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Stadt im Zwiespalt

Hamburg plant eine autoarme Innenstadt mit viel Grün. In der Kleinstadt Uetersen in Schleswig-Holstein stehen große Bäume der Mobilitätswende im Weg.
von Susanne Dohrn · 20. Dezember 2023

Wäre es doch so einfach: Man holt das Wohnen zurück in die Innenstadt, sorgt für Grün und Bäume und schon brummt das Leben, wo zuvor die leeren Augen von Kaufhaus-Schaufenstern Tristesse verbreiteten. Das reicht nicht, ist Elke Pahl-Weber überzeugt. Im Juni 2022 berief Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) die Stadtplanerin zu Hamburgs Innenstadtkoordinatorin. Ihr Job: Die Kommunikation aller Akteure zu koordinieren, um die Innenstadt für die Zukunft aufzustellen. Am „Runden Tisch Innenstadt“ sitzen Eigentümer, Behörden, Gewerbetreibende, Handel, Sozialverbände, Wissenschaft und Kultur. „Ich habe weder einen Etat, noch bin ich gewählte Vertreterin. Ich kann nicht umsetzen, aber ich kann befördern, unterstützen, und das klappt“, sagt Pahl-Weber.

Die Innenstadt muss sich wandeln

Mönckebergsstraße, Rathausstraße, Jungfernstieg, Alster – wer in Hamburg war, kennt diese von Kaufhäusern und breiten Straßen geprägten Einkaufsmeilen. Aber die Kaufhäuser schließen eins nach dem anderen. Wer mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs ist, wünscht sich weniger Autos und mehr Platz zum Radeln und Flanieren. Die Innenstadt muss sich wandeln, wenn sie Menschen-­Magnet bleiben will.

Das Potenzial hat sie. Die historischen Kontorhäuser sind einzigartig in Deutschland. Die zwei größten Theater, Kunstmuseen, die ­Alster – alles liegt so dicht beieinander, dass es in wenigen Minuten zu Fuß, mit dem Fahrrad oder Bus erreichbar ist. Pahl-Weber: „Wenn ich an der Mönckebergstraße einen geschlossenen Laden nach dem anderen sehe, frage ich mich: Ist das ein Zeichen für Niedergang oder ist das nicht eher ein Zeichen, dass gerade Neues entsteht?“ Ideen für dieses Neue zu entwickeln, dafür zu werben, sieht sie als ihre Aufgabe an.

Konfliktpunkt Verkehr

Einer der großen Konfliktpunkte ist der Verkehr. „Hamburg hat sich als Ziel eine autoarme Innenstadt gesetzt, keine autofreie“, betont die Stadtplanerin. Praktisch heißt das: Wer in die Innenstadt will, muss sie gut erreichen können, aber ­Autos können nicht mehr überall fahren. Der Durchgangsverkehr muss raus oder gebündelt werden, der Lieferverkehr bleibt, Busse und Taxis auch. Anwohner müssen zu ihren Parkhäusern gelangen können, Hotelgäste zu ihren Hotels, schwerkranke Patienten zu ihren Arztpraxen, die Pflegedienste zu ihren Kundinnen und Kunden. Aber vielleicht werden die großen elektrisch angetriebenen Gelenkbusse irgendwann abgelöst oder von kleinen autonom fahrenden E-Fahrzeugen ergänzt.

Auch die parallel zur Mönckebergstraße verlaufende verkehrsreiche Steinstraße soll schmaler werden. Sie wird mit Bäumen bepflanzt und bekommt breite ­Radwege. „Fußgänger, Radfahrer gleichberechtigt zuzulassen, daran wird gearbeitet – in den Behörden und im Austausch mit Innenstadtakteuren“, sagt Pahl-Weber. Dem skeptischen Einzelhändel rät sie: „Schaut nach Kopenhagen. Dort hat der Umbau zur Fahrradstadt dem Einzel­handel nicht geschadet. Die Aufenthaltsqualität ist besser, die Straßen laden ein zum Flanieren, die ­Umsätze sind deswegen nicht gefallen.“

Schaufenster für Handwerk

In die Zukunft blicken, die Beteiligten auf diese Entwicklungen vorbereiten: Hier setzt Pahl-Weber an. Beim Thema Lieferverkehr sind das auch Logistikkonzepte mit Lastenrädern. „Sie sind leise, sie brauchen weniger Raum als Lieferwagen, aber relativ breite Radwege und Möglichkeiten, die Lastenräder abzustellen.“ In die ehemaligen Kaufhäuser könnten Bildungsinstitutionen einziehen oder urbane Produktion. Schneider, Schuster, Handwerker, es gibt sie alle noch in der Innenstadt, aber es fehlt an Nachwuchs. Pahl-Weber: „Ein Schaufenster für modernes Handwerk – daran arbeiten wir, um einen attraktiven Anziehungspunkt für Jugendliche auf dem Weg zur Berufsfindung in der Innenstadt entstehen zu lassen. Damit sie sehen, wie sich die Berufe verändern und wie spannend sie sind.“

Bei den Eigentümern der Gebäude sei die Erkenntnis gewachsen, dass sie diversifizieren müssen und Spitzen-Mieten nicht mehr auf allen Flächen erzielen können. „Zum Glück sind viele der Eigentümer Hamburger. Sie sind motiviert, die Innenstadt zu gestalten.“
Außer dem Fördertopf, den Hamburg vor einigen Jahren zur Verbesserung des öffentlichen Raumes aufgelegt hat, wird die Innenstadtentwicklung mit 4,8 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ finanziert. Insgesamt können 6,5  Millionen Euro eingesetzt werden.

Uetersen: Die Bäume müssen weg

Wo der Platz nicht reicht, scheint das Fällen oft die Lösung zu sein. Nicht selten trifft es Platanen. Von München bis Hamburg galten sie in den 60er und 70er Jahren als beliebte, robuste Straßenbäume. Im Laufe der Jahrzehnte haben sie stattliche, Schatten spendende Kronen entwickelt und stehen nun im Weg.

So ergeht es gerade den Platanen im ­Ossenpadd in Uetersen, einer Kleinstadt im Norden Hamburgs. Erst trieb man über den Weg Ochsen zum Markt an der Elbe. Dann siedelten sich Industriebetriebe an, später Häuslebauer, nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kirche und ein Kindergarten. Der Ochsenweg wandelte sich zu einer von Autos und Lkw befahrenen Durchgangsstraße. Nun muss sie saniert werden, das Kanalnetz darunter ebenso, aber die Planung zieht sich hin. „Die Breite reicht nicht für alles, wenn wir die Straße regelkonform ausbauen“, sagt Uetersens Bürgermeister Dirk Woschei (SPD). Regelkonform bedeutet: eine Fahrbahn von mindestens 6,50 Metern, breitere Bürgersteige, Parkbuchten und möglicherweise ein Schutzstreifen für Radfahrende.

Uetersens Dilemma: Die Bäume stehen direkt an der Fahrbahn und deshalb im Weg. Der Chef der Verwaltung ist pragmatisch. „Einen Tod muss man sterben“, sagt er. Jahrelang lagen Investitionen in den Straßenbau auf Eis, weil die Stadt sich unter dem Rettungsschirm des Landes befand. Nun gibt es einen Sanierungsstau im zweistelligen Millionenbereich. Woschei: „Weiter warten ist keine gute Idee.“ Die Stadt hat ein Planungsbüro beauftragt, das zwei Sanierungs-Varianten vorschlug. In beiden müssten die Platanen weichen, entweder auf einer Straßenseite oder auf beiden. Viele Parkplätze würden ebenfalls entfallen, Platz für einen Fahrrad-Schutzstreifen gäbe es nur, würden alle Bäume gefällt.

Der Vorschlag aus der Politik, den Ossenpadd zur Einbahnstraße zu machen, hilft aus Sicht des Bürgermeisters nicht weiter. „Irgendwo muss der Verkehr bleiben und Umwege erzeugen noch mehr Lärm und Emissionen.“ Ein Baumgutachten habe zudem ergeben, dass die Platanen die Bauarbeiten womöglich nicht überleben.
Wie es weitergeht? Der Bürgermeister ist dafür, die Straße so auszubauen, wie es aus technischer und verkehrlicher Sicht sinnvoll ist. Einen Schutzstreifen für Fahrräder entlang einer von vielen Lkw befahrenen Straße hält er für gefährlich. Den Verlust von Bäumen will er an anderer Stelle ausgleichen, aber bis zur Entscheidung der Politik sind ihm die Hände gebunden. Woschei: „Die Bürger erwarten Entscheidungen. Das Ehrenamt wird dafür gewählt, diese Entscheidungen zu treffen, auch solche, die unter Umständen nicht jedem gefallen.“

Autor*in
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und SPD-Ratsfrau in Tornesch

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