Präsidiumssitzung

Städtetag fordert neues Konzept für Geflüchtete

Carl-Friedrich Höck23. März 2023
Flüchtlingsunterkunft auf dem Tempelhofer Feld in Berlin: Hier sind mehrere hundert Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht. (Aufnahme vom Dezember 2022)
Mehr zentrale Aufnahmelager, klare Regeln für die Finanzierung und Schluss mit „Verhandlungs-Pingpong“: Der Deutsche Städtetag fordert Bund und Ländern auf, gemeinsam ein dauerhaftes Konzept für die Aufnahme von Geflüchteten zu erarbeiten.

Von einer „unglaublich intensiven Debatte“ berichtet Vizepräsident Burkhard Jung nach der Präsidiumssitzung des Deutschen Städtetages am Donnerstag. Dort haben sich 30 Stadtspitzen dazu ausgetauscht, wie die Aufnahme der Geflüchteten besser organisiert werden kann. „Das treibt uns um“, sagt Jung über das Thema. „Wir möchten schutzbedürftigen Menschen Hilfe geben, wir möchten menschenwürdig unterbringen. Dennoch gehört zur Wahrheit, dass wir vielerorts wirklich an die Grenzen der Belastung kommen.“

Knapp 1,3 Millionen Menschen sind im vergangenen Jahr nach Deutschland geflohen – mehr als jemals zuvor. Ein Großteil davon stammt aus der Ukraine. Doch auch aus anderen Staaten kommen wieder mehr Asylsuchende. Der Städtetag geht davon aus, dass dies kein einmaliges Ereignis bleibt, sondern es immer wieder neue Fluchtbewegungen geben wird – so wie kürzlich nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien. Von einer „dauerhaften Realität“ spricht Verbandspräsident Markus Lewe angesichts der geopolitischen Lage. Die Kommunen müssten „in der Lage sein, vor den Ereignissen zu stehen“ und nicht nur zu reagieren.

„Städte in Bedrängnis”

Derzeit sieht die Realität anders aus. In Leipzig mussten bereits zwei Zeltstädte errichtet werden, weil es nicht genügend Unterkünfte gibt. In anderen Städten werden Turnhallen belegt. Seit Monaten appellieren die kommunalen Spitzenverbände an Bund und Länder, sie stärker zu unterstützen. Entscheidungen dazu werden erst am 10. Mai erwartet, wenn sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit Vertreter*innen der Länder trifft. Zu spät, meinen die Kommunen. „Jeder Tag ohne klare Zusagen, auch finanzielle, bringt die Städte weiter in Bedrängnis“, mehnt Lewe zur Eile.

Den Städten geht es nicht nur ums Geld. Der Städtetags-Präsident erklärt: „Wir brauchen endlich ein umfassendes und dauerhaft gültiges Konzept für die Unterbringung, aber auch für die Integration von Geflüchteten.“ Kurzfristig eine Unterkunft für immer mehr Schutzsuchende zu finden, sei schon eine große Herausforderung. Benötigt würden aber auch Kita- und Schulplätze, Wohnraum, Personal in den Ausländerbehörden und für Integrationsaufgaben.

Bund und Länder sollen Aufnahmeeinrichtungen schaffen

Konkret schlägt der Städtetag vor, dass die Länder ihre Aufnahmekapazitäten ausweiten und zusätzlich auch der Bund Erstaufnahme-Einrichtungen schafft. Ziel ist es, nur die Zugewanderten auf die Kommunen zu verteilen, die auch eine gute Bleibeperspektive haben. Die Städte erhoffen sich von den Einrichtungen auch eine Pufferwirkung: Sie sollen den Kommunen Zeit verschaffen, damit sie sich besser auf die Menschen vorbereiten können, die ihnen zugewiesen werden.

Der Bund könnte zum Beispiel modulare Bauten aus Holz nutzen, beschreibt der Hauptgeschäftsführer des Städtetages Helmut Dedy die Idee. So könnten bei Bedarf schnell Kapazitäten geschaffen werden. Danach könne man sie wieder abbauen und woanders einsetzen. Von einem „atmenden System“ spricht Dedy, das flexibel auf die Fluchtbewegungen reagiert. Wichtig sei es, das so zu machen, dass die Asylsuchenden menschenwürdig untergebracht werden. Dazu gehöre zum Beispiel eine Kinderbetreuung oder eine sozialpsychologische Begleitung. Bei diesen Aufgaben würden die Kommunen auch unterstützen, ergänzt Burkhard Jung.

In Leipzig, berichtet der Oberbürgermeister, werde gerade eine Gemeinschaftsunterkunft in fester Bauweise errichtet. Es brauche allein drei Jahre, um den ersten Spatenstich zu setzen. Wenn es so weitergehe, „kommen wir nicht aus dem Knick“, sagt Jung. Die Vorstellung sei unerträglich, dass Menschen vier oder fünf Jahre lang in Zelten oder Turnhallen wohnen müssen.

Finanzierung: Städte wollen nicht ständig neu verhandeln

Eine weitere Forderung der Städte: Bei der Finanzierung von Flüchtlingsaufgaben dürfe nicht jedes Mal „ein langwieriges Verhandlungs-Pingpong zwischen Bund und Ländern beginnen“, so Präsident Lewe. Statt einer festen Summe X wünschen sie sich ein Finanzierungsmodell, das sich an steigende Zahlen anpasst. Vorbild könnte das Vier-Säulen-Modell sein, das bis Ende 2021 galt: Der Bund übernahm die Unterkunftskosten vollständig, zahlte eine Pauschale für flüchtlingsbezogene Zwecke und eine Pro-Kopf-Pauschale von 670 Euro und stellte zusätzlich Mittel für unbegleitete minderjährige Geflüchtete bereit.

Bisher hat der Bund 1,5 Milliarden Euro als Unterstützung für die Geflüchteten aus der Ukraine zugesagt. Die allgemeine flüchtlingsbezogene Pauschale wurde auf 1,25 Milliarden verstetigt. Zusammen ergibt das knapp drei Milliarden Euro. In den Jahren 2015 und 2016 habe der Bund die Länder und Kommunen noch mit neun Milliarden Euro unterstützt, rechnet die Finanzdezernentin des Städtetages Verena Göppert vor.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) stellt sich bisher quer. Weitere Entlastungen für Länder und Kommunen seien im Rahmen der Schuldenbremse nicht leistbar, ließ sein Ministerium am Dienstag verlauten. Der Städtetag will das nicht überbewerten. „Der Bund baut vor“, meint Hauptgeschäftsführer Dedy. Es sei ein normales Vorgehen, zunächst auf der Maximalposition zu beharren. Die Kommunen versuchten jetzt, sich mit den Ländern auf eine gemeinsame Position zu verständigen.

weiterführender Artikel