Wohnungen für hunderttausende Ukrainer*innen gesucht
Wie viele Ukrainer*innen sich aktuell in Deutschland aufhalten, weiß niemand so genau. Laut Ausländerzentralregister wurden zum Stichtag 3. Januar 2023 insgesamt 1.046.742 Personen erfasst, die in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland eingereist sind. Manche von ihnen könnten bereits in andere Staaten weitergereist oder zurückgekehrt sein – doch das betrifft wohl nur einen kleinen Teil. „Viele Städte und Gemeinden sind längst an der Grenze ihrer Kapazitäten, wenn es darum geht, zusätzliche Personen aufzunehmen und zu integrieren“, teilte der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) am Mittwoch mit.
Nur jede*r Zehnte lebt in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete
Die meisten Geflüchteten sind in Deutschland in Privatunterkünften untergekommen – nämlich 74 Prozent. Von ihnen ist jede*r Vierte zunächst bei in Deutschland lebenden Verwandten, Freunden oder Bekannten eingezogen. Nur neun Prozent der nach Deutschland gekommenen Ukrainer*innen wohnen in Gemeinschaftsunterkünften. Das ergab eine kürzlich veröffentlichte Umfrage im Auftrag des Bundes, wobei anzumerken ist, dass die Befragung bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 stattfand.
Der DStGB spricht in seiner Jahresbilanz 2022 von einer überwältigenden Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung. „Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, desto schwieriger wird allerdings die private Unterbringung, die häufig auf provisorischen Strukturen aufbaut“, stellt der Verband fest.
„Das ist auf Dauer keine vernünftige Lösung“, betont DStGB-Präsident Uwe Brandl. Er verweist darauf, dass laut Umfrage knapp 40 Prozent der ukrainischen Geflüchteten für mehrere Jahre oder sogar für immer in Deutschland bleiben wollen. Der Wohnungsmarkt sei in Deutschland aber ohnehin angespannt, so Brandl. Er hofft nun, dass der Wohnungsbau mit serieller Bauweise beschleunigt werden kann.
Geld vom Staat gibt es nur mit Mietvertrag
DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg verweist noch auf einen anderen Punkt: Zwar gebe es viele Private, die bereit seien, Vertriebene aufzunehmen. Doch da gebe es häufig ein Problem: „dass nämlich die Kommune oder der Träger sagt, du musst einen eigenen Mietvertrag mit dem Vertriebenen abschließen. Der bekommt dann seine Unterkunftskosten und daraus kriegst du deine Miete.“ Das sei oft eine Hürde, weil die Geflüchteten damit zu ganz normalen Mieter*innen würden. Man bekomme sie also nicht ohne weiteres wieder aus der Wohnung raus, wenn das Zusammenleben nicht funktioniere. Landsberg schlägt vor: Stattdessen könne der Staat die Wohnung anmieten und dem privaten Vermieter die Chance gebe, wenn es nicht klappt, sich auch in kurzer Zeit wieder aus dem Vertrag zu lösen. „Das würde die Bereitschaft im privaten Bereich deutlich erhöhen.“
Landsberg ist überzeugt, dass die Aufnahme von Geflüchteten ein andauerndes Thema sein wird. Selbst wenn der Ukraine-Krieg zu Ende sei, müsse man mit dem nächsten Problem rechnen, etwa aufgrund des Klimawandels. „Deshalb appellieren wir an Bund und Länder, die Erstaufnahmeeinrichtungen deutlich auszuweiten“, sagt er.
Zahl der Asylanträge steigt wieder
Schon jetzt steigt die Zahl der Geflüchteten auch aus anderen Ländern als der Ukraine wieder an. Von Januar bis November 2022 zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 190.000 Asyl-Erstanträge. Das waren 43 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die meisten Anträge stellten Staatsangehörige aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und dem Irak.
In der Jahresbilanz 2022 des DStGB ist zu lesen: „Die Kommunen stehen daher immer häufiger vor der Frage, ob sie Turnhallen belegen, Container anmieten oder Traglufthallen oder Zeltunterkünfte bauen müssen, um die Unterbringung sicherzustellen.“ Es gibt allerdings auch Expert*innen, die ein entspannteres Bild von der Lage zeichnen. Überfüllte Turnhallen seien keinesfalls die Regel, erklärte Politik-Professor Hannes Schammann Ende vergangenen Jahres in einem Pressegespräch. Zwar gebe es kommunale Vertreter*innen, die auf politischer Ebene Alarm schlügen. Spreche man aber mit Verwaltungsmitarbeiter*innen werde deutlich, dass die Situation bei weitem nicht so dramatisch sei, wenngleich auch regional unterschiedlich.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.