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Reform der Kinder- und Jugendhilfe: Was lange währt, wird endlich gut

Die Reform der Kinder- und Jugendhilfe ist auf der Zielgeraden, am Freitag soll der Bundesrat darüber abstimmen. Ein Gastbeitrag von Ulrike Bahr, Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag.
von Ulrike Bahr · 4. Mai 2021
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Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen haben einmal mehr den Blick geschärft, wie notwendig eine gut ausgestattete, beteiligungs­orientierte Kinder- und Jugendhilfe ist. Das SGB VIII ist seit mehr als 30 Jahren in Kraft, hat sich als ein modernes Sozialgesetzbuch bewährt, aber in einigen Bereichen wird es Zeit für ein grundsätzliches Update: das Kinder- und Jugendstärkungs­gesetz (KJSG).

Kinderschutz

Lügde, Staufen, die Haasenburg: Diese Namen stehen stellvertretend für Kinderschutzfälle und Heim­skandale mit großem Medienecho. Sie haben den Handlungsdruck erhöht für eine bessere Zusammenarbeit im Kinderschutz, Austausch auch mit den Gerichten, genauere Vorgaben für die Erteilung einer Betriebserlaubnis und schnelle Handlungsmöglichkeiten, wenn sie aus Gründen des Kinderschutzes zurückgenommen werden muss. Aus meiner Sicht ist und bleibt es aber wichtig, den Kinderschutz hilfe­orientiert zu gestalten. Beratungsstellen, Therapeut*innen, Ärzt*innen, Hebammen und viele ­andere, die mit Familien arbeiten, sollen sich als Verantwortungsgemeinschaft verstehen und mit dem Angebot vertraulicher und niedrigschwelliger Kommunikation überhaupt erst darauf hinwirken, Vernachlässigung, Missbrauch oder Gewalt aufzudecken und zu bearbeiten.

Inklusion

Seit etwa 20 Jahren diskutieren wir unter der Überschrift „Große Lösung“, „Inklusive Lösung“ oder „Hilfen aus einer Hand“ über Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe. Über das Ziel ist inzwischen weitgehend Konsens hergestellt: Im Beteiligungsprozess 2019 haben sich die Verbände der Erziehungshilfe, der Behinderten­hilfe, Wissenschaft, die Ressorts der Bundesregierung und die Länder im Wesentlichen einvernehmlich dazu bekannt, die Lebenslage „Kindheit und Jugend“ in den Vordergrund zu stellen, Angebote der Kinder- und Jugendhilfe – von der offenen Arbeit über die Kita bis zu stationären Hilfen – inklusiv zu gestalten und den Familien künftig auch für die Eingliederungshilfe Hilfen aus einer Hand zu bieten. Das KJSG legt dazu jetzt einen verbindlichen Fahrplan vor: sofort mehr inklusive Angebote, Verfahrenslotsen in den Jugendämtern spätestens ab 2024, die Gesamt­zuständigkeit ab 2028. Zur genauen Ausgestaltung soll direkt nach der Verabschiedung des KJSG ein neuer, breit angelegter Beteiligungsprozess starten sowie eine wissenschaftlich begleitete, prospektive Gesetzes­folgenabschätzung.

Prävention

Eine gute Infrastruktur unterstützt Familien dabei, ihren Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen. Im Bereich der Kindertagesstätten gab da in den letzten Jahren viel Aufbauarbeit. Mit dem KJSG stützen wir auch weitere Bereiche mit konkreteren Vorgaben: Der Auftrag an die Familienbildung (§ 16) wird klarer gefasst, in Einrichtungen für Mütter/Väter mit kleinen Kindern (§ 19) wird künftig auch die Aufnahme beider Elternteile möglich sein und mit den neugefassten Hilfen für Kinder in Notsituationen (§ 20) schaffen wir einen Rechtsanspruch auf Hilfe für Kinder, deren Eltern vorübergehend die Betreuung nicht wahrnehmen können. Da Eltern mit einer psychischen oder Sucht­erkrankung oft davor zurückschrecken, beim Jugendamt einen Antrag zu stellen, ist dieser Anspruch mit ­einem niedrigschwelligen Zugang über Beratungsstellen kombiniert, falls es mit den Leistungserbringern entsprechende Vereinbarungen gibt.

Die kommunale Jugendhilfeplanung ist dabei verpflichtet, für ein abgestimmtes und bedarfsgerechtes Angebot zu sorgen.

Hilfen außerhalb der Familie

Manchmal erfordern es die Umstände, dass Hilfen innerhalb der ­Familien nicht ausreichen und Kinder und Jugendliche für eine Zeit oder auch auf längere Dauer außerhalb ihrer Herkunftsfamilie leben. Wenn das Jugendamt Kinder in Obhut nimmt, wird das von vielen Betroffenen als sehr belastend erlebt. Hier ist sensible, verständliche und wahrnehmbare Kommunikation auf Augenhöhe gefragt! Künftig haben Eltern auch dann einen Anspruch auf Beratung und Begleitung, wenn ihre Kinder in Pflegefamilien oder Wohngruppen aufwachsen.

Junge Volljährige werden nach dem 18. Geburtstag immer noch viel zu schnell aus geschützten Wohngruppen und Pflegefamilien gedrängt. Dieser kurzfristige Blick auf die Kosten ist für mich eine sehr kurzsichtige Politik. Junge Menschen müssen in ihrer aktuellen Lebenssituation ­gesehen werden und Bildungsabschnitte, z. B. einen Schulabschluss oder eine Ausbildung, in einem sicheren Rahmen abschließen können. Sehr wichtig ist auch, dass Einkommen aus Ausbildungsvergütungen, Schüler- oder Ferienjobs nicht zum größten Teil im Rahmen der ­Kostenheranziehung abgeführt werden müssen. Das ist sehr demotivierend. Wir begrenzen die mögliche Heranziehung jetzt auf 25 Prozent und schaffen zusätzliche Frei­beträge.

Beratung, Beteiligung, Beschwerderechte

Zu einer partnerschaftlichen Jugendhilfe gehört auch, die Adressat*innen einzubeziehen: Wir erweitern darum die Beratungsansprüche, verdeutlichen in den Verfahren nochmals die Beteiligungsrechte und schaffen auf allen Ebenen Beschwerderechte: intern in den Einrichtungen, extern und in Konfliktfällen über Ombudsstellen, die flächendeckend Beratung und Schlichtung in Konfliktfällen bieten sollen.

Ich hoffe sehr, dass dieses fachlich ausgewogene und lange verhandelte Gesetz im Mai verabschiedet werden kann.

Anmerkung: Dieser Beitrag ist entstanden, kurz bevor der Bundestag sich über die letzten offenen Punkte verständigt und das Gesetz beschlossen hat. Nun muss noch der Bundesrat zustimmen, dort steht die Reform der Kinder- und Jugendhilfe am Freitag, dem 7. Mai, auf der Tagesordnung.

Der Text stammt aus dem Landes-SGK EXTRA Bayern der DEMO-Printausgabe. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Bayern.

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