Kampf gegen Armut

Nationaler Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit

Karin Billanitsch24. April 2024
Vorstellung des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit: Dominik Bloh, Cansel Kiziltepe, Clara Geywitz, Spielerprofi Robin Gosens, Sabine Bösing (v.l.).
Das Bundeskabinett hat die erste bundesweite Strategie zur Überwindung der Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland bis 2030 beschlossen. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) nennt die Kernpunkte.

Wie schnell man unverschuldet auf der Straße landen kann, weiß Dominik Bloh aus eigener Erfahrung. Der ehemalige Straßenjunge hat ein Buch über seine Jahre ohne festes Obdach verfasst und engagiert sich heute in Hamburg für Obdachlose. Er betreibt einen umgebauten Bus, in dem die Menschen duschen können. Dafür bekam er 2022 das Bundesverdienstkreuz.

Am Mittwoch war er in Berlin dabei, als Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) vor versammelter Hauptstadtpresse den Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit (NAP) vorstellte, der kurz zuvor im Bundeskabinett beschlossen worden ist. Bloh sagte: „Das ist ein besonderer Tag, für mich persönlich und für meine Leute. Ich habe das Gefühl, erstmals sind wir wirklich sichtbar“.

Länder und Kommunen mit am Tisch

Der Nationale Aktionsplan ist ein Projekt mit einem ambitionierten Ziel, für das sich Geywitz seit Jahren einsetzt. Bis 2030 will die Bundesregierung Obdachlosigkeit in Deutschland überwunden haben. Der Beschluss entspricht auch den Zielen im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung sowie dem Nachhaltigkeitsziel der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, Armut zu bekämpfen.

„Die Wohnungslosigkeit in Deutschland ist ein akutes Problem, das zeigen die Zahlen deutlich“, sagte Geywitz. Laut Statistischen Bundesamt waren im Januar 2023 gut 372.000 wohnungslose Menschen ordnungsrechtlich untergebracht, beispielsweise in Not- oder Gemeinschaftsunterkünften. Davon waren 130.000 Geflüchtete aus der Ukraine. Die Gesamtzahl der Wohnungslosen ist jedoch deutlich höher, weil viele Betroffene auf der Straße leben oder bei Freunden, Bekannten oder in Kleingärten untergekommen sind. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe (BAG W) rechnet mit über 600.000 wohnungslosen Menschen.

Die Bundesregierung habe, so die Bundesbauministerin, intensiv zwei Jahre daran gearbeitet, gemeinsam mit Ländern, Kommunen, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. „Der NAP wurde – und das ist mir besonders wichtig – mit denen diskutiert und erarbeitet, die täglich mit Wohnungs- und Obdachlosen zu tun haben“, betonte die Ministerin weiter. Auch ein konkreter Handlungsleitfaden mit einer Reihe von Maßnahmen wurde erarbeitet.

Kernpunkte des Plans

Geywitz unterstrich besonders drei Kernpunkte des Nationalen Aktionsplans: Zum einen seien mehr bezahlbare Wohnungen ganz entscheidend zur Überwindung der Wohnungslosigkeit und hier insbesondere der Wiederanstieg der Sozialwohnungen. Der Bund habe für den sozialen Wohnungsbau die Mittel deutlich erhöht und 18,15 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. An zweiter Stelle nennt sie die Reform des Wohngeldes, das ausgeweitet wurde.

Drittens wurde der Blick auch auf notwendige, schnelle Hilfe gerichtet und  Qualitätsmindeststandards für die Unterbringung in Notunterkünften erarbeitet. Zum Beispiel sollen Frauen und Männer künftig getrennt untergebracht werden können.

Auch der Zugang zu Krankenversicherung oder Gesundheitsvorsorge soll verbessert werden. Wie wichtig das ist, zeigt die Arbeit von Engagierten aus der Obdachlosenhilfe. Zum Beispiel in der Praxis in der Nähe des Ostbahnhofs in Berlin, die Bundesbauministerin Geywitz am Dienstag nach der Verabschiedung des NAP im Kabinett besucht hat. Hier können sich Obdachlose ohne vorherigen Termin von ehrenamtlich arbeitenden Ärzten beziehungsweise Zahnärzten medizinisch behandeln lassen. 800 Zahnbehandlungen wurden hier vergangenes Jahr durchgeführt. Auch eine Sozialberatung, eine Dusche und eine Kleiderkammer bietet der freie Träger Gewebo pro gGmbH an.

Neue Kompetenzstelle auf Bundesebene

Auf Bundesebene werde zudem beim Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) eine Kompetenzstelle eingerichtet, kündigte Geywitz an. Dort würden alle Akteur*innen vernetzt, Modellvorhaben gefördert und Beratungen durchgeführt. Dass die komplexen Probleme, die mit Obdachlosigkeit einhergehen, nicht schnell gelöst werden, weiß auch die Ministerin. Aber sie stellt klar: „Den ersten Schritt haben wir dafür heute getan.“

Dominik Bloch ist dankbar für die Initiative. Er will die alten Narrative ändern und erklärt eindrücklich: „Obdachlosigkeit ist kein individuelles Problem und auch kein individuelles Versagen von Menschen. Es ist ein gesellschaftliches Problem.“ Seine Erfahrung bei der Mitwirkung am Nationalen Aktionsplan habe ihm gezeigt, wie „viel wir erreichen können, wenn wir uns zusammensetzen und gemeinsam an einem Ziel arbeiten.“

In einer gemeinsamen Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und des Deutschen Städtetags begrüßte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy die Ziele des NAP. Aber er merkte kritisch an: „Ein Leitbild alleine wird allerdings nicht genügen, um das ambitionierte Ziel Realität werden zu lassen. Es braucht auch politische Handlungsspielräume und finanzielle Ressourcen sowie eine Ausweitung des Mieterschutzes.“

Mieterbund fordert Nachbesserungen

Der Deutsche Mieterbund begrüßte den NAP grundsätzlich, forderte aber Nachbesserungen. Die Finanzhilfen des Bundes in Höhe von 18,15 Milliarden Euro bis 2027 für den sozialen Wohnungsbau seien nicht ausreichend, um den Rückgang des Sozialwohnungsbestandes aufzuhalten.

Außerdem forderte Lukas Siebenkotten eine Übertragung der sogenannten Schonfristregelung auch auf die ordentliche Kündigung. Das sei eine Stellschraube, Wohnungslosigkeit effektiv zu verhindern. Demnach darf wer alle seine Mietschulden nachträglich, das heißt innerhalb von einer Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Räumungsklage, vollständig bezahlt, nicht wegen Zahlungsverzuges gekündigt werden. Das gilt bereits für die fristlose Kündigung. Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP darauf auch verständigt. Aber bislang blockiert die FDP die soziale Reform des Mietrechts.

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