Gesundheitsversorgung

Personalmangel in der Intensivpflege bringt Kliniken in Not

Karin Billanitsch01. Dezember 2021
Eine Intensivpflegekraft versorgt einen Corona-Patienten.
Schon vor Weihnachten werden mehr als 6.000 Patienten mit Covid-19 auf Intensivstationen behandelt werden müssen, warnt die DIVI. Dass immer mehr Patienten verlegt werden müssen und die Lage so dringlich wird, liegt auch an fehlenden Pflegekräften.

Die Corona-Pandemie bringt das deutsche Gesundheitssystem an seine Grenzen. Inzwischen sind fast 50 Intensivpatienten aus Bayern, Sachsen und Thüringen in andere Bundesländer verlegt worden. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) warnt: „Schon vor Weihnachten werden wir mehr als 6.000 Patienten mit Covid-19 auf den Intensivstationen behandeln müssen – und damit wird das bisherige Allzeithoch vom Januar 2021 mit Sicherheit deutlich überschritten.“

Situation spitzt sich zu

Die Situation ist jetzt dringlicher als im Januar, als es nicht nötig war, das Kleeblattsystem (siehe Kasten) zu aktivieren, wonach Patienten verlegt werden. Es gibt Hotspots mit besonders vielen Erkrankten, die in die Krankenhäuser eingeliefert werden, und deren Behandlung nicht mehr vor Ort möglich ist. Das war im Januar so nicht der Fall.

Einen weiteren Aspekt nennt DIVI-Sprecher Jochen Albrecht auf Anfrage: „Die Gründe, weshalb tatsächlich die Situation jetzt dringlicher ist, liegen in erster Linie in einem Exodus der Pflegekräfte aus dem Beruf begründet. Hierdurch haben sich die betreibbaren Betten insgesamt reduziert, weshalb die Kapazitätsgrenzen natürlich schneller erreicht sind.“

Schon am 21. Oktober hat die DIVI gewarnt, dass in jedem dritten Bett, dass auf den Intensivstationen steht, kein Patient mehr behandelt werden kann. Das stellte sich nach einer Umfrage unter 643 Intensivmedizinern (DIVI) und der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin (DGIIN) heraus. „Dahinter steckt keine böse Absicht – es fehlt schlicht das geschulte Pflegepersonal!“, erklärte dazu Professor Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin St.-Antonius-Hospital.

Entwicklung der Auslastung der Intensivbetten

Die Auslastung der Intensivbetten kann täglich aktuell im DIVI-Intensivregister eingesehen werden. Am 30. November waren 19.823 Betten belegt, 2.363 frei und die Notfallreserve betrug 8.700. Derzeit werden in Deutschland 4.616  Covid-19 Fälle intensivmedizinisch behandelt. Der Rekord lag am 3. Januar bei 5.745. Zugleich waren an jenem Tag aber noch 3.723 Betten frei.

Laut Statistik sinkt seit Oktober 2020 die Zahl der freien Betten von rund 8.300 auf die genannten 2.363. Wie viele Pflegekräfte aufgegeben haben, kann man aber nicht genau beziffern, es gibt zu den Pflegekräften keinerlei konkrete Zahlen. „Das ist Teil des Problems“, so der Sprecher. Wäre die Pflege beispielsweise ein „verkammerter“ Beruf, ließe sich das konkret beziffern.

Zum anderen wirken sich gesetzliche Änderungen bei den Pflegeuntergrenzen aus: Zu Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland waren die Pflegepersonaluntergrenzen laut DIVI von März bis Anfang August ausgesetzt. In diesem Zeitraum wurden voraussichtlich mehr freie Betten gemeldet, für deren Betrieb regulär jedoch nicht genügend Pfleger*innen vorhanden gewesen wären. Die Zahl pendelte zwischen 12.000 und mehr als 10.000 Betten.

Ab Anfang August 2020 wurden die Personaluntergrenzen wieder eingesetzt, so dass abrupt 2.000 Betten weniger angegeben wurden. Außerdem wird zur gleichen Zeit eine neue Datenerfassung eingeführt, die „Notfallreserve“. Damit werden „innerhalb von 7 Tagen aktivierbare“ Intensivbehandlungsplätze erfasst. Viele Betten, die zuvor unter den freien Betten angegeben wurden, wanderten in die Notfallreserve.

Intensivmediziner fordern Kontaktbeschränkungen

Die Intensiv- und Notfallmediziner forderten am heutigen Mittwoch, „sofort bundesweit einheitliche notbremsende Maßnahmen zur größtmöglichen Kontaktbeschränkung“. Das könne – wenn notwendig – auch ein zeitlich begrenzter Lockdown sein.

Einig sind sich Gesundheitsexperten, dass es wichtig ist, das vorhandene Pflegepersonal zu halten und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Politik hat jetzt reagiert: Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz hat angekündigt, dass Pflegekräfte wegen der besonderen Belastungen einen Bonus bekommen und eine Milliarde dafür bereitgestellt. Der neue Koalitionsvertrag verspricht als eine Kernbotschaft „bessere finanzielle Anerkennung und durch bessere Arbeitsbedingungen. Dazu gehören eine bessere Personalausstattung, eine Abschaffung von geteilten Diensten und bessere Personalschlüssel.“

 

Kleeblatt-System

Die Bundesländer sind in fünf sogenannte Kleeblätter unterteilt worden, die je an einer zentralen Stelle (Single Point of Contact, SPoC) koordiniert werden:

  • Süd: Bayern
  • Südwest: Baden-Württemberg, Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessen
  • West: Nordrhein-Westfalen
  • Ost: Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin
  • Nord: Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Wenn sich eine Überlastungssituation in einer Region anzeigt bzw. Krankenhäuser keine Intensivpatienten mehr aufnehmen können, wird das System aktiviert. Sofern lokale und regionale Strukturen so ausgelastet sind, dass eine Verlegung von Intensivpatienten in benachbarte Regionen nicht mehr möglich ist, erfolgt eine überörtliche Verlegung von Patienten in weniger belastete Regionen.

Die SPoC stehen in regelmäßigem Austausch mit ihren Bundesländern und stimmen sich untereinander ab. Medizinische, strategische sowie organisatorische Unterstützung und Beratung erhalten die SPoC bei Bedarf u.a. durch die Fachgruppe Intensivmedizin / Infektiologie / Notfallmedizin (COVRIIN) beim Robert Koch-Institut (RKI) (z.B. durch Bereitstellen von Daten zu freien Intensivkapazitäten / DIVI-Register, Identifikation möglicher Zielkrankenhäuser, Prognosen, Lagebilder) und durch das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum (GMLZ) des Bundes (z.B. Koordinierung von Transportmitteln).

Quelle: RKI

 

 

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