Interview IBA-Intendanten Andreas Hofer

„Wir werden in einem IBA-Zeitraum den Wohnungsmarkt nicht drehen können“

Uwe Roth25. Mai 2018
IBA-Intendant Andreas Hofer: Genossenschaften sind immer noch eines der überzeugendsten Modelle, weil sie vor allem langfristig den Wohnungsbau günstig halten.
IBA-Intendant Andreas Hofer versichert, dass sich die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart auch mit dem drängenden Thema preisgünstiges Wohnen auseinandersetzen wird.

In der Region Stuttgart ist preisgünstiges Wohnen fast unmöglich geworden. Mit diesem drängenden Thema wird sich die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart wohl zwangsläufig auseinandersetzen müssen.

Andreas Hofer: Die IBA muss sich mit den wichtigsten Themen in der Region auseinandersetzen. Dazu gehört logischerweise der preisgünstige Wohnungsbau. Schon damals bei der ersten IBA 1927 in Stuttgart ging es um diese Frage. Schlagwort dieses Jahrzehnts war „Die Wohnung für das Existenzminimum“. In dieser Zeit hat man vor allem nach technologischen Lösungen gesucht. Wie kann man den Bau industrialisieren? Wie kann man Grundrisse rationaler anordnen?

Es hat sich anscheinend wenig geändert.

Es war ein Riesenthema für Architekten und Techniker. Heute führen wir diese Diskussion noch immer. Wie teuer ist der Quadratmeter Wohnfläche? Aber leider können wir damit den preisgünstigen Wohnungsbau nicht herstellen. Denn in Stuttgart ist in den guten Lagen der Bodenpreis der dominante Faktor, der sich kaum beeinflussen lässt.

Wie will es die IBA schaffen, direkt neben exklusiven Wohnlagen preisgünstiges Wohnen möglich zu machen?

Man muss es einfach wollen. Zudem gibt es in Stuttgart bereits Instrumente, die den günstigen Wohnungsbau fördern. Ich selbst habe viele Erfahrungen mit Genossenschaften gesammelt. Sie sind immer noch eines der überzeugendsten Modelle, weil sie vor allem langfristig den Wohnungsbau günstig halten. Es ist die Schwäche vieler Fördermodelle, dass sie irgendwann einmal auslaufen. Dann bist du wieder da, wo du begonnen hast.

Wieviel Potenzial sehen Sie in der Technik das Bauen günstiger zu machen?

Wir müssen erst einmal feststellen, dass in der Vergangenheit Standards festgesetzt wurden, die das Bauen verteuert haben. Dazu gehören die energiesparende Bauweise, die einen Kostenschub verursacht hat, wie auch die Barrierefreiheit. Da gibt es aber die Hoffnung, dass, wenn die Technik reift, gewisse Effizienzgewinne kommen. Alles im Bereich Vorfabrikation und Standardisierung hat bis jetzt aber leider nicht funktioniert. Was die Rationalisierung betrifft, reagiert das Bauen ziemlich störrisch.

Im Moment sind die Kommunen im Bereich der Flüchtlingsunterkünfte ziemlich innovativ. Diese sind industriell vorgefertigt und modulartig gebaut. Irgendwann sollen sie zum normalen Wohnungsstand gehören.

Im besten Fall schaffen wir es damit, den Preis für einen Massivbau zu erreichen. Vorfertigung hat natürlich einen Geschwindigkeitsvorteil. Und solche Module kann man zu einem späteren Zeitpunkt an einen anderen Standort umsetzen. Daher taucht das jetzt überall auf als Flüchtlingsunterkunft und temporäre Schnellmaßnahmen. Wo man dagegen wirklich sparen kann, ist bei der Wohnfläche. Das ist der wirkliche Hebel zu einem günstigen Bauen. Die Ausgangslage ist, dass die Leute in den falschen Wohnungen leben. Ein großer Teil der Wohnflächenzunahme in den vergangenen Jahrzehnten ist nicht über Wohlstandszunahme entstanden, sondern über Fehlallokation. Eine junge Familie hat eine günstige Familienwohnung bekommen. Später ziehen die Kinder aus. Die Eltern bleiben in einer eigentlich zu großen Wohnung zurück. Sie wären auch dumm, wenn sie wechseln würden, weil sie eine ähnlich günstige Wohnung - trotz weniger Fläche - nach so vielen Jahren nicht bekämen.

Eine IBA-Aufgabe wird es sicher sein, modellartig angepasstes Wohnen zu zeigen.

Modellartig ja. Die Öffentlichkeit weiß gar nicht, wie enorm die Wohnfläche pro Kopf zugenommen hat und wie sich das mit demografischen Veränderungen deckt. Dem Bewohner eines Ein-Personen-Haushalts steht statistisch betrachtet doppelt so viel Fläche zur Verfügung wie den Bewohnern einer Familienwohnung. Das verursacht Marktproblematiken – da müsste man sich vielleicht mal das Mietrecht anschauen, ob es wirklich klug ist, dass man Altmieter besonders schützt. Das aber ist nicht mein Spezialgebiet. Was ich als Architekt und IBA-Intendant interessanter finde, das ist die Frage des Wohnungsschlüssels, des Wohnungsmixes. Gibt es neue Wohntypologien für Kleinhaushalte, für Ein-Personen-Haushalte? In diesem Bereich passieren wirklich Innovationen. Clusterwohnungen sind beispielsweise ein aktueller Ausdruck dafür, bei denen man Mikroappartments um gemeinschaftliche Flächen gruppiert. Damit bekommt man nicht nur eine Flächenreduktion hin, sondern zugleich eine soziale Resilienz, also eine Stärkung der Gesellschaft. Leben in einem Ein-Personen-Haushalt bedeutet oft eine nicht gewählte Isolation.

Müssten da eher die Menschen umdenken als die Planer? Die Ideen sind vorhanden, doch die Nachfrage fehlt.

Sie müssen gemeinsam umdenken. Die Bauindustrie, die Investoren, die Architekten und die Menschen müssen sich zusammen überlegen, welches die richtigen Behausungen für eine postindustrielle, komplexe fragmentierte Gesellschaft ist.

Modellhaftes Wohnen bleibt meistens ein Modell und wird äußerst selten zu einem richtigen Trend. Woran liegt das?

Wir werden in einem IBA-Zeitraum den Wohnungsmarkt nicht drehen können. Dafür ist die Erneuerungsquote zu gering. Man kann aber mit gebauten Beispielen darstellen, wie es anders gehen könnte. Das ist meine Erfahrung, das gebaute Beispiel ist unglaublich wichtig. Man darf nicht vergessen, alle im Markt sind nervös. Immobilien sind extrem teuer. Unter diesen Bedingungen wagt kaum einer ein Experiment, weil es sich vielleicht nicht auszahlen könnte. Der Bau- und der Wohnungsmarkt sind ziemlich konservativ. Wir haben im Bauwesen keine Forschung, die die Aufgabe des Experimentierens übernehmen könnte. Das ist nicht vergleichbar mit der Pharmaindustrie, bei der in der Entwicklung eines Wirkstoffs Fehlversuche eingepreist sind.

In Stuttgart haben Sie wegen der zahlreichen Hochschuleinrichtungen im Bereich der Architektur und Stadtplanung ein großes Potenzial an Zusammenarbeit mit der IBA.

Ja, das stimmt natürlich. Aber trotzdem: Die Bauindustrie ist nicht vergleichbar mit praktisch allen anderen modern Industrien. Das hat auch mit dem geringen Rationalisierungspotenzial zu tun.

Menschen wollen individuell sein, sie wohnen aber in der Regel sehr konventionell. Woran liegt das?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Was die Menschen wirklich wollen, das weiß niemand von uns. Vielleicht liegt es an den monotonen Angeboten: Die Möbel-, Küchen- und Bäderindustrie verdient Milliarden an den standardisierten Produkten und vermarktet diese entsprechend. Die Intelligenz eines Grundrisses ist dagegen kein Produkt. Dafür müssten wir zum Teil meine Kollegen schelten. Aber wieso sollte der Architekt gegenüber dem Investor mehr Risiken eingehen, als er bezahlt bekommt? Es gibt fast keine Innovationstreiber in der Branche. Die IBA ist gerade in diesen Fragen das beste Instrument, das wir haben können. Per Definition muss man da neue Dinge ausprobieren. Ich sage, dass wir in den verbliebenen neun Jahren mit der IBA das Wohnungsproblem nicht lösen können. Da sind zum Teil Marktmechanismen und Dimensionen, die so ein Projekt bei weitem übersteigen. Aber man kann vielleicht Wege und Strategien aufzeigen, wie man ein Wohnungsproblem in den Griff bekommt.

Das Bauhandwerk hat Hochkonjunktur, und die Auftragsbücher sind voll. Das macht Ihre Aufgabe, die Branche zum Experimentieren zu bringen, sicher nicht einfacher.

Bei den Architekten ist das auch der Fall. Im Moment sind sie gut ausgelastet. Nach meiner Erfahrungen entstehen Innovationen eher in Krisenzeiten, weil Architekten da nicht ausgelastet sind und sie Zeit für neue Ideen haben. Wenn die Auftragsbücher voll sind, ist die Motivation fürs Experimentieren nicht groß.

Zur Person Andreas Hofer

Der Aufsichtsrat der IBA 2027 GmbH hat sich Anfang des Jahres auf das Engagement des 1962 geborene Architekten Andreas Hofer aus der Schweiz einstimmig verständigt. Aus seiner bisherigen Arbeit als Partner des Planungs- und Architekturbüros Archipel verfügt Andreas Hofer über umfassende Erfahrungen in Architektur und Städtebau sowie bei Fragen der Urbanität und Stadtkultur. Durch Tätigkeiten für das Hochbaudepartement der Stadt Zürich ist er zudem vertraut mit den Prozessen kommunaler Politik und Verwaltung. Wesentlich war sein Beitrag für das Entstehen des nachhaltigen, Raum und Ressourcen sparenden Quartiers auf dem Hunziker-Areal in Zürich.

Eine Kooperation mit bnr.de