SPD-Innenexperte Dirk Wiese

Flüchtlingsgipfel: „Entscheidend ist, was die Kommunen jetzt brauchen”

Kai Doering15. Februar 2023
So viele Menschen wie seit 2016 nicht: Acht von zehn Geflüchteten kommen aus der Ukraine.
Wie können Städte und Gemeinden besser bei der Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten unterstützt werden? Darum geht es bei einem Spitzentreffen am Donnerstag. Warum es nicht nur auf mehr Geld ankommt, sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese.

Am Donnerstag trifft sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit Vertreter*innen der Länder und der Kommunen, um über die Geflüchteten-Situation in Deutschland zu beraten. Was erwarten Sie von den Treffen?

Dirk Wiese. Foto: Marco Urban

Erstmal ist es wichtig, dass nach einem ersten Treffen im Oktober nun auf Initiative von Nancy Faeser ein zweites Treffen stattfindet. Bereits im Oktober wurden ja eine engere Zusammenarbeit vereinbart und Unterstützung des Bundes für Länder und Kommunen auf den Weg gebracht – neben Immobilien zur Unterbringung Geflüchteter auch Geld in Höhe von 3,5 Milliarden Euro für das vergangene und 2,7 Milliarden Euro für dieses Jahr. Beim Treffen am Donnerstag muss es nun darum gehen, die aktuelle Lage zu bewerten und zu überprüfen, wo es gegebenenfalls weitere Unterstützung braucht. Was nicht geht, ist einfach auf den Bund zu zeigen und mehr Geld zu fordern. Auch die Länder tragen in dieser Situation eine große Verantwortung.

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat weiteres Geld des Bundes bereits ausgeschlossen. Das ist aus Ihrer Sicht also auch nicht nötig?

Entscheidend ist, was die Kommunen jetzt brauchen. Da müssen wir auch fragen, ob alle Bundesländer bereits ihre Hausaufgaben gemacht haben und alle Gelder, die sie vom Bund erhalten, eins zu eins an die Kommunen weiterleiten. Bei manchen würde ich da doch ein großes Fragezeichen machen.

Sehen Sie trotzdem weitere Möglichkeiten, wo der Bund zusätzlich Hilfe leisten kann?

Die gibt es sicher. Wir stehen alle gemeinsam vor der größten Flüchtlingssituation seit dem Zweiten Weltkrieg. Dabei muss jeder seiner Verantwortung gerecht werden und was getan werden kann, tun wir gerne. Der Bund könnte den Kommunen z.B. Grundstücke zur Verfügung stellen, auf denen schnell serielle Bauten zur Unterbringung Geflüchteter errichtet werden können. Genau deshalb wird am Donnerstag auch Bundesbauministerin Klara Geywitz mit am Tisch sitzen.

In der vergangenen Woche hatte die SPD-Bundestagsfraktion bereits zu einer Migrationskonferenz eingeladen, an der auch viele kommunale Vertreter*innen teilgenommen haben. Was sind deren größte Sorgen?

Acht von zehn Menschen, die nach Deutschland kommen, sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. 300.000 von ihnen sind Kinder und Jugendliche, die in Kitas und Schulen untergebracht werden müssen. Das stellt die Kommunen eigentlich überall vor große Herausforderungen. Bei der Frage der Unterbringung kommt es dagegen auch auf die Region an. In Ballungszentren und in einigen Kreisen und kleinen Städten ist der Platz bereits knapp. In anderen Regionen ist die Lage aber auch noch entspannt. Man darf auch nicht vergessen, dass viele Menschen aus der Ukraine noch immer privat unterkommen.

Bei den Geflüchteten aus der Ukraine stellt sich die Frage des Bleiberechts nicht, bei anderen Geflüchteten schon. Welche Rolle spielen schnellere Abschiebungen, wenn es darum geht, die Lage zu entspannen?

Das ist ein wichtiger Faktor und hier hat der Bund auch bereits einiges getan. Wir haben den Abschiebegewahrsam verlängert für diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben. Gleichzeitig haben wir für schnellere Asylverfahren gesorgt. Vor einigen Tagen hat Nancy Faeser Joachim Stamp als Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen eingesetzt. Unterm Strich ermöglichen wir damit mehr legale Zuwanderung und führen diejenigen zurück, die keine Bleibeperspektive in Deutschland haben.

Nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser die unbürokratische Erteilung von Visa versprochen für Menschen, die zu ihren Verwandten nach Deutschland kommen möchten. Verschärft das die Situation nicht zusätzlich?

Nein, denn die Visa werden nur für drei Monate erteilt und nur an Opfer des verheerenden Erdbebens, die Verwandte in Deutschland haben, also auch bei diesen unterkommen und von ihnen versorgt werden. Diese Menschen haben alles verloren. Deshalb ist es aus humanitären Gesichtspunkten richtig, ihnen zu helfen.

Dieser Artikel ist zuerst bei vorwaerts.de erschienen.

Was die Kommunen vom Flüchtlingsgipfel erwarten

Die Kommunen schlagen Alarm und appellieren an Bund und Länder, sie bei der Aufnahme und Unterbringung der Geflüchteten stärker zu unterstützen. Der Deutsche Städtetag ruft die Länder dazu auf, die Kapazität ihrer Aufnahmeeinrichtungen deutlich zu erhöhen und neue zu schaffen. Auch der Bund müsse zentrale Aufnahmekapazitäten schaffen und mehr Geld für die Unterbringung und Versorgung bereitstellen, so Städtetags-Präsident Markus Lewe. Er sagt: „Es wird immer schwieriger, auch die Notunterkünfte sind vielerorts inzwischen am Limit.“

Der Deutsche Landkreistag äußert sich ähnlich. „Es fehlt an Wohnungen, an Kitaplätzen, an Lehrern für Schulen und Sprachkurse“, zählt Präsident Reinhard Sager auf. Er wünscht sich auch Unterstützung aus dem Bundeskanzleramt, weil die Innenministerin nicht für Finanzfragen zuständig sei. „Es geht schließlich auch um die Übernahme von Wohnkosten, Gesundheitskosten, Bauen und andere Themen“, so Sager. Insbesondere müsse der Bund die Wohnkosten anerkannter Geflüchteter zu 100 Prozent übernehmen. Irreguläre Zuwanderung müsse begrenzt werden und es müssten größte Anstrengungen für eine gerechtere europäische Verteilung unternommen werden.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat zum Thema ein Positionspapier veröffentlicht: „Unterbringung sicherstellen, Leistungsfähigkeit erhalten“. Download als PDF: dstgb.de. CFH

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