Kommunale im Porträt

Der Rocker und die Analystin: Wie zwei Sozis Birkenwerder prägen

Harald Lachmann06. Oktober 2022
Heiko Friese und Susanne Kohl vor ihrem gemalten Rathaus. „Kultur hält Birkenwerder ­zusammen”, lautet das Credo.
Heiko Friese und Susanne Kohl halten in der Gemeinde Birkenwerder seit Jahren die SPD-Fahne hoch. Auch Rückschläge und Enttäuschungen halten sie nicht davon ab, in der Kommunalpolitik weiterzumachen.

Was Heiko Friese am 23. Oktober 1989 tat, weiß er noch sehr genau. Mit zwei Gleichgesinnten, „denen auch das Fell juckte“, fuhr er von ­Birkenwerder ins nahe Schwante. Dass ihnen ein verdächtiges Auto folgte, nahmen sie in Kauf. Ihr Ziel war das Pfarrhaus von ­Pastor ­Joachim Kähler. Denn eben hier war kurz zuvor eine neue Partei entstanden, die Sozialdemokratische Partei in der DDR, kurz: SDP. Nun traten auch sie ihr bei, gründeten so de facto die SPD in Oberhavel.

Dass das im Oktober 1989 noch nicht ungefährlich war, gerade für einen Lehrer wie ihn, wusste er schon: Die Grenzen waren noch dicht, der Sicherheitsapparat funktionierte übernervös. Aber Heiko Friese, damals 42 und als Freizeitrocker ohnehin nicht so leicht zu verschrecken, „verspürte noch einmal so richtig Druck im Körper, etwas machen zu können und etwas machen zu müssen“. Er, der Musik und Deutsch an einer DDR-Oberschule gab und sich hier stets daran rieb, wie etwa „von oben herab Konfliktbereinigung betrieben wurde“, wollte dringend „etwas bewegen“.

Auf Anhieb holte die neue Partei 37 Prozent

Und er bewegte schnell etwas. Friese kandidierte für die neue Gemeindevertretung, zog als populärer Mann auch manche zusätzliche Stimme auf seine Partei und blickte dann am 28. Mai 1990 auf ein starkes Ergebnis: Die SPD holte 37 Prozent, stellte zwölf Abgeordnete und mit Kurt Vetter auch den Bürgermeister. Vetter, der dann 19 Jahre lang Birkenwerder regierte, war übrigens ­einer der beiden, mit denen Friese ­seinerzeit in Schwante war.

Dass es die SPD war, in der der ebenso aufmüpfige wie temperamentvolle Lehrer landete, war für diesen kein Zufall. „Es gab um die Wende ja auch das Neue Forum“, erinnert er sich. „Dessen Statut wanderte heimlich von Hand zu Hand. Doch dann kam mir das Statut der SDP in die Hände, und das gefiel mir weitaus besser...“

„Schockverliebt in Brandenburg”

Susanne Kohl, die heute die SPD-Fraktion in Birkenwerder leitet, lebte da noch in Hessen. Erst 2000 zog die diplomierte Verwaltungsfachfrau zu, denn ihr Mann war nach Berlin versetzt worden. In Birkenwerder fanden sie eine Baulücke für die fünfköpfige Familie und zugleich „eine wunderbare Aufnahme durch tolle Nachbarn“. So habe sie sich quasi „schockverliebt in Brandenburg“. Ihre drei Kinder wurden hier groß, und die Mutter engagierte sich alsbald in der Kirche und im Fußballverein. Schließlich nominierte man die umgängliche Zugereiste, die ungemein strukturiert, fast druckreif sprechen kann, auch als Schiedsfrau für vor- und außergericht­liche Streitschlichtungen.

In der SPD war Susanne Kohl da noch nicht. Erst vor 15 Jahren holte sie offiziell nach, was seit Kinderjahren ihre Bestimmung schien. Denn in dem Haus in Lorsch, in dem sie aufwuchs, wohnte auch der Chef des SPD-Ortsvereins. „So habe ich schon als Kind SPD-Plakate geklebt und sehr jung Wahlkampf ­gemacht“, erzählt sie. Es sei eben die „Partei der kleinen Leute, der Armen und Schwachen“ gewesen, was sie schon früh faszinierte.

Die politischen Verhältnisse wurden auf den Kopf gestellt

Indes ist die Birkenwerderer SPD nicht mehr jene von 1990. Gerade noch zwei Abgeordnete stellt sie im 19-köpfigen Parlament, das sich nun in sieben Fraktionen splittet. Es sind Susanne Kohl und Heiko Friese. Dass es den anderen Parteien nicht besser geht, während drei freie Wählergruppen kräftig zulegten, hat viel mit einem Korruptionsfall um einen CDU-nahen Bürgermeister zu tun, der 2009 nach Kurt Vetter das Zepter übernahm. 2014 wählte man ihn ab, inzwischen ist er rechtskräftig verurteilt.

Heiko Friese war damals für die SPD Gemeindevertretervorsteher – aber nicht Kommunalprofi genug, um all das verdeckte Gemauschel zu durchschauen, das da ablief. Und so legte er selbst sein Amt nieder, als ihm das Ausmaß gewahr wurde. „Ich war mal wieder maßlos enttäuscht“, gesteht er. Aber das passiere halt Menschen, die „Verantwortung übernehmen und dabei sehr vertrauensvoll durchs Leben gehen, ohne anderen gleich Schlechtes zu unterstellen“, ­sinniert er.

Mit voller Energie stellte sich Heiko Friese den neuen Aufgaben

Dabei hatte Friese inzwischen eine ­harte Schule hinter sich. Neben ­seinem Job als Lehrer saß er selbst jahrelang auf der Schulbank und büffelte ­Demokratie. Denn schnell hatte er als Abgeordneter viele Funktionen: „Wenn irgendwo die Tür aufgemacht wurde, ging ich rein – Ausschüsse, Arbeitsgruppen.“ So rutschte er in ein Metier, „von dem ich zunächst gar nichts verstand“. Völlig unbedarft sozusagen: „Wir dachten, jetzt ist alles anders, und es wird eben gemacht, was wir als ­Abgeordnete ­festlegen.“

Stattdessen gab es Nackenschläge, Niederlagen. „Plötzlich wurde uns bewusst, wie fürchterlich kompliziert das alles ist, auf was wir uns hier einlassen“, erzählt er. „Wir saßen da wie in der ersten Klasse, machten den Mund auf und begriffen doch nur die Hälfte.“ Bis heute sei das halt ein ununterbrochener Lernprozess.

Deshalb nennt es Friese „einen ­Segen, Leute wie Susanne neben sich zu haben“. Leute, die „sich auskennen, wenn es etwa um Bauordnung geht“, und die auf diese Weise die SPD-Fraktion stark und glaubwürdig machten. „Macht ­Susanne den Mund auf, stimmt das einfach. Bittet sie im Parlament ums Wort, sagt danach keiner mehr was. Allenfalls etwas Polemisches. Man kann sich dann nur noch der SPD anschließen.“

Die Gemeinde zerlegte sich

Susanne Kohl – damals noch keine Abgeordnete – erlebte jene früheren Jahre von der Seitenlinie. Sie rutschte zunächst als sachkundige Bürgerin in den SPD-Kosmos von Birkenwerder. ­Abgeordnete wurde sie 2018 als Nachrückerin. Doch dieser Beobachterphase gewinnt sie nur Positives ab: „Man ist noch nicht in der Verantwortung, ­bekommt aber alles mit, spielt quasi Mäuschen. Das macht vieles leichter.“

Auch die Zeit um den gestürzten ­Bürgermeister bringt sie nüchtern auf den Punkt: „Das war ein ganz schwieriger Moment für den Ort, mit einer sehr vergifteten Stimmung. Fast die ganze Gemeindevertretung zerlegte sich damals.“

Und es war schon der zweite Nackenschlag für den Ehrenamtler Friese. Der erste lag noch in den 1990er Jahren. Damals warb er für eine Fusion mit der Nachbarstadt Hohen Neudorf, die ­Birkenwerder von drei Seiten arrondiert. Ihm schwebte eine gemeinsame Gartenstadt vor. Dafür engagierte er sich in einer Verhandlungskommission, leistete viel Vorfeldarbeit, rang um Gespräche „auf Augenhöhe“.

Bleiben, auch wenn es hart wird

Es wäre zum Nutzen von Birkenwerder gewesen, auch weil das Land eine Vereinigungsprämie versprach. Eine knappe Mehrheit im Gemeindeparlament schien denn sicher. „Doch dann wurde die Abstimmung mit allerlei unlauteren Mitteln so beeinflusst, dass ein Nein zustande kam. Auch seitens der SPD gab es Gegenstimmen, weil Eigeninteresse plötzlich wichtiger war als das Wohl der ganzen Gemeinde“, erregt er sich und wirkt noch immer etwas verletzt.

Heiko Friese war danach „so sauer, dass ich nichts mehr für Birkenwerder tun wollte“. Nie wäre er freilich aus der SPD ausgetreten. Denn es gäbe eben „richtige Sozialdemokraten, die kommen und die bleiben, auch wenn es mal hart wird“, sinniert er. „Und es gibt falsche: Die kommen und die gehen wieder.“ Und das sei sein Ding nie gewesen.

Also fand er eine andere Lösung: Er kandidierte für den Kreistag in Oranienburg, wenn auch per Umweg. Da er mit dem eigenen Ortsverein über Kreuz lag, der Unterbezirk den bekannten Musiker aber gern aufstellen wollte, nominierte man ihn kurzerhand über den Ortsverein Liebenwalde. Und natürlich wurde er auch hier gewählt. Im Kreistag, in dem er acht Jahre saß, übertrug man ihm sofort den Vorsitz im Bildungsausschuss.

Ehrenamtspreise belohnen hartnäckiges Engagement

Eine Zeit, die ihm gut tat. Kultur und Bildung, das sind bis heute seine Themen. So brachte er an seinen Wirkungs­orten bereits drei Ehrenpreise ins Rollen: Schulpreise im Runge-Gymnasium ­Oranienburg sowie in der Regine-­Hildebrandt-Gesamtschule in Birkenwerder. Und als 2008 sein Ortsverein wieder an ihn herantrat, da erneut Kommunalwahlen anstanden, regte er gleich noch einen Ehrenamtspreis für Birkenwerder an: den jährlichen Birkenpreis. „Den haben wir als SPD initiiert!“, betont Friese. Mittlerweile leitet er auch die Jury, nachdem er mit dem Tun seiner Vorgänger „nie so richtig leben konnte“.

„Kultur verbindet Birkenwerder!“, heißt denn auch Frieses Leitspruch, mit dem er immer wieder Punkte für die SPD sammelt. Etwa mit seinem Chor „Die Sozi-Singers“. Die zwölf Frauen und Männer werten nicht nur Neujahrsempfänge, Parteitage, Wahlkämpfe, runde Geburtstage oder Ortsfeste auf, sie sangen schon mit Manfred Stolpe, Matthias Platzeck, Dietmar Woidke und Sigmar Gabriel. Letzterer engagierte sie gleich noch für ein Deutschlandfest in Berlin.

Altes Wasserwerk bringt neue Chancen

Sein jüngster Coup gelang Friese voriges Jahr, als er den Bürgermeister nach hartem Drängen dazu brachte, das zugemauerte Birkenwerderer Wasserwerk von 2012 für eine Visite freizugeben. Denn der Ort brauche dringend eine neue Kulturstätte – und der Musiklehrer hatte da so eine Idee. Prompt gründete sich schon kurz nach der Inspektion, zu der alle Fraktionen geladen waren, ein Verein mit 40 Leuten. „Bauanträge sind gestellt, das Projekt soll ­Kulturpumpe heißen, nun müssen wir nur sehen, woher wir Geld bekommen“, frohlockt er. Am liebsten würde er daneben noch eine Freilichtbühne setzen.

Auch Susanne Kohl sieht darin eine „große Chance“ sowohl für Birkenwerder als auch für die SPD im Ort. „Denn solche Projekte sind wichtig: Sie schaffen Identität, sie stärken Nachbarschaftskontakte und Gemeinschaftsgefühl, denn sie bringen Leute zusammen, die vorher wenig miteinander zu tun hatten“, weiß sie. „Und je positiver die Stimmung vor Ort ist, desto einfacher lassen sich auch andere Dinge lösen“.

Spricht man mit den beiden, merkt man schnell, wie sie sich gegenseitig den Ball zuspielen, im Parlament wie im Ortsverein: Er der heißblütige Pragmatiker und sie die begabte Analystin, die nicht nur Verwaltungschinesisch volksnah rüberbringen kann, sondern auch spürbar eine Ader für Gerechtigkeit und Ehrlichkeit hat. Und obwohl sie derzeit nur zu zweit im Gemeinderat sitzen, tanzen sie auf vielen Hochzeiten: Susanne im Haupt- und im Bauausschuss, Heiko im Finanzausschuss und als vernetzungsstarker Chef des Sozialausschusses.

Fraktionschefin Susanne Kohl geht Konflikten nicht aus dem Weg

Hier versuchen sie, mit ihren sachkundigen Bürgern viel zu bewegen – bei Schulen und Kitas, sozial durchmischtem Wohnungsbau, bürgernaher Digitalisierung, Förderung von Kultur, bei Spielplätzen und dem Bahnhofsumfeld. Und immer wieder zeigt sich Heiko Friese beeindruckt von seiner Fraktionschefin: Sie sage eben auf kluge Weise auch Dinge, die andere aus populistischem Kalkül nicht sagten. Und sie gehe als SPD-Frau auch „dorthin, wo einem erst mal Kritik um die Ohren fliegen kann“. Und doch knicke sie dann nicht ein. „Für uns ist es eben ganz wichtig, eine gewisse ­Haltung nach außen verkörpern“, so ­Susanne Kohl. „Wir wollen nicht beliebig sein – das kommt an.“ Und so ist sie sicher: Zur Kommunalwahl 2024 werde die SPD in Birkenwerder wieder zulegen.

 

Dieser Text erschien zuerst im vorwärts auf den Sonderseiten „vorwärts-kommunal”.

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