Wärmewende

Turbo für regenerative Wärmewende

Susanne Dohrn 01. Oktober 2023
Kiel-Oppendorf wird ein Energiequartier: Anfang August besuchte Oberbürger­meister Ulf Kämpfer den Stadtteil.
Alle Kommunen sollen nach dem geplanten Gesetz eine Wärmeplanung vorlegen. Eine digitales Werkzeug aus Kiel kann diese Aufgabe erleichtern.

Ohne Wärmewende keine Energiewende: Mehr als die Hälfte der verbrauchten Endenergie in Deutschland dient der Bereitstellung von Wärme, und die stammt vorwiegend aus fossilen Quellen. Um den Umstieg auf regenerative Wärmeversorgung vorzubereiten, sollen Städte und Gemeinden in Deutschland nach Plänen der Bundesregierung bis Mitte 2026 (über 100.000 Einwohner) beziehungsweise Mitte 2028 eine Wärmeplanung vorlegen. Die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt Kiel marschiert voran. Sie nutzt zur Ermittlung des Wärme- und Kühlbedarfs von Wohngebäuden seit Neuestem eine Software des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston (USA), das Urban Building Energy Model (UBEM). Die Daten dienen dann als eine Grundlage für den Wärmeplan.

Schätzwerte reichen aus

„Wir haben das UBEM mit den Daten des Kieler Gebäudebestands gefüttert, die uns die Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt hat“, sagt ­Malte ­Schwanebeck. Er ist Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Geo-Energie (KGE) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Gebäudebestands-Daten können Kommunen deutschlandweit als digitale 3D-Modelle beim Bundesamt für Karthographie abrufen. Zusammen mit Informationen zu zeit- und regionaltypischen Bauweisen und Materialien sowie Annahmen zur üblichen Gebäudenutzung lasse sich der Energiebedarf eines Gebäudebestands abschätzen, so Schwanebeck.

„Für grundsätzliche Informationen über den Wärmebedarf eines Quartiers oder einer Kommune reichen Schätzwerte völlig aus“, betont der Leiter des KGE Professor Andreas Dahmke. „Der einzelne Hauseigentümer braucht exakte Verbrauchsdaten. Für ein Quartier oder eine Stadt ist das Gesamtergebnis nützlicher, weil es Unterschiede im Nutzungsverhalten ausgleicht.“ Mit dem UBEM lasse sich die Wärmeplanung beschleunigen. Ein Vorteil angesichts von Tausenden Kommunen in Deutschland, die in den nächsten Jahren eine solche Planung vorlegen müssen. Um das Modell auf die 250.000-Einwohner-Stadt Kiel zu übertragen und den Wärmebedarf der Landeshauptstadt zu ermitteln hat das dreiköpfige Team um Malte Schwanebeck nur rund ein Jahr benötigt.

Entscheidungshilfe für Kommunen

Am Anfang jedes erfolgreichen Wandels steht eine gute Planung. Das UBEM-Tool könne helfen zu entscheiden, was in einer Kommune oder einem Quartier sinnvoller ist, „jedes Gebäude so stark zu dämmen, dass es kaum noch Energie verbraucht oder bestehende Wärmequellen stärker zu nutzen“, sagt Dahmke. Dazu müssten Kommunen und Versorger wissen: Wo lohnt sich Fernwärme und wo nicht? Denn: Energetisch perfekt sanierte Gebäude brauchen keinen Fernwärmeanschluss. Für sie reicht eine Wärmepumpe. Aber auch die Herstellung von Wärmedämmung sei nicht klimaneutral und eine perfekte Wärmedämmung sehr teuer, warnt Dahmke. Gebe es regenerative Wärmequellen, sei es möglicherweise sinnvoller, die Gebäude mit Fernwärme zu versorgen.

Kämpfer: „Für Wärmewende gibt es keine Patentlösung“

„Für die Wärmewende gibt es keine Patentlösung“, sagte Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer bei einem Besuch in Kiel-Oppendorf Anfang August. Die Einfamilienhaussiedlung aus den 1990er Jahren ist eines von elf Energiequartieren der Landeshauptstadt. Das von einem Projektteam entwickelte energetische Quartierskonzept zeigt, welche technischen und wirtschaftlichen Energieeinsparpotenziale bestehen und mit welchen Maßnahmen sich kurz-, mittel- und langfristig CO2-Emissionen reduzieren lassen. Finanziell unterstützt wurde das Projekt von dem Programm „Energetische Stadtsanierung“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). „Am Beispiel dieses Stadtteils wird die Aussagekraft des UBEM-Modells getestet. Es soll zukünftig bei der Auswahl weiterer Energiequartiere eingesetzt werden“, so Ulf Kämpfer. „Dass an der CAU an Hilfsmitteln und Lösungsansätzen geforscht wird, freut mich besonders.“ Die ­CAU plant, ihr Tool künftig auch anderen Kommunen zur Verfügung zu stellen.

Zudem entsteht mit dem UBEM die virtuelle Kopie eines Ortes, ein sogenannter „digitaler Zwilling“. Damit lassen sich Szenarien zum künftigen Wärme- und Kältebedarf durchspielen: Welche ­Folgen hat ein besonders heißer Sommer, in welchem viel Kühlung benötigt wird? Was passiert in einem Winter mit wochenlanger stabiler Hochdrucklage, wenig Wind, Temperaturen unter minus zehn Grad und einem entsprechend hohem Wärmebedarf? Dahmke erklärt: „Mit einem zwei bis drei ­Wochen dauerndem schwerwiegenden Kälteeinbruch muss trotz ­Klimawandels weiter durchschnittlich alle 10 bis 15 Jahre gerechnet werden, aber die Transformation unseres Energiesystems ist nicht besonders gut auf ­Extremsituationen ausgelegt.“

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