergrenze – ein sogenanntes Budget – für Treibhausgasemissionen fest, die ein Kraftwerk in der Übergangszeit produzieren darf, bis Erdgas durch andere, klimaneutrale Gase ersetzt werden kann. Diese Alternativen seien aber in den kommenden Jahren noch gar nicht in ausreichendem Maße verfügbar, um die Grenzwerte einzuhalten, befürchtet der VKU. Der Verband plädiert dafür, die Vorgaben zu lockern.

In einem Thesenpapier fordert der VKU außerdem: „Schließlich sollte der Zubau von Erzeugungsanlagen, die bei Genehmigung zu 100 Prozent Wasserstoff-ready sind, keinerlei standortbezogenen oder kapazitätsmäßigen Begrenzungen unterliegen.“ Dies gelte insbesondere für Fernwärme und KWK-Anlagen. Andernfalls drohe eine „klimapolitisch nicht gewollte Begrenzung solcher klimaförderlichen Investitionen“.

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