Aufarbeitung der Vergangenheit

Hamburgs schwieriges Erbe

Susanne Dohrn 11. Dezember 2020
Zwei überlebensgroße Keramik-Reliefs in einem Hamburger Park, errichtet 1939 von den Nationalsozialisten in Erinnerung an den Feldzug unter General Paul von Lettow-Vorbeck in der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Über den Umgang mit dem Ensemble wird diskutiert.
Die Hansestadt war Deutschlands Tor zur kolonialen Welt. Mit ihrer Geschichte ist jahrhundertelange Unterdrückung in Übersee tief verwoben. Die Aufarbeitung hat begonnen

Als erstes traf es zwei Kolonial­offiziere: 1968 stürzten Hamburger Studenten Herrmann von Wissmann und Hans Dominik von ihren Sockeln vor der Universität. Der eine hatte in Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, der andere in Kamerun eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Es war der Beginn einer Auseinandersetzung mit der Hamburger Kolonial­geschichte, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Erst nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Hansestadt einen großen Teil ihres Reichtums der Ausbeutung von Kolonien, vor allem in Afrika, verdankt. „Hamburg war jahrhundertelang eine zentrale ­Kolonialmetropole Europas. Deshalb haben wir eine besondere Verantwortung, uns der Vergangenheit zu stellen“, sagt Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) im Gespräch mit der Demokratischen Gemeinde (DEMO).

Beginnend im 17. Jahrhundert gründeten Hamburger Kaufleute Niederlassungen in Übersee, handelten mit Rohstoffen und auch Sklaven. In einem Palais in der Nähe der Hauptkirche St. Michaelis residierte im 18. Jahrhundert Carl Heinrich von Schimmelmann, ein „Stinkreicher Sklaventreiber“ (Hamburger Morgenpost), Plantagenbesitzer, Zucker- und Waffenfabrikant. Die zwischen 1883 und 1927 erbaute Speicherstadt, ­heute UNESCO-Weltkulturerbe, diente der Lagerung von Kolonialwaren. Viele prachtvolle Gebäude in Hamburg wurden mit Geld aus dem Handel und der Ausbeutung von Kolonien erwirtschaftet. Vor dem Eingang zum „Afrikahaus“ in der Innenstadt steht die Bronzestatue eines ­Wahehe-Kriegers. Der ostafrikanische Stamm hatte sich in den 1890er Jahren erfolglos gegen die deutsche Kolonialmacht gewehrt.

Den Zugang zum Innenhof zieren zwei lebensgroße Elefanten aus Guss­eisen. Das repräsentative Gebäude ließ der Hamburger Kaufmann und Reeder Adolph ­Woermann 1899 errichten. Reich wurde er unter anderem mit dem Import von Kautschuk und Palmöl sowie dem Export von Waffen und Alkohol in die deutsche Kolonie Kamerun. Seine Schiffe legten vom ­Baakenhafen gegenüber der ­HafenCity ab, an Bord 1904 auch kaiserliche Schutztruppen, die in der Kolonie Deutsch Südwestafrika, heute Namibia, den Aufstand der Herero und Nama in einem Vernichtungskrieg unter General Lothar von Trotha niederschlugen. Die 1919 gegründete Universität der Stadt ging aus dem 1908 entstandenen ­Kolonial-Institut hervor.

Nazi-Kunst und Kolonial-Offiziere

Man könne in Hamburg kaum 200 oder 300 Meter weit gehen, ohne an einem Erinnerungsort der Kolonialzeit vorbeizukommen, sagt Professor Jürgen Zimmerer. Er leitet die 2014 geschaffene Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ der Universität. Sie ist Teil des Aufarbeitungsprozesses, den der Senat 2014 beschlossen hat. Ein runder Tisch aus Initiativen, Gruppen Schwarzer Menschen und People of Color, Kultur, Verwaltung und Politik soll das post­koloniale Erinnerungskonzept weiterentwickeln.

Im April 2019 hat Kultursenator Brosda einen Beirat aus 14 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Kultur, Bildung, Kunst, Medien, Soziales und Wirtschaft einberufen, der seine Behörde als Fachgremium in Fragen der postkolonialen Erinnerungskultur berät und Empfehlungen zu Fragestellungen und Projekten abgibt. Das reicht von der Aufarbeitung der Museumsbestände bis zum Umgang mit Straßennamen, die neu zu benennen sind oder deren historischer Kontext transparent gemacht werden soll.

Umstrittene Keramik-Reliefs

Wie viel noch zu tun ist, zeigt ein Park in Hamburg-Jenfeld. Verborgen hinter einem verschlossenen Tor stehen zwei überlebensgroße Keramik-Reliefs, geschaffen 1939 in Erinnerung an den Feldzug unter General Paul von Lettow-Vorbeck in der Kolonie Deutsch-Ost­afrika. In dessen Verlauf kamen zwischen 1914 und 1918 etwa eine halbe Million Menschen, vorwiegend afrikanische Zivilisten, ums Leben. Der Feldzug wurde in den Jahren nach 1918 als deutsche „Heldentat“ verklärt, so die Erklärung auf einer Tafel. Die Reliefs gehörten zum Denkmalensemble der 1934 von den Nationalsozialisten erbauten Lettow-Vorbeck-Kaserne. Bis 1999 militärisch genutzt, wurden 2010 große ­Teile für das Wohngebiet „Jenfelder Au“ abgerissen.

Das Ensemble um den „Kleinen Exer­zierplatz“ blieb erhalten und mit ihm die Porträtreliefs von Kommandeuren der deutschen Kolonialtruppen in Ostafrika an den Gebäudefassaden. Bis auf die des oben genannten Generals von ­Trotha sind sie unkommentiert. „Dürftig“, nennt das Hannimari Jokinen vom Arbeitskreis Hamburg Postkolonial. Der Arbeitskreis sitzt mit am Runden Tisch und fordert, aus dem Ensemble einen postkolonialen Lern- und Gedenkort zu machen, an dem auch der zahlreichen afrikanischen Opfer gedacht und der ­Widerstand gegen die koloniale Unterdrückung gewürdigt wird.

Unter welchem Gewaltsystem Menschen in den Kolonien u. a. Kautschuk, Öle und Kakao gewannen, die in Hamburg zu industriellen Massenprodukten wie Kämmen, Reifen, Kerzen oder Seifen verarbeitet wurden, zeigt die Ausstellung „Grenzenzlos, Kolonialismus, Industrie und Widerstand“. „Die Ausbeutung hat für Wohlstand im globalen Norden gesorgt“, sagt Christopher ­Nixon, einer der Kuratoren. Das gelte bis heute: „Rohstoffe für die Batterie­industrie wie Kobalt im Kongo oder Lithium in Argentinien und Chile werden unter menschenverachtenden und menschenrechtsverletzenden Bedingungen gewonnen und Naturräume zerstört.“ Die Ausstellung ist bis April 2021 im ­Museum der Arbeit zu sehen.

Umgang mit Bismarck-Denkmal

Das Bismarck-Denkmal am Hamburger Hafen hat ebenfalls einen kolonialen Hintergrund. „Mit seinem Bau haben Hamburger Kaufleute dem Reichskanzler auch dafür gedankt, dass ihre ­Außenhandelsposten als Kolonien unter Reichsprotektorat gestellt und damit sicherer wurden“, sagt Brosda. Über den Umgang mit dem Denkmal soll eine Konferenz 2021 diskutieren. Der Kultursenator: „Wir wollen, dass man erfährt, was für eine Geschichte dahintersteht.“ Ihm geht es darum zu verstehen, „wie koloniale Verflechtungen funktioniert haben, welche Verbrechen begangen wurden, und wie wir uns heute dazu verhalten“. Damit verbindet er die ­Hoffnung, „dass wir uns als Gesellschaft in die Lage versetzen, aufgeklärt und ­zivil mit kulturellen Unterschieden umzugehen.“