Serie „Unser Rathaus”

Rathaus Lübeck: Die Schaltzentrale der Hanse

Carl-Friedrich Höck12. April 2023
Blick vom Marktplatz auf das Lübecker Rathaus
Das Lübecker Rathaus ist geprägt von der Geschichte des Kaufmanns- und Städtebündnisses. Noch heute ist der Lübecker Bürgermeister ihr Vormann.

Aus den meisten Rathäusern heraus wird ausschließlich die Stadt regiert. Der Einfluss­bereich des Lübecker Amtsgebäudes war aber einst viel größer. Im Mittelalter galt es als Schaltzentrale der Macht der Hanse – also des einflussreichen Städtebündnisses an Nord- und Ostsee (und darüber hinaus). Ihre Blütezeit erlebte die Hanse im 14. und 15. Jahrhundert. Ursprünglich war sie als Vereinigung von Kaufleuten entstanden. Mit der Zeit wuchsen auch politische Verbindungen zwischen den bis zu 200 Hansestädten, selbst Kriege führte die Hanse. Manche sehen in ihr einen Vorläufer der Europä­ischen Union und der Globalisierung.

Die einstige Bedeutung ist dem Lübecker Rathaus heute noch anzusehen. Es gehört zu den bekanntesten Bauwerken der Backsteingotik. Weil der im 13. Jahrhundert begonnene Bau immer wieder verändert und erweitert wurde, vereint er heute unterschiedliche Baustile. Wer auf dem Marktplatz steht, blickt im Norden auf eine Wand aus rotem Stein mit drei spitzen Türmen und zwei kreisrunden Löchern – sie sollen den Wind brechen. Direkt davor befindet sich ein niedrigerer Anbau im Renaissance-Stil, mit weißer Fassade, Stuckverzierungen und mehreren Torbögen. Im Osten stehen zwei gotische Anbauten aus dunklem Stein, das Lange Haus und das Neue Gemach.

Einschüchternde Fassade

Noch heute dient das Rathaus als Sitz der Verwaltung, der Bürgerschaft und des Bürgermeisters Jan Lindenau (SPD). Der 43-Jährige ist gebürtiger Lübecker und gelernter Bankkaufmann. Das Rathaus mit seiner teils schwarzen Fassade empfand er früher als „etwas einschüchternd“.

Bürgermeister Jan Lindenau. Foto: Stefan Schenk

Selbst betreten hat er es zum ersten Mal mit 14 Jahren als Schülervertreter. Nach einem Brandanschlag auf eine Lübecker Synagoge hatte der Bürgermeister eine Zusammenkunft einberufen. „Ich ging mit abgeschnittener Jeanshose und Schlabberschulranzen ins Rathaus“, erinnert sich Lindenau. So saß er plötzlich an einem großen runden Tisch im Audienzsaal, der „guten Stube“ des Hauses, und erntete skeptische Blicke. „Wen haben sie uns denn da geschickt?“, entfuhr es dem erstaunten Schulrat.

Heute als Bürgermeister trägt Lindenau Anzug. Nur die Krawatte lässt er häufig weg. Diese Freiheit nehme er sich als Bürgermeister, erzählt der Sozial­demokrat. Während seiner Zeit im ­Bankgewerbe hatte er zuvor strengere Kleidungsvorschriften beachten müssen.

Die Hanse lebt

Als Lübecker Bürgermeister ist Jan ­Lindenau qua Amt auch Vormann der Neuen Hanse. Das ist ein Zusammenschluss, der im Jahr 1980 gegründet wurde und an die alte Tradition anknüpft (offiziell wurde die historische Hanse übrigens nie aufgelöst). „Seither treffen sich einmal im Jahr alle Hansestädte, die heute auch offiziell wieder erklärt haben, dem Bund zugehörig zu sein“, erklärt Lindenau.

Dieser Internationale Hansetag dauert vier Tage und wird jedes Mal in einer anderen Stadt ausgetragen. Das Programm umfasst Veranstaltungen, Ausstellungen oder Märkte, auf denen sich die verschiedenen Hansestädte präsentieren können. Daneben arbeiten die Kommunen auch ganz praktisch zusammen: Sie knüpfen wirtschaftliche Beziehungen und bündeln ihre Kräfte für die Tourismusförderung. Die Verwaltungen kooperieren eng, Stadtarchive und Museen ebenfalls. Städte aus 15 verschiedenen Ländern gehören der neuzeitlichen Hanse an.

UNESCO-Welterbe

Als Teil der Altstadt zählt das Lübecker Rathaus seit 1987 zum UNESCO-Welt­erbe. Die denkmalgeschützte Bau­substanz führt manchmal zu besonderen Herausforderungen. Digital sei das Haus zwar auf dem neuesten Stand, sagt ­Lindenau. Aber eine Leinwand im Bürgerschaftssaal könne man nicht einfach so an die Wand schrauben. Also wurde sie verdeckt angebracht, sodass sie nur zu sehen ist, wenn sie gebraucht wird. Sogar Beamer seien umlackiert worden, damit sie den Farben des jeweiligen Raumes entsprechen, berichtet Lindenau.

Sein eigenes Büro ist allerdings von einem seiner Amtsvorgänger modernisiert worden. Die Vertäfelung ist nun hellgrau lackiert. „Darüber bin ich auch ein bisschen froh“, räumt der Rathauschef ein. Denn so wirke der Raum heller, das drücke weniger aufs Gemüt.

Nach seinen Lieblingsorten befragt, nennt Lindenau zwei: den prunkvollen Audienzsaal, in dem wichtige Repräsentanten empfangen werden. Er ist im Rokoko-Stil gehalten und wird von schweren Lüstern beleuchtet. „Das ist schon sehr beeindruckend“, meint Lindenau. Sein zweiter Lieblingsort ist eigentlich nicht zugänglich: Über eine Feuertreppe gelangt man aufs Dach. „Das ist im Sommer ein Ort, wo man eine Viertelstunde auch wunderbar für sich alleine sein kann“, verrät der Bürgermeister.

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