Warum das Familienministerium auf schnellen Ganztags-Ausbau drängt
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel gibt den Sachstand von Mittwochmorgen wieder. Kurz darauf wurde bekannt, dass Franziska Giffey von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurücktritt. Unabhängig davon wird sich der Bundestag mit dem von Giffey auf den Weg gebrachten Gesetz zum Ganztagsausbau befassen.
Kurz vor dem Ende der Wahlperiode bringt Familienministerin Franziska Giffey noch ein Großprojekt auf den Weg: den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Am Freitag wird sich der Bundestag erstmals mit dem Vorhaben befassen. Ab dem Jahr 2026 soll der Rechtsanspruch stufenweise in Kraft treten. Zunächst soll er für die ersten Klassen gelten und in den folgenden Jahren um je eine Klassenstufe erweitert werden. Ab 2029 soll der Rechtsanspruch dann für die Klassenstufen eins bis vier umgesetzt sein.
Drei Viertel der Familien wünschen sich Ganztagsschule
Giffey nennt das Projekt ein Herzensanliegen. Viele Familien würden von der Politik erwarten, dass es nach den Kita-Jahren nicht heiße: „Mittags ist Schluss und dann steht das Kind mit leerem Magen und vollem Rucksack, mit Hausaufgaben vor der Tür und die Eltern fragen sich, wie sie das alles eigentlich hinbekommen.“ In der Praxis seien es oft die Mütter, die deshalb im Berufsleben zurückstecken, erklärte die SPD-Politikerin am Dienstag in einer Rede zum Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag.
Beim Ausbau der Schulen fange man nicht bei Null an, betont Giffey. Mehr als die Hälfte der Kinder sei bereits im Grundschulalter in einem Ganztagsangebot. Von den 15.400 Grundschulen in Deutschland würden aber auch nur 60 Prozent ein solches Angebot machen. Der Bedarf der Familien liege deutlich höher – etwa drei Viertel von ihnen wünschten sich eine Ganztagsbetreuung.
Landkreise befürchten höhere Kosten
Kritik am Gesetzentwurf äußert der Deutsche Landkreistag. Es sei fraglich, ob der Bund hierfür überhaupt zuständig sei, meint dessen Präsident Reinhard Sager. Auch seien die Investitionskosten und die jährlichen Betriebskosten der Kommunen nicht abgesichert. Noch dazu sollten Bundestag und Bundesrat das Vorhaben „in einem besonders eiligen Gesetzgebungsverfahren beschließen“. Sager warnt vor massiven Konsequenzen für die Landkreise und Städte und befürchtet zehnstellige Finanzierungslücken. Das Gesetz müsse unter enger Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände behandelt werden.
Kritik an mangelhafter Beteiligung weist Giffey zurück: Es habe in der ersten Hälfte der Legislaturperiode einen ausführlichen Beteiligungsprozess und eine Bund-Länder-AG gegeben. Dort habe man mit verschiedensten Akteur*innen darüber gesprochen, wie der Ganztag der Zukunft aussehen soll. „Wir haben uns darauf geeinigt: Klasse eins bis vier, fünf Tage die Woche, acht Stunden am Tag, maximal vier Wochen Schließzeit in den Ferien – das war unsere Übereinkunft.“ Auf dieser Basis sei auch der Gesetzentwurf geschrieben worden.
Milliarden vom Bund
Der Bund habe hier auch eine Verantwortung. „Ja, es ist eine nationale Zukunftsaufgabe, gute Kinderbetreuung in Deutschland auch in der Grundschule zu sichern“, so Giffey. Sie spricht von einem Mammutvorhaben. Der Bund habe viel Geld auf den Tisch gelegt: 3,5 Milliarden Euro Investitionsmittel und dazu perspektivisch – wenn der Ausbau erreicht ist – fast eine Milliarde Euro jährlich für Betriebskosten und Personal. Der Landkreistag rechnet allerdings mit Betriebskosten von vier Milliarden jährlich.
Giffey betont, sie wisse von den Schwierigkeiten einiger Kommunen und Länder, das Projekt umzusetzen. Deshalb beginne der Rechtsanspruch auch erst 2026 – ein Jahr später als ursprünglich vorgesehen – und werde stufenweise eingeführt. Damit sei genug Zeit, sich vorzubereiten, bauliche Maßnahmen zu ergreifen sowie Personal zu gewinnen und auszubilden. „Ich glaube, dass das zu schaffen ist.“
„Investition lohnt sich”
Die Sozialdemokratin verweist auch auf ihre kommunalpolitische Erfahrung im Berliner Bezirk Neukölln. Sie habe gesehen, wenn eine Schule von Halb- auf Ganztag umgestellt wurde, dass plötzlich mehr Kinder eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen hätten. „Das hat mich überzeugt“, sagt Giffey. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung könne die Gesellschaft auf Jahrzehnte verändern. Er werde die Lebensläufe von vielen Kindern und Jugendlichen in eine positive Richtung lenken. Und er werde zu einer höheren Erwerbsquote von Frauen führen und helfen, die Lohn- und Rentenlücke zwischen den Geschlechtern zu schließen. „Diese Investition, die lohnt sich“, meint die Familienministerin.
In diesem Punkt widersprechen auch die Landkreise nicht. „Der Deutsche Landkreistag unterstützt ausdrücklich das Ziel, die Ganztagsangebote für Grundschulkinder weiter auszubauen“, bekennt sich Präsident Sager.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.