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Hibba Kauser: von der Flüchtlingsunterkunft zur SPD-Kommunalpolitikerin

Jonas Jordan11. März 2024
Hibba Kauser ist SPD-Kommunalpolitikerin in Offenbach.
Hibba Kauser wird in einer Flüchtlingsunterkunft in Brandenburg geboren. Im hessischen Offenbach erzielt sie bei der Kommunalwahl 2021 das zweitbeste SPD-Ergebnis. Nun wird die 24-Jährige mit dem Helene-Weber-Preis für engagierte Kommunalpolitikerinnen ausgezeichnet.

Der Flieger stand schon bereit. Als sie drei Jahre alt war, sollte Hibba Kauser mit ihrer Familie abgeschoben werden. Ein Anwalt verhinderte das in letzter Minute. Ihr Leben wäre sonst wohl ganz anders verlaufen. Heute ist sie 24 Jahre alt, SPD-Stadtverordnete in Offenbach und wird im März mit dem Helene-Weber-Preis für herausragende Kommunalpolitikerinnen ausgezeichnet. Diese Nachricht erhielt sie, während sie für die Tafel unterwegs war. „Ich war niedergeschlagen, weil wir an diesem Tag nur wenige Lebensmittel hatten. Als der Anruf kam, war ich happy, weil das für mich unerwartet kam.“ Jeden Mittwoch versorgt sie Bedürftige. In Offenbach lebt jedes fünfte Kind in Armut.

In dieser Woche zwang der Winter sie zur Pause. „Schnee in Offenbach, das ist auch was Besonderes“, sagt Kauser, während sie fröhlich mit der Rolltreppe von der S-Bahn-Station zum Offenbacher Marktplatz hochfährt, auf dem noch Reste des Wintereinbruchs zu sehen sind. Gerade kommt sie aus Mainz. Dort studiert sie Soziologie und Politikwissenschaft. Für sie ist nach dem Seminar meist vor dem Ehrenamt.

Wie Offenbach zur Offenbarung wurde

Dabei war bei ihr zu Hause Politik nie ein Thema. „Wir hatten viel existenziellere Sorgen. Meine Eltern mussten gucken, dass wir über die Runden kommen.“ Weil sie in Pakistan aufgrund ihrer Religion verfolgt wurden, flohen ihre Eltern nach Deutschland. Hibba-Tun-Noor Kauser wird 1999 in einer Flüchtlingsunterkunft in der brandenburgischen Provinz geboren. Eine Lehrerin verhinderte später, dass sie in der Schule angefeindet wurde. Ihr Vater und ihre zwei älteren Brüder erlebten Beleidigungen und körperliche Gewalt.

Als sie acht Jahre alt war, zog die Familie nach Offenbach. Eine Offenbarung. „Ich habe gesehen, wie bunt die Welt sein kann“, sagt Kauser. Sie war ein schüchternes Mädchen. „Meistens war ich diejenige, bei der man in der Schule sagen musste: ,Sprich mal lauter! Sprich mal deutlicher!‘“, erzählt sie.

Heute ist das anders. Zielstrebig läuft sie wenige Hundert Meter zum Döner-Imbiss „Ye Babam Ye“. Hier erklärt sie Schulklassen Kommunalpolitik. „Dafür brauche ich kein schickes Restaurant. Hier bin ich näher bei den Menschen“, sagt sie. Kauser erzählt gerne und viel, immer mit einem Lächeln. Ernst wird sie, wenn sie über Flüchtlings- und Migrationspolitik spricht, an der es aus ihrer Sicht manches zu kritisieren gibt. „Ich möchte, dass wir endlich gehört werden“, sagt sie über Menschen, die wie ihre Familie Fluchterfahrungen gemacht werden.

Der Juso-Chef überzeugt sie

Währenddessen wird ihr Falafel-Dürüm allmählich kalt. „Macht nichts, den Rest lasse ich mir einpacken“, sagt sie, wirft sich schnell ihren schwarzen Mantel über und weiter geht’s zum fünf Gehminuten entfernten Parteibüro. Das erinnert an eine Mischung aus Jugendclub und Studenten-WG. An der Wand hängt ein älteres Foto des Juso-Bundesvorsitzenden Philipp Türmer. Als Hibba Kauser 14 Jahre alt ist, spricht er sie vor ihrer Schule an: „Du kannst gerne mal zu einer Sitzung vorbeikommen.“ Noch am selben Abend geht sie hin. „Es war Winter, wurde früh dunkel. Meine Freundinnen wollten nicht mitkommen, aber ich bin trotzdem hin.“

Seit drei Jahren ist sie selbst Juso-Vorsitzende in Offenbach und Mitglied des Juso-Bundesvorstands. Wenn sie dort heute Türmer trifft, schmunzeln die beiden über Anekdoten von früher. Bei der Kommunalwahl im Jahr 2021 erzielte sie nach Oberbürgermeister Felix Schwenke das beste SPD-Ergebnis und zog ins Stadtparlament ein. Sie ist Mitglied im Jugendhilfeausschuss, der an diesem Abend im Rathaus tagt. Auf dem Weg dorthin trifft sie einen Freund von den Jusos. „Kommst du nachher?“ Jugendhilfeausschuss, Stadtverordnetenversammlung, Kommunalpolitik, für viele junge Menschen mag das dröge wirken. Wenn Kauser darüber spricht, wirkt es cool.

Den Pförtner im Rathaus nennt sie einen Freund. „Nur für die junge Dame“ fährt er mit in den 15. Stock, öffnet die Tür für einen Raum mit Panoramablick über Offenbach, den Main und die Nachbarstadt Frankfurt am Horizont. Wenige Tage später steht sie dort auf dem Römerberg vor dem Rathaus am Mikrofon, spricht auf der Demonstration gegen Rechtsextremismus vor mehr als 50.000 Menschen. Sie ruft: „Schaut hin, wenn Ungerechtigkeit passiert! Schaut hin, wenn Menschen diskriminiert werden! Mischt euch ein, geht auf die Straße, seid laut!“

 

Dieser Text wurde zuerst auf vorwaerts.de veröffentlicht.

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