Erinnerung

Die „Liberation Route Europe“ ist Mahnung und Auftrag

Bernd Neuendorf12. Dezember 2020
Schweres Infanteriegeschütz der deutschen Streitkräfte im Wald von Hürtgen, aufgenommen am 22. November 1944
Das internationale Projekt erinnert an den Vormarsch der Alliierten zur Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus.

Natürlich kommen viele Menschen, um die unberührte Natur zu genießen, die klaren Bäche und die tiefen, mystischen Wälder. Doch wer eine Wanderung durch den Hürtgenwald unternimmt, stößt zwangsläufig auch auf die Spuren einer der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Hier in der Eifel fanden vom Oktober 1944 bis zum ­Februar 1945 Zehntausende Angehörige der Wehrmacht und der US-Streitkräfte in erbitterten Kämpfen den Tod.

Es war die längste Schlacht des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden. Der spätere Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway, der damals für ein US-Magazin von der Front berichtete, hat die furchtbaren Ereignisse später im Roman „Über den Fluss und in die Wälder“ verarbeitet. Heute zeugen unter anderem Soldatenfriedhöfe, zahlreiche Denkmäler und Gedenksteine von den  Ereignissen vor 76 Jahren.

„Frieden, Versöhnung und Einheit“

Aber nicht nur das: Mitten durch den im Kreis Düren gelegenen Hürtgenwald führt heute auch die „Liberation Route Europe“. Von Südengland bis Danzig wird mit diesem Projekt an den Vormarsch der Alliierten zur Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus erinnert. Die Route soll Geschichte erlebbar und verständlich machen. „Die ‚Liberation Route Europe‘ bringt Menschen und Orte in ganz Europa zusammen.

Sie ist Erinnerungsstrecke und Mahnmal, damit wir die Schrecken und Verbrechen des Zweiten Weltkriegs nie vergessen. Das Augenmerk liegt dabei auf der fundamentalen Bedeutung von Frieden, Versöhnung und Einheit in Europa und der „Notwendigkeit, diese Werte zu schützen“, sagt der frühere Präsident des Europaparlaments ­Martin Schulz, der seit 2013 Schirmherr der ­„Liberation Route“ ist. Das Projekt wurde unlängst als Kulturroute des Europarats zertifiziert.

Idee vor mehr als zehn Jahren geboren

Die Idee für die Erinnerungsroute wurde vor mehr als zehn Jahren in den Niederlanden geboren. Vom Jahr 2011 an gab es erste Kontakte und auch die Umsetzung gemeinsamer transnationaler Projekte mit unterschiedlichen Akteuren im Kreis Düren. Schließlich wurde 2016 unter dem Dach der in Belgien beheimateten Stiftung „Liberation ­Route Europe“ die „Liberation Route NRW e. V.“ gegründet, der bis heute neben Geschichtsvereinen und Einzelpersonen zehn Kommunen im bevölkerungsreichsten Bundesland angehören. Der Verein kooperiert mit lokalen Einrichtungen wie etwa dem Ruhreifel-Tourismus e. V. Gemeinsam hat man eine Reihe von Bildungsangeboten geschaffen, darunter auch thematische Wanderungen, die bei Bedarf von lokalen History-Guides begleitet werden.

Mit Unterstützung des Landes NRW wird die „Liberation Route NRW“ bis ­Ende 2020 an markanten Stellen zunächst zehn „Hörsteine“ installieren. Auf Steinblöcken werden hierzu Tafeln mit historischen Informationen angebracht. Ein QR-Code wird hinterlegt, bei dessen Aktivierung man den erschütternden Berichten von Zeitzeugen über das Kriegsgeschehen lauschen kann.

Von Großbritannien bis Deutschland

Der jüngste Erfolg des Projekts ist die Gründung der „Liberation Route ­Germany“, die erst im Oktober im sächsischen Torgau ins Leben gerufen wurde. Wander- und Fahrradwege sollen bundesweit an die Ereignisse der letzten Kriegsmonate und dem Vormarsch der Alliierten auf Berlin erinnern. An ihnen werden künftig Mahnmale des weltberühmten Architekten Daniel Liebeskind zu finden sein.

Die Route führt heute durch Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien, die Tschechische Republik, Polen und Deutschland. „Der `Liberation Route ­Europe` gelingt es, Geschichte gerade auch für junge Menschen aus der jeweiligen regionalen Perspektive zu vermitteln. Das Bewusstsein für unsere Freiheit, ihre Geschichte und die Notwendigkeit, sie zu verteidigen, wird mit diesem niedrigschwelligen Angebot gestärkt“, sagt Dietmar Nietan, SPD-Schatzmeister und eines von drei Vorstandsmitgliedern der Stiftung.

Ähnlich sieht es auch der frühere Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald Axel Buch: „Die Schlacht steht für die Sinnlosigkeit und Brutalität des Kriegs. Es ist wichtig, dass die ­`Liberation Route Europe` durch unsere Gemeinde führt und an die Ereignisse der letzten Kriegsmonate erinnert. Sie ist Mahnung und Auftrag zugleich.“ Buch ist heute Vorsitzender der ­„Liberation Route NRW“.

Bunker und Bombentrichter überall

Wie präsent die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs im Hürtgenwald immer noch sind, zeigt ein unlängst im Mitteilungsblatt der Gemeinde veröffentlichter Text. Hier wird dringend dazu geraten, bei Bauvorhaben das entsprechende Grundstück vom Kampfmittelbeseitigungsdienst überprüfen zu lassen. Und in der Tat werden Jahrzehnte nach den Kämpfen bei Erdarbeiten immer noch viel Munition und mitunter auch sterbliche Überreste von Soldaten entdeckt. In den Wäldern sind Bunkeranlagen und Bombentrichter allgegenwärtig. Nicht umsonst nannten US-Soldaten den ­Hürtgenwald auch die „Dead Factory“ – die Todesfabrik.