Integration

Sport spricht alle Sprachen

Susanne Dohrn 14. Februar 2023
Freuen sich über den Preis: Von links oben: Hans Jacob Tiessen, LSV Präsident, Karsten Tiedemann, KSV Geschäftsführer, Thomas Niggemann, LSV Geschäftsführer Breitensport, Timo Schirmacher, EMTV Vereinsmanager, Antje Dingler, EMTV Jugendsportleiterin, Uwe Altemeier, EMTV Vorstand / Unten von links: Brita Mehrens, EMTV-Inklusionsteam, Tanja Kerwat, VR-Bank in Holstein, Bettina Fischer, Bürgerstiftung der VR-Bank in Holstein, Mehmet Karakavak, EMTV-Integrationsbeauftragter, Zhanna Leshchinskaya, EMTV Fitnesstrainerin, Maren Caffi, EMTV- Integrationsteam, Anastasiia Zozulia, EMTV- Integrationsteam, Arne Hirsch, EMTV-Geschäftsführer, Uwe Augustin, Vorstand VR-Bank in Holstein
Zusammen Sport treiben, egal woher man kommt – der Elmshorner Verein EMTV zeigt seit vielen Jahren, wie Integration in Kommunen funktioniert. Dafür wurde er nun von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgezeichnet.

Als im Februar vergangenen Jahres der Krieg in der Ukraine ausbrach und die ersten Flüchtlinge eintrafen, handelte der Elmshorner Sportverein EMTV sofort. Im Tennisheim wurde ein Treffpunkt-Café eingerichtet, als Anlaufstelle für Ukrainerinnen, ihre Kinder, Gastfamilien, Helfer*innen und Übersetzer*innen. Zu einem der ersten Treffen kam auch Zhanna Leshchinskaya. Gerade erst war sie mit ihrer erwachsenen Tochter aus der Millionenstadt Charkiw geflohen, wo sie als Fitnesstrainerin gearbeitet hatte. Nun wohnt sie in einem 30 Kilometer entfernten 2.500-Seelen-Dorf. Ihr Angebot: „Ich kann Fitnessstunden für geflüchtete Ukrainerinnen geben.“

Inzwischen unterrichtet die 53-Jährige mit der dunkelbraunen Lockenmähne auch noch einen Kurs für Frauen aus dem Nahen Osten und Afghanistan. „Es macht mir Freude, selbst Menschen zu unterstützen“, erzählt sie. Viermal die Woche besucht sie einen Deutschkurs und bereitet sonntags eine Aufführung für den 24. Februar vor. An diesem Tag jährt sich der Kriegsausbruch. Beim Übersetzen hilft, wie auch an diesem Nachmittag, Anastasiia Zozulia. Die Ukrainerin kam vor fünf Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland, bereitet sich nun auf das Abitur vor und macht zudem eine Ausbildung zur Integrationslotsin.

Integration braucht offene Türen

„Man muss Begegnungswillen mitbringen, muss zeigen: du bist herzlich willkommen“, so beschreibt der stellvertretende Vorsitzende des EMTV Uwe Altemeier die Grundeinstellung des Vereins. Einfach nur eine Tür aufschließen und warten, dass jemand kommt, reiche nicht. „Integration braucht Menschen, die Vertrauen herstellen können“, ergänzt Mehmet Karakavak. Der Integrationsbeauftrage des Vereins ist professioneller Brückenbauer. 1969 kam er als Sechsjähriger mit seinen Eltern nach Elmshorn und lernte so schnell Deutsch, dass er schon als Kind bei Ämtern oder der Polizei übersetzte, denn Anfang der 1970er gab es in kleinen Städten kaum professionelle Übersetzer.

Nach dem Schulabschluss arbeitete er als Maschinenbauer und technischer Produktdesigner, doch das Herz des Freizeit-Fußballtrainers schlug immer für den Sport und die interkulturelle Kommunikation. Seit 2013 kümmert er um die Integrationsarbeit des EMTV, zunächst neben seinem Beruf. Nach einer Integrationslotsen-Ausbildung beim Landessportverband ist er seit 2021 hauptamtlich als Integrationsbeauftragter tätig. Karakavak: „Hier sehe ich meine Zukunft.“ Seine Stelle wird zu 70 Prozent aus Mitteln des Programms „Integration durch Sport” der Bundesregierung finanziert. Die restlichen 30 Prozent werden vom Verein übernommen.

Engagement, Spenden und Zuschüsse

Fuhren zur Ehrung beim Bundespräsidenten nach Berlin: Die ukrainische Fitness-Trainerin Zhanna Leshchinskaya und der Integrationsbeauftragte Mehmet Karakavak. Bildquelle: © BVR / DOSB

Als die ersten Ukrainerinnen kamen, organisierte Karakavak mit seinem Team die EMTV-Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt, mit deren Hilfe fast 100 Flüchtlinge ein gebrauchtes Fahrrad erhielten, organisierte Radfahrkurse, Fahrradausflüge und Fahr-Sicherheitstrainings. Die Bürgerstiftung Elmshorn spendete Helme. Wie gut Integration durch Sport beim EMTV funktioniert, zeigte der Stadtlauf 2022, an dem auch geflüchtete Frauen aus Afghanistan teilnahmen. „Sport spricht alle Sprachen“ beim EMTV wird dieser Anspruch gelebt – vom Vorstand, den Mitarbeiterin und Mitarbeitern, den Mitgliedern und der Stadt. Die Sportförderung, insbesondere des vereinsorganisierten Sports, hat in der Stadt einen hohen Stellenwert. Unter anderem entlastet die kostenlose Nutzung der städtischen Sporthallen den Trainingsbetrieb der Elmshorner Sportvereine ungemein.

Außerdem gewährt die Stadt Elmshorn jährlich Zuschüsse unter anderem für die Erweiterung, Sanierung und Unterhaltung vereinseigener Anlagen, für den Kinder- und Jugendsport, die Übungsleiterausbildung, die Anschaffung von Sportgeräten, Integrationsprojekte wie den Mitternachtssport für Jugendliche und vieles mehr. 2022 waren es insgesamt 132.326 Euro. Für Flüchtlinge, die sich die Mitgliedschaft nicht leisten können, übernehmen Paten die Vereinsbeiträge. „Wir können nicht zusammen sprechen, aber wir fühlen miteinander“, bringt es eine von Zhannas Kurs-Teilnehmerin auf den Punkt.

Olympiamedaille für Sportvereine

Vereine, die sich über ihr sportliches Angebot hinaus besonders engagieren, können sich für die „Sterne des Sports“ bewerben. Deutschlands bedeutendste Auszeichnung für das gesellschaftliche Engagement von Sportvereinen wird vom Deutschen Olympischen Sportbund und den Volksbanken Raiffeisenbanken verliehen. 17 Projekte aus den Bundesländern beteiligten sich in diesem Jahr. Der EMTV erhielt den mit 2.000 Euro dotierten Publikumspreis. „Das ist der Preis der Herzen“, freut sich Vorstandsmitglied Uwe Altemeier. Zhanna Leshchinskaya und Mehmet Karakavak nahmen ihn stellvertretend für all die anderen Engagierten des EMTV am 23. Januar 2023 in Berlin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entgegen. „Die Atmosphäre war toll. Ich bin sehr dankbar, dass ich dort sein durfte“, sagt die Ukrainerin. Dann verabschiedet sie sich. Freitags trifft sich das Treffpunkt-Café und danach gibt sie eine ihrer Fitness-Stunden, bevor sie sich mit Bus und Bahn auf den Rückweg in ihr Dorf macht.