Bauen und Wohnen

Tolerante und weltoffene Mitbewohner gesucht

Harald Lachmann25. Oktober 2022
Fridtjof Weber (l.) und Toralf Zinner planen ein alternatives Wohnbauprojekt.
Leipzig hat in den vergangenen Jahren eine Reihe lukrativer Bauplätze an Interessenten vergeben, um gemeinschaftliches und sozialverträgliches Wohnen zu fördern.

Gesucht werden: Mitbewohner, die tolerant und weltoffen, rücksichtsvoll und sozialorientiert, kreativ, kulturvoll und konfliktfähig sind. Verzichten wolle man dagegen auf Populisten, Dogmatiker, Knauser, Sektierer, missionierende Veganer und Kettenraucher. So liest es sich auf der Internet­seite des Vereins Saxenleben. Dies ist eine Leipziger Bürgerinitiative, die dabei ist, ein Drei-Millionen-Neubauprojekt in die Gänge zu bringen.

Hierfür engagierte man sich als Partnerin eine in baulichen Dingen bereits erfahrene Firma namens Denkmalsozial gGmbH. Man gründete mit ihr eine gemeinsame Unternehmung, die das Haus bauen, unterhalten sowie die zehn Wohnungen vermieten soll. Elf Interessenten haben sich schon gemeldet: acht Frauen und drei Männer.

Stadt initiierte Konzeptverfahren

Das Projekt firmierte zunächst unter dem Oberbegriff „Konzeptverfahren ­kooperatives und bezahlbares Bauen und Wohnen“. Dieses Programm hatte die Stadt Leipzig aufgelegt, um ­stadteigene Baugründe sowie Grundstücke der kommunalen Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) in Erbpacht an Interessentengruppen zu vergeben, denen es um sozialverträgliches und ­gemeinschaftliches Wohnen geht.

Inzwischen laufe diesbezüglich bereits die fünfte Runde, berichtet Toralf Zinner, Denkmalsozial-Chef und Ideencoach für ungewöhnliche Projekte. Dass sie zu den Glücklichen gehören, die sich eine der ausgeschriebenen Liegenschaften – bei dreimal so viel Bewerbern – sichern konnten, führt Saxenleben-Initiator Fridtjof Weber indirekt auf den Namen ihrer Bauträgerfirma zurück: WohnAlternative 50plus GmbH. Als U50 erhalte man hier quasi keine Zuzugsberechtigung, schmunzelt er. Hinzu kämen aber zwei weitere Punkte: „Wir planen einen sehr energiesparsamen Viergeschosser in Holzbauweise sowie Gemeinschaftsräume, die auch ins umgebende Quartier ausstrahlen sollen“, beschreibt Weber das Projekt.

Maßnahme gegen Gentrifizierung

Die Stadt Leipzig will damit gerade in angesagten Vierteln wie Großzschocher, wo dieses Projekt ab Sommer 2023 entstehen soll, oder der Ostvorstadt einer drohenden Gentrifizierung entgegenwirken. Und eben hier, im Osten Leipzigs, sammelte man schon Erfahrungen mit solchen kooperativen Bau- und Bewirtschaftungsmodellen: konkret im ­Pöge-Haus am Neustädter Markt. Das ist jedoch kein Neubau, sondern war eine verwaiste Druckerei, die die Stadt an eine Interessentengruppe aus überwiegend jungen Leuten, Kunstschaffenden sowie einem soziokulturellen Verein verkauft hatte. Zuvor hatte sich die Kultur- und Wohnprojekt GmbH Leipzig-Neustadt, die nun im Grundbuch steht, mit einem Konzept darum bewerben müssen. Der Entwurf sah neben Wohnungen öffentliche Galerie- und Seminarräume, Ateliers und Arbeitsräume vor.

Man habe sich damals zusammengetan, „um in einem mehrjährigen Umbau den ausgemergelten Altbau wiederzubeleben und zu sozialen Preisen Kultur zu organisieren“, so SPD-Mann Stefan Kausch. Der Kulturwissenschaftler gehörte zu den Initiatoren des bahnbrechenden Projekts und handelte ab 2017 auch als Vorstand des Pöge-Haus-Vereins. So freut er sich, dass das Eckhaus nach der Sanierung „sofort positiv in das umliegende Viertel“ ausgestrahlt habe. Das Gebäude sei zu einem „neuen Ort der Identifikation geworden, den die Bewohnerinnen und Bewohner mitgestalten“. Es sei halt auch darum gegangen, der Neustadt ihren Ruf als sozialer Brennpunkt zu nehmen, so der Sozialdemokrat.

Aufstrebendes Quartier

Heute lasse sich an diesem Eckhaus „der Wandel des gesamten Viertels exemplarisch gut nachvollziehen“, denkt Kausch. Seien viele Hauswände in den Jahren zuvor noch grau, viele Wohnungen leer und kaum soziokulturelle Einrichtungen zu finden gewesen, sei das Viertel nun ein aufstrebendes Quartier. Und eben weil diese neue Idylle wie überall in großen Städten sofort Investoren anlocke, sei man mit diesem Modell einer drohenden Gentrifizierung zuvorgekommen.

Die künftigen Mieterinnen und Mieter im Saxenleben-Haus in Leipzig-Großzschocher sind im Schnitt eine Generation älter. Ihnen geht es aber im Grunde um dasselbe. Nur haben sich seither die Zeiten geändert. Kreditzinsen, Baukosten und Energiepreise gehen durch die Decke, während der Staat im Gegenzug langjährige Förderprogramme einfror – etwa für sozialen Wohnungsbau und Energieeffizienz. So werde man wohl die avisierten zehn Euro Miete pro Quadratmeter nicht halten können, fürchtet Weber.

Ihrem Elan täte dies aber keinen Abbruch, versichert er. Wegen jener neuen äußeren Umstände sei man inzwischen mit den Machern der anderen von der Stadt Leipzig ausgewählten Konzeptprojekte in engem Kontakt. Im Übrigen würden noch ein, zwei potenzielle Mitbewohner gesucht. Im Frühherbst 2024 möchte man dann eingezogen sein.