Blog Meine Sicht

„Wir machen Sachpolitik“ – wirklich?

Haiko Mensing03. Dezember 2021
Nachdenken über das eigene Profil
Parteipolitik müsse zurückstehen, es gehe doch um die Sache. Sätze wie diesen hört man häufig in der Kommunalpolitik. Aber ist das tatsächlich wünschenswert? Ein Nachdenkartikel von Haiko Mensing.

Wer sich in der Kommunalpolitik als besonders ruhiger Vertreter darstellen will, beruft sich darauf, dass er Sachpolitik macht. Das wird dann – auch und mit Stolz von Genossinnen und Genossen – zugleich als Gegensatz zur Parteipolitik verstanden, die auf Gemeinde- und Kreis­ebene ja eigentlich nichts zu suchen habe. Dabei sitzen aber in den Räten und Kreistagen Frauen und Männer, die ja nicht in ihre Parteien eingetreten sind, um ihre politische Meinung und Überzeugung beim Eintritt in die kommunalen Gremien abzugeben.

Auch die Verwaltung hat Interessen

Die Sachpolitik wird in vielen Reden geadelt als etwas, das sich an der Sache selbst orientiert und dabei ohne Ideologie oder parteipolitische Präferenz auskommen kann. Damit aber ermöglicht man den Verwaltungen und ihren hauptamtlichen Leiterinnen und Leitern einen Einfluss auf die örtliche Politik, der ihnen in dieser Fülle nicht zusteht. Die Politik zieht sich oft darauf zurück, die Vorgaben der Fachleute zu beurteilen, aber nie grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Verwaltung hat ja eben die Fachleute.

Dabei vergessen die Politiker, dass auch die Verwaltung interessengeleitet arbeitet und ihre Vorlagen deshalb immer, ob gewollt oder ungewollt, in eine bestimmte Richtung tendieren. Immer nach dem Motto: Das war noch nie so. Das war schon immer so. Das wird nicht geändert. Aber auch hinter dieser fachlich begründeten, angeblich politisch unbeeinflussten und nur an der Sache orientierten Arbeit der Verwaltung stecken handfeste Interessen, die man oft erst durch beharrliches Nachfragen herausbekommt.

Ist die Geschäftswelt stark, kann die Entwicklung eines Ortskerns ganz anders aussehen als in Orten, in denen es starke Bürgerorganisationen gibt, die die Meinungsführerschaft haben. Ob es mehr oder weniger Parkplätze, bessere Radwege oder Spielplätze gibt, wären Beispiele dafür. Und wenn der Rat sich selber keine Entwicklungsziele mit der Hilfe von unabhängigen Planern aufschreiben lässt, wird er gegen die Vorgaben der Verwaltung nur wenig Argumente haben.

Parteien gibt es nicht ohne Grund

Natürlich ist die Politik in den Gemeinden und im Landkreis stark sachorientiert. Aber es ist noch genügend Platz für parteipolitische Elemente, viele Kommunalpolitiker treten ja nicht ohne Grund als Mitglieder einer Partei an. Wer beispielsweise eine nachhaltige Entwicklung in seiner Gemeinde möchte und zugleich eine Vorstellung von Bodenpolitik hat, die vielen Menschen zugutekommen und nicht den Profit einiger weniger Immobilienunternehmen oder Banken befördern soll, ist vermutlich eher sozialdemokratisch orientiert und kann sich mit dem Gedanken anfreunden, Grundstücke in öffentlicher Hand zu behalten und so günstiger Wohnraum anbieten zu können. Wer dagegen die Privatwirtschaft fördern will, wird diesem Modell wenig abgewinnen. Es geht um Sachpolitik, natürlich, aber sie kann eben auch politisch inhaltlich begründet werden.

Das gilt auch für den Öffentlichen Personennahverkehr. Eine Gemeinde kann sich entscheiden, mehr Geld in diesen Bereich als Zuschuss zu stecken, um den Bürgerinnen und Bürgern den Verzicht aufs ­Auto schmackhaft zu machen. In der Sozialpolitik gibt es viele Möglichkeiten, durch bewusstes Handeln über die gesetzlichen Regelungen hinaus ein Profil zu schärfen und mehr zu tun, als nur zu verwalten.

Wer gewählt werden will, braucht ein Profil

Wer sagt, er will Sachpolitik machen, macht es sich oft zu einfach und öffnet Alleingängen der Verwaltung Tür und Tor. Außerdem verwässert er sein eigenes Profil bis zur Unkenntlichkeit und wird es bei Wahlen schwerer haben, Argumente zu finden, warum man ihn wählen sollte. Denn Sachpolitik machen alle anderen ja auch.

Ja, es gibt sogar Gruppen, die sich bewusst von den Parteien abgrenzen, behaupten bürgerorientiert zu arbeiten und behaupten, ganz besonders transparent zu agieren. Klopft man ihre Beweggründe ab, stellt sich oft heraus, dass es um einzelne Punkte geht oder sogar verletzte Eitelkeiten Grund für die Bildung einer neuen Bürgerbewegung sind.

Das alles spricht nicht gegen Sachpolitik, aber für eine, die sich aus bestimmten Anschauungen und Überzeugungen erklärt. Zu oft wird der Begriff der Parteipolitik negativ und als Abgrenzung verwendet. Damit helfen viele der sehr engagierten Kommunalpolitiker mit, ihre eigene Parteizugehörigkeit und die Parteien zu diskreditieren. Sie tragen damit zu Politikverdrossenheit bei, ohne es zu wollen. Das aber kann nicht im Sinne der Bürger und der Kommunalpolitiker sein. Niemand auf kommunaler Ebene macht Politik, ohne bestimmte Werte zu bedenken oder im Hinterkopf zu haben.

Wer sich das bewusst macht und seine Werte und Vorstellungen in die Politik einbringt, ist gleichzeitig im besten Sinne Interessenvertreter, aber auch gewappnet gegen eine „ideologiefreie Sachpolitik“, die angeblich alternativlos ist und allen Bürgern gleichermaßen dient. Sie dient aber nur denen, die an den Hebeln sitzen und Steuerungsmöglichkeiten aus dem Hintergrund haben. Leidtragende sind die, die nach bestem Wissen und Gewissen Sachpolitik machen, aber ihre ­eigenen Vorstellungen und Ziele ­darüber vergessen, konturlos bleiben und gar kein Profil mehr ­besitzen.

 

Autor Haiko Mensing ist Journalist a. D. und beratendes Mitglied in Sachen Öffentlichkeitsarbeit in den SPD-Kreistagsfraktionen der Landkreise Friesland und Oldenburg-Land. Dieser Beitrag ist zuerst im Landes-SGK EXTRA Niedersachsen der DEMO erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Niedersachsen veröffentlicht.