Oldenburger Aktionsplan

„Gewalt gegen Frauen ist stärker in den Fokus gerückt”

Carl-Friedrich Höck05. Juni 2023
Trügt das Bild? Anzeichen für häusliche Gewalt werden von Außenstehenden oft übersehen.
Als erste Kommune hat Oldenburg vor drei Jahren einen „Kommunalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen* und Häusliche Gewalt“ aufgestellt. Warum das sinnvoll ist, erklärt Johanna Reimann, die Gewaltschutzkoordinatorin der Stadt, im DEMO-Interview.

DEMO: Als erste deutsche Stadt hat Oldenburg im Jahr 2020 einen „Kommunalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen* und Häusliche Gewalt“ verabschiedet. Welche Gründe haben dafür den Ausschlag gegeben?

Johanna Reimann: Der Hauptgrund war es, die Istanbul-Konvention auf kommunaler Ebene umzusetzen. Deutschland hat sie im Jahr 2017 ratifiziert. Das war der Anstoß zu überlegen, wie wir das in Oldenburg strukturiert umsetzen. Auf einen Vorschlag des Gleichstellungsbüros hin hat der Sozialausschuss der Stadt 2018 einstimmig beschlossen, dass ein kommunaler Aktionsplan entwickelt werden soll. Der wurde daraufhin zwei Jahre lang erarbeitet und ist 2020 in Kraft getreten – wieder mit einem einstimmigen Beschluss des Rates. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass die Politik so geschlossen dahintersteht.

Was besagt die Istanbul-Konvention?

Der offizielle Name der Konvention verrät es schon: „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“. Sie wurde in Istanbul unterzeichnet und umfasst 81 Artikel, die zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt verpflichten. Sie soll die Gleichstellung stärken und das Recht der Frauen auf ein gewaltfreies Leben.

Ähnliche Aktionspläne gab es bereits auf Bundes- und Landesebene. Wo sehen Sie in Abgrenzung dazu die Aufgabe der Kommunen?

Johanna Reimann

Aktionspläne auf Landes- und Bundesebene sind eher struktureller Natur. Da geht es zum Beispiel um finanzielle Förderungen oder Möglichkeiten, die Gesetzeslage anzupassen. Die Istanbul-Konvention muss aber auf allen Ebenen umgesetzt werden, da sind auch die Kommunen in der Pflicht. Sie sind näher am Geschehen. Und noch näher dran als die Gleichstellungsbüros sind die Beratungsstellen, weil sie in ganz direktem Kontakt zu den Betroffenen stehen. Deshalb müssen die Kommunen bedarfsgerechte Angebote schaffen und sich anschauen: Wie ist die Bevölkerungsstruktur, wie ist die Beratungslage und wo gibt es noch Ausbaupotenzial?

Wie ist der Oldenburger Aktionsplan entstanden und wer hat daran mitgewirkt?

Die Federführung lag beim Gleichstellungsbüro. Wichtig war aber, dass wir mit allen Akteurinnen und Akteuren in den Austausch gehen: mit Beratungsstellen, dem Frauenhaus, dem Mädchenhaus, dem Präventionsrat Oldenburg und Co., aber auch mit den Ämtern der Stadtverwaltung. Es gab Arbeitsgruppen und Stellungnahmen, sodass wir alle einbeziehen konnten. Das Thema bezieht sich auf alle Bereiche und ist überall relevant.

Der Plan erklärt, welche Formen geschlechtsspezifischer Gewalt es gibt, und definiert Handlungsbedarfe. Zum Beispiel auf den Feldern Digitalisierte Gewalt, Sexistische Werbung, Stalking oder Zwangsheirat. Gab es Handlungsfelder, die aus Ihrer Sicht in der Vergangenheit zu oft übersehen oder vernachlässigt wurden?

Eher nein. Der Aktionsplan hat gerade mit Blick auf Oldenburg gezeigt, dass wir schon sehr gut dastehen und viele dieser Themenfelder gut abgedeckt sind. Natürlich gibt es immer noch Möglichkeiten, die Präventionsarbeit auszubauen. Was wichtiger wird, ist das Thema digitalisierte Gewalt. Die nimmt leider zu. Und was ebenfalls eher neu ist, ist der Ansatz, Männer als Adressaten und Bündnispartner für die Präventionsarbeit zu betrachten. Damit meine ich nicht die Täterarbeit – die gibt es auch. Sondern es geht darum, die Mehrheit der Männer, die nicht gewalttätig ist, in die Verantwortung zu nehmen und einzubinden. Dazu gehört zum Beispiel, traditionelle Rollenbilder und Stereotype von Männlichkeit und deren Folgen zu hinterfragen.

Was kann eine Kommune auf diesen Gebieten konkret machen?

Gegen digitalisierte Gewalt hilft Aufklärung und Sensibilisierung. Da können Kommunen viel tun, etwa Informationsveranstaltungen organisieren oder Weiterbildungen für Fachkräfte anbieten, die zum Beispiel mit Kindern zusammenarbeiten. Was kann man gegen digitalisierte Gewalt unternehmen? Wie erkenne ich eine Spy-App auf meinem Smartphone? Solche Kenntnisse muss man vermitteln. Auch bei der Männerarbeit hilft Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung. In Oldenburg haben wir das Glück, dass wir jetzt einen neuen Kollegen bekommen, der sich schwerpunktmäßig um diese Themen kümmern wird.

Ein wichtiges Element des Plans ist die Bestandsaufnahme: Es wird ausführlich aufgelistet welche Präventions- und Interventionsangebote es in der Stadt bereits gibt. Zu welchen Erkenntnissen hat das geführt?

Zum einen, dass wir in Oldenburg wirklich schon gut aufgestellt sind. Wir haben ein sehr breites Feld an Beratungsstellen. Da ist viel Expertise vorhanden und die Mitarbeitenden zeigen hohes Engagement. Trotzdem listet der Plan fast 90 Maßnahmen, wo wir noch etwas aufbauen oder Themen stärker in den Blick nehmen können. Der Aktionsplan hat auch gezeigt, dass die Vernetzung zwischen den verschiedenen Stellen gut funktioniert. Das müssen wir unbedingt erhalten!

Wie hat sich der Aktionsplan auf die kommunalpolitische Praxis ausgewirkt? Was hat sich in Oldenburg seit 2020 konkret verändert?

Das Thema Gewalt gegen Frauen ist noch stärker in den Fokus gerückt. In Oldenburg wird nicht mehr die Frage gestellt, ob man da etwas tun muss. Das Bewusstsein dafür ist gewachsen, dass das Thema relevant ist und man dafür auch Geld in die Hand nehmen muss. Sei es, um eine Stelle für Männerarbeit zu besetzen, oder für öffentlichkeitswirksame Kampagnen. Ich spüre da einen großen Rückhalt aus der Politik.

Im Mai 2023 wurde der Oldenburger Aktionsplan beim Bundeskongress der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten vorgestellt. Wie wurde er diskutiert und haben andere Kommunen mittlerweile nachgezogen?

Es ist deutlich geworden, dass viele Kommunen die Istanbul-Konvention auf dem Schirm haben und mit der Umsetzung beginnen möchten. Manche schienen positiv überrascht, dass der Oldenburger Stadtrat den Aktionsplan wirklich einstimmig beschlossen hat. Und es gab ein großes Interesse daran, wie wir die Umsetzung des Plans organisieren. Dafür bin ich in Oldenburg zuständig und leite eine interne Projektgruppe, die sich aus verschiedenen Verwaltungsbereichen zusammensetzt.  

Aber so ein Plan ist natürlich nicht der einzige Weg, die Istanbul-Konvention umzusetzen. Für meine Arbeit ist er eine tolle Basis. Er hilft, strukturiert vorzugehen und verschiedene Schwerpunkte geordnet zusammenzuführen. Aber die Erstellung hat auch viel Zeit gekostet. Deshalb kann ich nachvollziehen, dass andere Kommunen zum Beispiel lieber mit Arbeitsgruppen beginnen, die sich einzelnen Themenschwerpunkten widmen. Welcher Ansatz für eine Stadt oder Gemeinde der richtige ist, hängt immer auch davon ab, welche Ressourcen zur Verfügung stehen, wie groß der Rückhalt für das Thema ist und wie die Strukturen vor Ort aussehen.

 

Mehr Informationen zum Aktionsplan:
oldenburg.de