Interview Florian Kling

Papierloses Büro und Homeoffice: Wie die Stadt Calw Digitalisierung nutzt

Carl-Friedrich Höck20. März 2024
Florian Kling, Oberbürgermeister von Calw
Sein Amtszimmer hat Calws Oberbürgermeister Florian Kling aufgelöst, seine Verwaltung arbeitet papierlos und setzt auch schon Künstliche Intelligenz ein. Im Interview erklärt der SPD-Politiker, wie die Digitalisierung den Alltag seiner Mitarbeitenden grundlegend verändert.

DEMO: Bevor Sie Oberbürgermeister wurden, haben Sie als Berater Behörden und öffentliche Verwaltungen bei der Digitalisierung unterstützt. Welche Ansätze haben Sie aus dem alten Job ins neue Amt mitgenommen?

Noch prägender war meine Zeit bei der Bundeswehr, wo ich Verwaltungswissen gesammelt habe. Das hat mir erst ermöglicht, später IT-Berater für Kommunen zu werden. Ich war zwölf Jahre lang Offizier und habe unter anderem in einem NATO-Hauptquartier die IT geleitet. Früher gab es in der NATO das Problem, dass alle 30 Mitgliedsstaaten ihre Daten einzeln verwaltet haben. Dann wurde ein Dokumenten-Management-System eingeführt. Die Grundidee der NATO-Kommandeure war: „Share to win“. Erst, wenn wir Daten und Informationen zusammentragen und miteinander vernetzen, können wir miteinander arbeiten. Das ist eine Grundidee der neuen digitalen Arbeitswelt.

Was heißt das konkret?

Wir wollen nicht die Papierarbeit vom Analogen ins Digitale kopieren, sondern einen Mehrwert generieren. Und der besteht in einer besseren Zusammenarbeit. In der analogen Papierwelt wandert eine Aktenmappe von einem Büro zum nächsten und wird von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter geschoben. Das ist ein ewiger Prozess. Das geht viel schneller, wenn alle gleichzeitig an dem Dokument und einem Projekt arbeiten können. Genau das ist der große Vorteil der E-Akte. Nach meiner Bundeswehr-Zeit habe ich als Berater mitgeholfen, die E-Akte in Bundesverwaltungen einzuführen. Als ich 2019 Oberbürgermeister wurde, konnte ich diese Erfahrungen nutzen. Ein Ergebnis nach vier Jahren Arbeit ist, dass unsere Verwaltung jetzt papierlos funktioniert.

Eine papierlose Verwaltung – wie wurde das umgesetzt?

Wir haben drei Module eingeführt. Erstens: ein Modul der Kollaboration, also der Online-Zusammenarbeit. Jedes moderne Wirtschaftsunternehmen setzt Kommunikationswerkzeuge wie Trello oder Slack ein, um schnell miteinander Dinge abzustimmen. Das ist dann eben nicht der offizielle Amtsweg, wo Briefe hin- und hergeschoben werden.

Das zweite Modul ist die elektronische Akte, die Basis des ganzen Verwaltungshandelns. In Calw gab es schon seit 20 Jahren ein Dokumentenmanagementsystem. Aber das war hybrid und die maßgebliche Akte musste immer aus Papier bestehen. Also wurden selbst E-Mails ausgedruckt und abgeheftet, weil das eben verwaltungsrelevante und archivwürdige Dokumente waren. Das haben wir geändert.

Das dritte Modul ist die Vorgangsbearbeitung. Da geht es um den Weg, den ein Dokument zurücklegt, bis es abgearbeitet ist, also zum Beispiel eine Genehmigung erteilt wurde. Wie handhaben wir das Scannen oder elektronische Signaturen? Ich muss schließlich sicherstellen, dass mein digitales Dokument wirklich ein Original ist und nicht manipuliert werden kann und der Prozess von Anfang bis Ende digital ist.

Haben bei der Umstellung alle Verwaltungsmitarbeitenden mitgezogen?

Ja, alle. Wir haben sehr auf ein gutes Veränderungsmanagement geachtet. Also darauf, die Mitarbeiter zu schulen, ihnen die neuen Möglichkeiten zu zeigen und wie man damit effizient arbeitet. Dieser Prozess benötigt viel mehr Zeit als die reine technische Umstellung. In vielen Verwaltungen gibt es zwar neue technische Möglichkeiten, aber wenn man sie nicht gut erklärt oder entsprechende Dienstanweisungen macht, arbeiten die Mitarbeiter doch lieber auf dem alten Weg.

Wie hat sich der Arbeitsalltag in der Verwaltung geändert?

Florian Kling während des Gesprächs im Multi-Space

Ein erster wichtiger Schritt war 2020, das alle Mitarbeiter Laptops bekommen haben. Damit war es auch möglich, im Homeoffice zu arbeiten. In der Corona-Zeit haben wir einen Chat und Videokonferenzen eingeführt. Im zweiten Jahr wurde die E-Akte scharfgeschaltet, alle neuen Daten und Dokumente wurden jetzt also ins neue System eingespeichert. Nach einem weiteren Jahr hatten wir den kompletten Aktenplan, also die Metadaten, importiert. Und im letzten Jahr kam noch die elektronische Signatur dazu. Das war ein sehr wichtiger Schritt, weil wir jetzt Dokumente beglaubigt einscannen und das Original wegwerfen können.

Die größte Veränderung für die Verwaltung war, dass wir die Telefone auf den Schreibtischen weggenommen haben. Die alten Anlagen haben wir komplett auf Internet-Telefonie umgestellt. Heute telefoniert jeder mit dem Headset oder mit der Telefon-App auf seinem Handy – und hat damit unterwegs dieselbe Funktionalität wie im Büro.

Während unseres Videogesprächs sitzen Sie nicht in einem typischen Bürgermeister-Büro. Wie prägt die Digitalisierung Ihren eigenen Alltag als Verwaltungschef?

Wir haben mit dem Personalrat eine 50-Prozent-Homeoffice-Regelung vereinbart, denn wir wollen ein attraktiver Arbeitgeber sein. Ich wollte mit gutem Beispiel vorangehen. Mein Dienstzimmer habe ich aufgegeben und sitze jetzt zusammen mit meinem Stabsbereich in einem Multi-Space. Die Schreibtische hier teilen wir uns. Eine Folge der neuen digitalen Welt ist, dass ich heute weniger Schreibtische im Rathaus habe als Mitarbeiter. Trotzdem finde ich immer einen Platz, weil andere Mitarbeiter im Homeoffice sind oder in Teilzeit arbeiten.

Übrigens haben wir jetzt mehr Mitarbeiter als früher. Mit den alten Arbeitsweisen hätten wir unser Rathaus ausbauen müssen. Stattdessen haben wir neue Möglichkeiten: Das Büro, wo bisher mein persönlicher Referent saß, ist jetzt eine Lounge-Ecke. Wir haben einen Kreativ-Raum für die Arbeit im Team, mit Sitzecken und Legokiste. Und es gibt einen Fokus-Raum, wohin ich mich zurückziehen kann, wenn ich ungestört arbeiten will.

Der Bundestag hat gerade das Onlinezugangsgesetz geändert („OZG 2.0“). Es soll die Digitalisierung in den Verwaltungen voranzubringen. Hilft das Gesetz den Kommunen weiter?

Ja und nein. Das Onlinezugangsgesetz ist cool. Sein Ziel ist es, dem Bürger Verwaltungsleistungen online anzubieten. Es bringt allerdings wenig, wenn ich einen Bauantrag zwar online stellen kann, dieser im Rathaus dann aber ausgedruckt, gestempelt und bearbeitet wird wie früher. Das Problem beim OZG ist, dass keine Stadt schneller sein kann, als das Gesetz auf Landes- und Bundesebene umgesetzt wird. Ein Beispiel: Wenn ich ein virtuelles Bauamt einführe und das nichts mit dem Landes-System zu tun hat, dann hat nachher mein Landratsamt ein anderes Fachverfahren als ich in der Stadt. Das passt dann nicht zusammen. Deshalb müssen alle zusammenarbeiten. In Baden-Württemberg gibt es dafür das Bürgerportal Service-bw. Darüber können Bürger OZG-Leistungen in Anspruch nehmen.

In Calw konzentrieren wir uns unabhängig vom OZG auf das, was wir selbst beeinflussen können. Und das Brot-und-Butter-Geschäft einer Verwaltung ist das Bearbeiten von Akten. Simpel ausgedrückt: Ein Dokument kommt in die Verwaltung rein, damit muss irgendetwas gemacht werden und am Ende geht wieder etwas raus: eine Genehmigung zum Beispiel oder die Antwort auf eine Anfrage. Solche internen Abläufe digitalisieren, das kann jede Verwaltung selbst. Und dafür haben wir uns zentrale Handlungsansätze gegeben.

Welche Handlungsansätze sind das?

Zum Beispiel: keine Pseudo-Digitalisierung zur Show! Ich kann bei vielen Förderprogrammen mitmachen, und dann bekomme ich einen Roboter, der mir die Mülleimer leert. Oder Sensoren auf den Straßen, die dem Bauhof anzeigen, wann der Winterdienst ausrücken muss. Das ist nett, aber es ändert nichts an der Arbeitsweise der Verwaltung. Deswegen haben wir gesagt: Darum kümmern wir uns zuerst.

Zweitens: Wir gehen weg vom Blech. Das heißt, wir wollen als Kommune keine eigenen Server mehr, sondern gehen in die Cloud. Und: Wir setzen auf „Software as a Service“ (Saas). Viele Verwaltungen wollen gerne eigene Software programmieren. Solche Sonderlösungen können wir uns aber nicht leisten. Ein Vorteil von cloudbasierter SaaS: Damit sind wir auch weniger anfällig für Hacker und Cyberangriffe, weil wir immer die neuesten Updates haben.

Welche weiteren digitalen Entwicklungen erwarten Sie in den Kommunen in den kommenden Jahren, etwa mit Blick auf Künstliche Intelligenz?

Grundsätzlich glaube ich, dass die Digitalisierung eine Effizienzsteigerung von 20 bis 30 Prozent im öffentlichen Dienst bringt. Diese Effizienzsteigerung darf aber nicht dazu führen, dass Personal abgebaut wird. Im Gegenteil: Sie führt dazu, dass das vorhandene Personal sich wieder mehr um die Anliegen der Bürger kümmern kann, statt Zeit mit Stempeln, Briefmarken kleben, Urkunden ausfüllen und solchen Dingen zu verbringen.

Wenn ich Routinetätigkeiten mit künstlicher Intelligenz automatisiere – also beispielsweise Standardbriefe nicht mehr komplett manuell getippt werden müssen oder Terminkalender sich automatisch aufeinander abstimmen, um Termine zu planen – dann habe ich Vorteile.

Wird KI in Calw schon eingesetzt?

Wir nutzen künstlicher Intelligenz beim digitalen Posteingang. Bis vor kurzem war eine Mitarbeiterin nur damit beschäftigt, die Post aufzumachen, zu schlitzen, die Briefe herauszuholen, zu falten, zu sortieren, in Mappen zu legen und diese Mappen auf die jeweiligen Abteilungen und Fachbereiche zu verteilen. Inzwischen macht das eine KI. Die liest automatisch aus den Briefen: Von wem kommt der Brief? Wo soll der Brief hin und um welchen Betreff handelt es sich? Wann ist der Brief verschickt worden? Ist es vielleicht eine Rechnung? Die KI trägt solche Metadaten automatisch auf dem Brief ein und schickt ihn an die zuständige Abteilung.

Ein anderes Beispiel: Eine Verwaltung hat riesige Aktenmengen, bei uns sind das etwa 7,5 Millionen Blatt Papier. Das wird jetzt alles eingescannt. In der digitalen Welt ist es dann unglaublich herausfordernd, die richtigen Dokumente wiederzufinden. Da brauchen Sie gute Suchmaschinen, und auch dabei hilft uns KI. Sie erfasst Schlagwörter für die Dokumente, legt Verkettungen an und Fristen. Wenn zum Beispiel das Wort „Rechnung“ vorkommt, dann muss das Dokument zehn Jahre aufbewahrt werden. Und wenn es sich um ein Gemeinderatsprotokoll handelt, darf es niemals gelöscht werden. Die KI geht Tag und Nacht durch all diese Dokumente durch und trägt die Ablaufdaten ein. Das könnte bei dieser Masse an Daten kein Mensch mehr manuell machen.

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