Finanzierung und Standards

Studie untersucht: Soll Integration kommunale Pflichtaufgabe werden?

Uwe Roth21. Februar 2024
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD), MdB, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Sie hat eine Studie vorgestellt, in der Integrationsbeauftragte zu Wort kommen.
Fachleute fordern verlässliche Strukturen für die Integration. Doch in vielen Kommunen werden diese ständig rauf- und wieder runtergefahren, nicht zuletzt wegen finanzieller Zwänge. Die Integrationsbeauftragte Alabali-Radovan (SPD) hat eine Studie vorgestellt, die einen neuen Lösungsansatz prüft.

Die für Integrationsfragen zuständige Staatsministerin Reem Alabali-Radovan hat am Montag die Studie „Kommunale Pflichtaufgabe Integration: Königsweg oder Holzweg?“ vorgestellt. Es sei die erste vertiefende Studie zum Thema, teilte die SPD-Politikerin mit. Anlass für die Veröffentlichung war ein zweitägiger „Zukunftsdialog Einwanderungsgesellschaft vor Ort – Krisenfest Integration und Teilhabe gestalten“. Über 200 Vertreterinnen und Vertreter von Kommunen, Ländern und Zivilgesellschaft aus den fünf Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland nahmen daran teil.  

Eine abgesicherte Checkliste gibt es nicht

Der Drang zum Erfahrungsaustausch war groß. Oftmals kommt es auf das Engagement und die Hartnäckigkeit kommunaler Integrationsbeauftragter an, was Geflüchteten an ihrem neuen Wohnort an Leistungen entgegengebracht wird. Eine rechtlich abgesicherte Checkliste, was Geflüchteten zusteht, gibt es nicht. Für die Unterbringung und Versorgung müssen die Kommunen sorgen. Es sind ihre „pflichtigen Aufgaben“.

Alles andere ist die Kür kommunaler Integrationspolitik. Die Studie der Universität Hildesheim und Universität Erlangen-Nürnberg stellt in der Einleitung kurz und knapp fest: „Integration muss sich eine Kommune leisten wollen und können“. Gemeint sind weniger die Finanzierung von Sachleistungen, sondern die von Personalstellen.  

Integration: „Wertigkeit wie die Weihnachtsbeleuchtung“

In Zeiten, in denen viele Geflüchtete gleichzeitig ankommen, ist der Betreuungsaufwand hoch. Flaut die Zahl der Ankömmlinge ab, könnte zuvor eingestelltes Personal scheinbar überflüssig, aber nicht entlassen werden. Folglich drängen Finanzdezernent*innen auf eine eher dünne Personaldecke. Werden Haushaltslöcher größer, stehen zuerst freiwillige Aufgaben zur Disposition.

Die Forschenden schreiben dazu: „Dies steht in Widerspruch zu einem breiten Konsens in der Fachwelt, dass ein Mindestmaß an Integrationsstrukturen auch in Zeiten geringer Zuwanderung notwendig ist, um angemessen auf Krisensituationen reagieren zu können und Integrationsprozesse nachhaltig zu begleiten.“ 

Als Beleg zitieren sie einen städtischen Dezernenten. Dieser habe in einem Interview „dieses Missverhältnis zwischen praktischer Bedeutung und rechtlicher Verankerung“ so auf den Punkt gebracht: „Zum jetzigen Zeitpunkt hat die Integrationspolitik der Stadt kommunalverfassungsrechtlich die Wertigkeit wie die Weihnachtsbeleuchtung.“ Aber Integration sei eben kein Saisonprodukt, das sich mal eben an- und ausknipsen lasse.

Der Ruf nach verlässlichen, krisenfesten Strukturen in einem Feld, das von Konjunkturen und Unsicherheiten geprägt sei, könne daher kaum überraschen, stellt die Studie fest. Dieser komme nicht nur von „zahlreichen Integrationsverantwortlichen auf der kommunalen Ebene, sondern immer wieder auch aus der Landes- und Bundespolitik“. Dort wünsche man sich verlässliche Ansprechpersonen und einen nachhaltigeren, einheitlicheren Ansatz, um gleichwertige Startchancen für Zugewanderte zu erreichen.

Pflichtaufgabe ist für die Integration kein Königsweg

Gleiche Standards in jeder Kommune: Könnte Integration besser gelingen, wenn diese zu einer kommunalen Pflichtaufgabe wird? Die Autor*innen zeigen sich unschlüssig. Der Bund könne im aktuellen verfassungsrechtlichen Rahmen keine kommunalen Pflichtaufgaben einführen. Seit der Föderalismusreform 2006 sei es der Bundesebene ausdrücklich untersagt, den Kommunen neue Aufgaben zuzuweisen. Alte Aufgabenübertragungen wirken fort, dürften jedoch nicht erweitert werden.

Eine bundesweite Harmonisierung fände durch die Einführung „pflichtiger Integrationsaufgaben“ durch einzelne Länder jedoch nicht statt. Die Unterschiede zwischen Bundesländern, die solche Aufgaben etablieren und jenen, die dies nicht tun, würden sich nach Überzeugung der Wissenschaftler*innen im Gegenteil verstärken. Vieles spreche dafür, dass sich neue Pflichtaufgaben der Bundesländer selbst dann voneinander unterscheiden würden, wenn sie von allen eingeführt würden.

So kommt die Studie zum Schluss: Eine neue Pflichtaufgabe Integration wäre „nicht der Königsweg zur Lösung aller Herausforderungen kommunaler Integrationsarbeit“. Sie wäre aber auch „kein Holzweg, sondern könnte bei allen Herausforderungen durchaus in Richtung einer Verstetigung und Stärkung flächendeckender kommunaler Integrationsstrukturen führen“. Insbesondere könnte die Verantwortlichkeit für Koordination und Planung ein Mehr an kommunaler Verantwortungsübernahme bedingen. Klar sollte jedoch sein, dass auch rechts und links des Weges einige Aufgaben liegen, „deren erfolgreiche Bearbeitung Voraussetzung für eine nachhaltige Wirkung der geschaffenen Strukturen ist“.

Link zur Studie:
academiccloud.de

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