Gesundheitsversorgung

Wie die Pflege in ländlichen Räumen gestärkt werden kann

Karin Billanitsch20. Januar 2022
Ein Altenpfleger kümmmert sich um einen Mann mit Rollator.
Gute Netzwerkarbeit, genügend personelle Ressourcen in der Verwaltung, gezielter Einsatz von Fördermitteln: Eine Studie im Auftrag des Bundesinnenministeriums hat ein 10-Punkte-Programm zur Stärkung von Pflegestrukturen in strukturschwachen Räumen entworfen.

Lange Wege, wenig Menschen: 5.000 Quadratmeter umfasst der Landkreis Ludwigslust-Parchim in Meckenburg-Vorpommern. Es ist der zweitgrößte Landkreis in Deutschland. Rund 215.000 Menschen leben dort, das sind 44 Einwohner*innen pro Quadratkilometer. „Wir haben natürlich viel Fläche und Platz, aber wir sind dadurch sehr ländlich strukturiert“, sagt Sylvia Reiß. Sie ist Fachdienstleiterin für den Fachdienst Sozialmanagement und Entgelte im Ludwigslust-Parchim.

Die Bürger*innen des Landkreises müssen zum Teil weite Wege in Kauf nehmen, um ärztliche Versorgung zu bekommen. Umgekehrt stellt sich bei der Pflegeinfrastruktur, insbesondere den ambulanten Diensten die Frage, wie man den abgelegen wohnenden pflegebedürftigen alten Menschen Unterstützung zukommen lässt. „Wie kriegt man die Hilfsangebote zu den Menschen nach Hause?“, fragt Reiß. Das ist eines der Themen der Pflegesozialplanung des Landkreises.

Neue Grundlagenstudie

Ein bedarfsorientiertes Angebot in strukturschwachen Gebieten zu gestalten, ist eines der großen Probleme, vor denen ländliche Kommunen stehen. Welche besonderen Herausforderungen gibt es für kommunale Akteure in ländlichen strukturschwachen Regionen? Welche Lösungen gibt es bereits? Mit diesen Fragen beschäftigt sich ein Forschungsprojekt, das innerhalb des Förderprogramms „Region gestalten“ des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gestartet wurde. Eine Grundlagenstudie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ist am Mittwoch in Berlin bei einer Fachtagung vorgestellt worden. An der bundesweiten Befragung beteiligten sich mehr als 170 Landkreise.

Die Erkenntnisse wurden in einem 10-Punkte-Programm zusammengefasst (nachzulesen auf region-gestalten.bund.de)

Strukturelle Voraussetzungen in der Verwaltung

Zum einen geht es um wichtige strukturelle Voraussetzungen in der Verwaltung, zum anderen um inhaltliche Handlungsfelder. Dazu zählen folgende Fragen: Gibt es hauptamtliche Ansprechpartner*innen für Planungs- und Koordinationsaufgaben in der Kreisverwaltung? Wer leistet Netzwerkarbeit mit allen Akteur*innen, ist ein „Kümmerer“ in den kreisangehörigen Gemeinden installiert? Mitautor Michael Plazek von KPMG sagte mit Blick auf eine strategische Pflegesozialplanung: „Wenn man so etwas erstmals in einem umfassenden Sinn durchführt, kann man eine Aufbruchsstimmung auslösen, indem man sich systematisch und unter Einbindung ganz vieler Akteure mit dem Thema beschäftigt und auch ein gemeinsames Verständnis zu den besonderen Herausforderungen und Zielen schafft.“

Wichtige Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung sind eine umfassende Partizipation und transparent veröffentlichte Ergebnisse. Plazek: „Darüber hinaus gilt es, die Akquise und Vergabe von Fördermitteln strategisch auszurichten.” In dem Punkt zeige sich aber eine paradoxe Situation, erläutert der KPMG-Experte. Die Landkreise wünschten sich zwar eine geringere Abhängigkeit von projektgebundenen Fördermitteln. Zugleich habe sich immer wieder gezeigt, dass der strategische Einsatz von Fördermitteln bedeutsam sein könne. „Als Erfolgsfaktor hat sich dabei gezeigt, dass man von vornherein mit der Verwaltungsleitung ganz klar abstimmt, an welchem Förderprogramm man sich beteiligen will“, erläutert Plazek.

Zentrale Handlungsfelder

Adäquate pflegerische Leistungsangebote, infrastrukturelle Voraussetzungen, die Stärkung der familiären und ehrenamtlichen Pflege: das zählt Ute Stark von KPMG als wesentliche Punkte auf. Und nicht zuletzt geht es um die Digitalisierung und den Fachkräftemangel, lauten die Erkenntnisse der Autoren. Vor allen Dingen letzterer Punkt ist ein großes Problem der Kommunen. „Dass wir sowohl im städtischen als auch im ländlichen strukturschwachen Raum Probleme haben, ausreichend Fachkräfte, aber auch ausreichend Betreuungs- und Unterstützungskräfte zu gewinnen, ist das Hauptthema der Studie gewesen“, stellt Stark fest.

Die Landkreise und auch die Trägerorganisationen fühlen sich manchmal hilflos, sehen keine Ansatzpunkte und sind eigentlich auf die Unterstützung von Ländern und Bund angewiesen, um hier weiter voranzukommen, stellt Stark fest. Die Gründe dafür sind bekannt: Der Pflegeberuf hatte lange einen schlechten Ruf, die Belastung ist hoch, die pandemische Situation hat die Lage verschärft, die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte ist erschwert gewesen durch die Umstände der Corona-Pandemie.

Einig sind sich die Autor*innen der Studie mit Irene Vorholz von Deutschen Landkreistag, dass die Beseitigung des Fachkräftemangel eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. „Da müssen alle zusammenarbeiten.“ Vorholz betonte zusätzlich: Gerade beim Personalmangel hätten die Kommunen selbst wenig Möglichkeiten zu handeln. Diskutiert wurde auch über die Bezahlung von Pflegekräften. Der Eindruck schlechter Bezahlung halte sich hartnäckig, so Vorholz, sie trat dem aber entgegen: „Tatsächlich ist es so, dass die durchschnittliche Pflegekraft über dem Durchschnitt von Fachkräften insgesamt liegt, wobei die Altenpflege etwas unter der Krankenpflege vergütet wird.“

Dass Landkreise mit wenig Geld trotzdem viel bewirken können, zeigt sich in Ludwigslust-Parchim: Dort gibt es mittlerweile mit großem Erfolg „Pflegelotsen“, die als Vertrauenspersonen erste Kontakte knüpfen und Betroffene oder Angehörige ansprechen und als Schnittstelle zwischen Verwaltung und Bürger*in vermittelt. Es soll niemand durch das Raster fallen. „Sie beraten oder pflegen nicht selbst, sie sollen Ängste abbauen und auf Beratungsangebote hinweisen. Bisher sind im Kreis rund 50 Lotsen unterwegs. Unser Ziel ist es, für jede der 150 Gemeinden jemanden zu haben“, sagt der Sozialplaner des Kreises Christian Tiede.