Mobilität

Ungewöhnliches Bündnis fordert: „Verkehrswende ganzheitlich denken“

Karin Billanitsch10. Januar 2024
Fahrrad, Zug oder andere Verkehrsmittel wie das Auto: Sie müssen strategisch zusammen betrachtet werden, damit eine Verkehrswende gelingt. Dafür tritt ein Bündnis verschiedener Verbände in Berlin ein.
Gewerkschaften, Schienen- und Fahrradverbände werben für eine neue Orientierung in der Verkehrspolitik. Sie fordern, die einzelnen Verkehrsträger in einer Gesamtschau zu betrachten.

 Die Gewerkschaften EVG und IG Metall, die Fahrradverbände ADFC und Zukunft Fahrrad, dazu die Allianz pro Schiene – es ist ein ungewöhnliches Bündnis, dass sich zusammengetan hat, um eine „Zeitenwende“ in der Verkehrspolitik zu fordern. Ungewöhnlich deshalb, weil normalerweise jede Organisation ihre eigenen Interessen verfolgt. Ziel des Bündnisses ist ein Bekenntnis zu einer Politik, die die einzelnen Verkehrsträger zusammen betrachtet.

Flege: „Raus aus den Schützengräben“

„Ein Jahr nach dem ersten sogenannten Mobilitätsgipfel der Bundesregierung müssen wir leider konstatieren, dass die Verkehrswende immer noch nicht bei der Bundesregierung angekommen ist“, stellte Dirk Flege, der Geschäftsführer von Allianz pro Schiene, fest. Er kritisierte, dass die Bundesregierung weiterhin jedes Verkehrsmittel isoliert betrachte und nicht ganzheitlich-strategisch angehe. „Wir sollten raus aus den Schützengräben“, so Flege.

Wie ein einheitlicher Masterplan Mobilität aussehen könnte, zeige Österreich mit gutem Beispiel, führte Flege aus. Das Land habe einen Mobilitätsplan 2035, der vom dortigen Umwelt-, Klima-; und Verkehrsministerium initiiert und ausgearbeitet und „mit den Verbänden aller Verkehrsträger abgestimmt“ worden sei, so Flege. Er wünscht sich für Deutschland einen entsprechenden Kabinettsbeschluss, „aber die Initiative müsse von Bundesverkehrsministerium ausgehen“, sagte er an die Adresse von FDP-Verkehrsminister Volker Wissing gerichtet.

Die wichtigste Stellschraube für eine gelingende Verkehrswende ist deren Finanzierung, wie Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Martin Burkert betonte. Allein im Schienennetz bezifferte er den Investitionsstau auf 90 Milliarden Euro. Er forderte, die Infrastrukturfinanzierung neu auszurichten und langfristiger anzulegen. Burkert: „Es braucht einen verkehrsträgerübergreifenden Infrastrukturfonds nach Schweizer Vorbild, der für mehrere Jahre aufgestellt wird.“

Straßenverkehrsrecht reformieren

Dabei müssten die Prioritäten neu gesetzt werden: Autos und Bundesstraßen gebe es genug. Anstatt weitere Milliarden für Autobahnen zu verbuddeln, könnte mehr Geld in Schienenstrecken und Radwege gesteckt werden. Auch dass Fluggesellschaften weiterhin bevorzugt würden, ist für Burkert fragwürdig.

Nicht nur beim Schienennetz, auch bei der Fahrradinfrastruktur sieht das Bündnis großen Nachholbedarf. ADFC-Bundesvorsitzender Frank Masurat sagte: „Um das im nationalen Radverkehrsplan vereinbarte Ziel von doppelt so viel Radverkehr bei mehr Sicherheit bis 2030 zu erreichen, muss das Straßenverkehrsgesetz (StVG) reformiert werden.“ Bisher behindere das auf den Straßenverkehr ausgerichtete Gesetz den Ausbau von Radwegen eher: „Kommunen müssen einen bürokratischen Hindernislauf ohnegleichen hinlegen, um ihre Konzepte umsetzen zu können“, beklagte Masurat.

Hintergrund: Der Bundestag hat das Gesetz zur Reform des StVG beschlossen, der Kommunen mehr Spielraum gibt. Doch jetzt stünden einige Bundesländer auf der Bremse. „Das ist nicht nachvollziehbar!“, kritisierte Masurat und appellierte an Bund und Länder, sich in dieser Legislatur zu einigen. Dafür müsste der Vermittlungsausschuss angerufen werden.

Steuerliche Anreize schaffen

Außerdem sollte die Bundesregierung ihre steuerlichen Lenkungsinstrumente ausnutzen, forderte Elena Laidler-Zettelmeyer von Zukunft Fahrrad. Die am wenigsten klimaschädlichen Verkehrsmittel müssten am stärksten gefördert werden“, hieß es. Ganz aktuell könnten sogar im noch ausstehenden Jahressteuergesetz Weichen gestellt werden: Dabei brachte Laidler-Zettelmeyer „Mobilitätsbudgets für Dienstfahrräder“ ins Spiel. Dienstliche Mobilität sei ein riesiger Hebel bei 56 Millionen Erwerbstätigen. Die Idee dabei ist, dass Beschäftigten vom Unternehmen ein monatliches Budget zur Verfügung gestellt wird, das sie frei nutzen können. Dafür ist es indes nötig, die steuerlichen Regeln zu vereinfachen.

Dass die Verkehrswende Folgen hat, die unter Umständen abgefedert oder gestaltet werden müssen, machte Jürgen Kerner, der zweite Vorsitzende der IG Metall, deutlich. „Viele machen sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze.“ Deshalb müsse man veränderte und neue Arbeitsplätze mitdenken und deren Qualität sichern. Der Wandel müsse fair, sozial und gerecht sein. Hier sieht Kerner die Politik auch in der Pflicht: durch aktive Industriepolitik, gute Weiterbildungsinstrumente und Innovationsförderung. Kerner verlangte auch, per Gesetz sicherzustellen, dass mindestens 50 Prozent der Busse und Bahnen „made in Europe“ sind, wenn die öffentliche Hand Fahrzeuge beschafft.

Flankiert werden soll die einheitliche Verkehrswende-Politik nach den Vorstellungen der Bündnispartner mit einer „gesetzlich verankerten Mobilitätsgarantie für alle Menschen in Deutschland“. In Österreich und der Schweiz gibt es das schon. „Das bedeutet Mindeststandards im ganzen Land und einen Anspruch auf Mobilitätsdienstleistungen“, betonte Dirk Flege.

 

Mehr Informationen:
Download Gemeinsames Positionspapier von ADFC, Allianz pro Schiene, Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), IG Metall und Zukunft Fahrrad: „Die Verkehrswende starten – ökologisch, ökonomisch, sozial”

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