Großstadtpolitik

Am Thema Wohnen entscheidet sich die Zukunft

Karin Billanitsch18. März 2024
Neu gebaute Wohnungen in Berlin. Wegen der hohen Neuvermietungspreise sind sie für viele Menschen kaum mehr erschwinglich.
Wer kann sich die Großstadt in Zukunft noch leisten? Darüber diskutierten Teilnehmer in einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des DBG Berlin-Brandenburg. Im Fokus der Diskussion stand die Wohnungsnot in Berlin.

Die soziale Schere geht auseinander, die Mieten werden immer teurer, bezahlbarer Wohnraum ist knapp, es gibt zu wenig neue Wohnungen: Wer kann sich das Leben in der Großstadt noch leisten? Diese Frage beschäftigt große Städte in Europa, darunter auch Berlin. Das Landesbüro Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung und der DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg haben kürzlich zu einer Veranstaltung eingeladen, die sich mit diesen brennenden Themen befasste. 

Fatale Folgen der Mietenentwicklung bei Neuvermietung

Andrej Holm, Stadt- und Regionalsoziologe, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Situation in Berlin. Während die Mietentwicklung im Bestand relativ konstant leicht steige, hätten sich ab dem Jahr 2007 die Neuvermietungsmieten davon entkoppelt und erreichten heute fast das doppelte Niveau: im Durchschnitt 13,99 Euro pro Quadratmeter gegenüber 7,16 Euro im Bestand, sagte der Wissenschaftler von der Humboldt-Universität. Holm führte als Belege den Mietspiegel sowie Wohnungsmarktberichte an.

Mit fatalen Folgen, wie der Experte zeigte: „Das führt zu einem Lock-in-Effekt“. Die Menschen zögen kaum um, beispielsweise in eine kleinere Wohnung im Alter, weil sie dafür einen höheren Preis bezahlen müssten. Weil Vermieter*innen der doppelte Ertrag winke, hätten sie zudem ein Interesse, „die Bestandsmieter mit allen möglichen Mitteln aus der Wohnung zu drängen, um diese Neuvermietungsmieten zu realisieren.“

Geringverdienster werden immer mehr verdrängt

Holm hat über einen längeren Zeitraum die „angemessenen“ Mietwohnungsinserate ausgewertet. Dabei wurden alle Plattformen analysiert, die Wohnungen anbieten. Angemessen bedeutet hier, dass die Angebotsmieten sich an den Kosten der Unterkunft (KdU) orientieren. 2007 gab es bei einer durchschnittlichen Angebotsmiete von 5,52 Euro pro Quadratmeter 64.000 Angebote pro Jahr. „Diese Wohnungen waren auch in der ganzen Stadt verteilt“, so Holm.

Über die Jahre veränderte sich dieses Bild gravierend: Fast 15 Jahre später, 2021, gab es für 10,55 Euro pro Quadratmeter nur noch 4.200 Wohnungen, die angemessen wären nach den Regeln der KdU, die also für Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften akzeptiert werden würden. So befeuern die Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt die Verdrängung von Geringverdienenden an die Ränder der Stadt.

Zudem wies Holm auch auf das Problem hin, dass für den Posten Miete immer mehr vom verfügbaren Haushaltseinkommen aufgewendet werden müsse. Er riss weitere Probleme an, die die Wohnungskrise befeuern: Zu wenig sozialer Wohnungsbau, auslaufende Sozialbindungen, um Beispiele zu nennen. Er sprach von einem „Marktversagen“ bei der sozialen Wohnraumversorgung.

Es komme hinzu, dass Investor*innen im Jahr 23 Milliarden Euro für Immobilientransaktionen in Berlin ausgegeben hätten. „Diese rechnen damit, dass sich das auch rentiert“, warnte er.

Diskussion um Lösungswege

In der Veranstaltung wurden auch Lösungswege für die gegenwärtigen Probleme im Bereich Wohnen aufgezeigt. „Eine Lösung ist, dass der Anteil kommunaler Wohnungen plus genossenschaftliches Wohnen in Berlin erhöht wird“, sagte Cansel Kiziltepe, Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung des Landes Berlin (SPD). In Berlin seien es in etwa 25 Prozent der Wohnungen. Da sieht sie „Potenzial nach oben“.

Sie sieht Anzeichen für eine Wende in der Wohnungspolitik, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Der Bund unterstütze die Länder finanziell dabei, wieder mehr zu tun. Das müsse verstärkt werden, forderte Kiziltepe. „Die vergangenen Jahrzehnte können nicht von heute auf morgen wieder nachgeholt werden.“

Auch Katja Karger, Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, bekräftigte, die Politik müsse etwas tun, „und sie tut es ja auch“. Zu der Frage, in welcher Form die Politik etwas tun könne, sagte sie: „Bauen, bauen, bauen ist etwas, das definitiv hilft. Da liegt Olaf Scholz richtig.“ Solange keine Möglichkeit gefunden werde, den vorhandenen Wohnraum gerechter zu verteilen, sei das ein wichtiges Element.

Karger plädierte außerdem dafür, den Bestand stärker zu regulieren. Wo die Politik viel stärker reingehen müsse, sei das Thema Neuvermietungsmieten. „Wir müssen den Wohnraum entkapitalisieren und dem Markt als Renditeobjekt entziehen“, sagte Karge. Auch junge Menschen, Alleinerziehende und Rentner müssten sich die Großstadt leisten können. „Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit“, betonte Cansel Kiziltepe.

Unterstützung für Auszubildende

Für junge Auszubildende plant sie ein „Azubi-Werk“ nach dem Modell der Studierendenwerke. Sie verwies auf München oder Hamburg, wo es das schon gebe. „Ich habe das Ziel, so etwas in Berlin einzurichten. Das ist eines meiner Leitprojekte, hier habe ich die Gewerkschaften mit an meiner Seite“, betonte sie. Es brauche viele neue junge Fachkräfte, sie wolle auch die duale Ausbildung stärken. „Wir brauchen eine soziale Stadt, wir wollen nicht, dass in den Zentren nur die Reichen wohnen und die Geringverdiener an den Rand der Stadt ziehen müssen.“

Die Berliner Sozialsenatorin verwies außerdem auf den Mietendeckel, der sich als wirksam erwiesen habe, aber von Gerichten gekippt worden sei. Nach ihrer Überzeugung müsse der Druck auf den Bund ausgebaut werden. Auch Andrej Holm plädierte hier für einen neuen Versuch.

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