Gartz

Oder-Fischsterben: Schatten über der Idylle

Harald Lachmann14. Oktober 2022
Burkhard Fleischmann, Ortsbürgermeister in Gartz (Oder)
Das Städtchen Gartz leidet unter dem ominösen Fischsterben in der Oder. Der couragierte SPD-Bürgermeister Burkhard Fleischmann hat dennoch weiterhin große Pläne.

Burkhard Fleischmann steht am Oderufer, lehnt an einen Grenzpfahl und versucht zu lächeln. Und er hätte eigentlich auch Grund dazu. Sogar aus Berlin und Stettin kommen Besucherinnen und Besucher hierher, um zu angeln, den Oderradweg entlang­zustrampeln, Boot zu fahren oder See­adler am Himmel kreisen zu sehen. Gartz ist ein beschauliches, naturnahes Kleinod direkt an der Grenze zu Polen – und es hat erfolgreiche Jahre hinter sich. „Mehr als 25 Millionen Euro haben wir hier investiert, etwa in die Infrastruktur“, erzählt der zupackende SPD-Mann, der in der 2.500-Seelen-Stadt seit 2008 als ehrenamtlicher Bürgermeister agiert. Selbst aus mancher größeren Kommune der Uckermark schaue man da etwas neidvoll, sinniert er. „Und im Sommer ist es in Gartz natürlich am schönsten.“ Auch die kopfsteingepflasterte Straße „Am Wasser“ mit der kleinen Marina, dem Eiscafé und dem Imbiss für Wasserwanderer, die sich am Ufer entlangschlängelt, sei dann stets gut besucht. Alles gehört zum deutsch-polnischen Internationalpark „Unteres Odertal“.

Der Gestank war schlimm

Doch so richtig zum Lachen zumute ist es Burkhard Fleischmann gerade nicht. Denn die Ereignisse, die auch Gartz im August bundesweit in die Schlagzeilen brachten, rührten nicht aus jener Idylle, sondern aus anderen Gründen: Tonnenweise strandeten auch hier verendete Oderfische. Am schlimmsten sei der Gestank gewesen, erinnert sich Wirtin ­Kathi, die direkt am Ufer den Imbiss „Am Pegelhaus“ führt. Freiwillige hatten geholfen, sie aufwendig zu entsorgen. Schließlich sei dies Sondermüll gewesen, erzählt ein Mann, der bei ihr einen ­Kaffee trinkt. Er ist der einzige Gast. Weit und breit keiner der sonst zahlreichen Angler. Auch an der Marina schaukelt ­lediglich eine Yacht am Steg. „Ein Trauerspiel“, flucht die temperamentvolle Frau. „Wochenlang kaum Einnahmen!“ Denn die Behörden der anrainenden Landkreise gaben, nachdem sie anfangs gar nicht reagiert hatten, Mitte August plötzlich rigide Gefahrenwarnungen aus. Man sollte die Oder komplett meiden, nicht angeln, nicht paddeln. Die Freibäder, etwa in Schwedt, machten dicht. Tragisch auch für die Berufsfischer der Region wie Lutz Zimmermann, der in Gartz ­sogar Störe züchtet.

Verschärft wurde alles durch die vielen Fragezeichen, die über dem ominösen Fischsterben hingen. Keiner kannte die Ursachen, auch wenn bald klar schien, dass es sich wohl um schädliche Einleitungen auf polnischer Seite handelte. Keiner konnte das ganze Ausmaß abschätzen. Umso panischer wirkte die Berichterstattung. Auch Burkhard Fleischmann ist kein Fischereiexperte. Doch er lebt sein ganzes Leben hier, so weiß er: „Fischsterben ist nicht so neu an der Oder. Das gab es seit Jahrzehnten immer mal wieder, weil Anrainer ihre Abfälle in den Fluss einleiteten, auch auf deutscher Seite...“ Dass es diesmal wohl haariger – besser wohl: schuppiger – zuging, mag er nicht abstreiten.

Lange Suche nach Ursachen

Inzwischen sind die Warnungen aufgehoben. Doch Fleischmann ärgert, dass auch Wochen später belastbare Aussagen zu den Ursachen der Tragödie fehlen. Dabei traf sich schon im August Umweltministerin Kerstin Lemke (Grüne) mit ihrer polnischen Amtskollegin, wurden Wasserproben in Hamburger Speziallabore geschickt, rückten Experten zuhauf an. Halb bedeckt sprach man zunächst nur von einer unglücklichen Gemengelage aus zu starkem Salzgehalt, Niedrigwasser, zu hohen Temperaturen und giftigen Algen. Inzwischen räumte Lemke ein, dass Hunderte chemische Substanzen als Mitverursacher der Katastrophe infrage kämen.

Fleischmann befürchtet, dass die Wahrheit vielleicht nie ganz ans Licht kommen  wird, und warnt davor, Informationen zurückzuhalten. Das erzeuge Unmut. Wenn Politik die Menschen erreichen wolle, müsse sie ehrlich sein. Sonst heiße es: „Die halten wieder etwas unterm Deckel“.

Dem großgewachsenen, schlanken Sozialdemokraten sieht man übrigens seine 72 Jahre nicht an. Dennoch hatte er zur Kommunalwahl 2019 beschlossen, etwas kürzer zu treten. Nun ist er nicht mehr Rathauschef der Gesamtkommune, zu der vier Orte gehören, sondern fokussiert sein kommunalpolitisches Tun auf die Kernstadt Gartz. Mit klarer Mehrheit war er hier erneut zum Ortsbürgermeister gewählt worden. Aber große Pläne treiben ihn weiter um: Direkt in Gartz soll mal eine Brücke nach Polen führen. In der Ortslage plant er einen umweltgerechten Campingplatz. Und er verhandelt mit Investoren über ein attraktives Altenheim direkt am Strom. „Manchmal denke ich, ich habe noch immer einen Vollzeitjob“, meint er. Und nun lacht er doch wieder zufrieden.

Dieser Artikel stammt aus dem „vorwärts-kommunal”, den Extra-Seiten für sozialdemokratische Kommunalpolitik im vorwärts.

weiterführender Artikel