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Wie Ingo Lehmann der Überraschungssieg in Kulmbach gelang

„Mit Charakter” zum Sieg: Der SPD-Kandidat Ingo Lehmann schafft auch dank eines überzeugenden Wahlkampfkonzepts die Sensation bei der Oberbürgermeister-Wahl in Kulmbach. Stadtrat Simon Moritz erklärt das Erfolgsrezept.
von Simon Moritz · 26. Oktober 2020
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„Wir sollten auf jeden Fall einen Kandidaten stellen – aber eine Chance hat der gegen den Amtsinhaber ja eh nicht.“ Wer kennt ihn nicht, diesen gerne geäußerten Satz zu Beginn so mancher Sitzung eines neu gegründeten Wahlkampfteams? Zugegeben, für uns als Kulmbacher SPD standen die Chancen, das Oberbürgermeisteramt in der Großen Kreisstadt Kulmbach zurückzuerobern, alles andere als gut. Der Amtsinhaber von der CSU saß fest im Sattel und hatte bei objektiver Betrachtung durchaus eine Reihe an Erfolgen vorzuweisen – nicht zuletzt die Zusage der Staatsregierung, eine neue Fakultät der Universität Bayreuth am Standort Kulmbach auszuweisen und unsere Stadt damit zum Universitätsstandort aufzuwerten. Wie konnten wir es dann trotzdem schaffen, dass Ingo Lehmann in der Stichwahl am 29. März mit 51 Prozent zum neuen Oberbürgermeister gewählt wurde?

Kritik blieb lange ungehört

Vorneweg: Dies soll kein Bericht mit der Aussage werden, wir wären einfach so gescheit gewesen und hätten halt einfach soviel richtig gemacht. Das sind wir nicht und haben wir nicht. Im Gegenteil: Ehrlich gesagt hätten wir uns beispielsweise mit der Stadtratsfraktion schon in den Vorjahren viel deutlicher gegen den Amtsinhaber positionieren müssen – Anlass für Kritik gab es nämlich, trotz der oben genannten Erfolge, zuhauf. Zu selten hatten wir es bereits in den Vorjahren geschafft, den vielen kritischen Stimmen in der Bevölkerung Gehör zu verschaffen, die sich in der offiziellen Darstellung der Stadtpolitik oder in der lokalen Presseberichterstattung nicht wiederfanden.

Aber: Endlich war es uns einmal gelungen, eine Kampagne aus inhaltlicher Sicht nicht nur „irgendwie“, sondern mit einer verständlichen, positiven Botschaft zu versehen und dadurch viele Wähler*innen – weit über die Stammwählerschaft der SPD hinaus – zu erreichen. Der erste Schritt dazu war die Bildung eines Wahlkampfteams, bei dessen Zusammensetzung innerparteiliche Hierarchien keine Rolle spielten – wer Lust, Energie und vor allem konstruktive Fähigkeiten einbrachte, war herzlich willkommen. Wir haben uns selbst mit dem Auftrag versehen, ein ­Arbeits- und kein ­„Labergremium“ sein zu wollen. Und wir waren uns in der Einschätzung einig, dass die inhaltliche Fundierung unseres Wahlkampfs große Bedeutung haben müsste – anders als in der Vergangenheit, wo kommunale Wahlprogramme häufig nur eine Aneinanderreihung nichtssagender Allgemeinplätze waren, gerne garniert mit dem Hinweis, die Programme würde ja eh keiner lesen.

In unseren gemeinsamen Sitzungen wurde schnell deutlich, dass es durchaus Kritik und damit Abgrenzungspotenzial gegenüber dem Amtsinhaber gab. Viele Bauvorhaben in unserer Stadt schienen zu schnell vorangetrieben und damit das historische Flair unserer fast 1.000-jährigen Stadt zu sehr beeinträchtigt worden zu sein; viele Menschen kritisierten fehlende Transparenz und Bürgernähe bei der Umsetzung mancher „Großprojekte“; viele gesellschaftliche Gruppen fühlten sich durch den Oberbürgermeister nicht gerecht in ihren Interessen berücksichtigt, und nicht zuletzt unterstellte man dem Amtsinhaber häufig, in seinem persönlichen Stil zu dominant und abgehoben zu agieren. Für uns war klar, dass man diese kritischen Stimmen bündeln und hinter einem griffigen Slogan vereinigen müsste: „Kulmbach mit Charakter“ war geboren. „Mit Charakter“ bei der äußerlichen Gestaltung unserer Stadt, „mit Charakter“ durch einen transparenten und diskussionsfreudigen Politikstil, und „mit Charakter“ im zwischenmenschlichen Umgang mit allen Bürgerinnen und Bürgern.

Der Slogan kam gut an

Natürlich ist so ein Slogan zunächst nur ein Spruch, den man mögen oder auch nicht mögen kann. Wir merkten aber schnell, dass wir offenbar einen Nerv in der Stadt getroffen hatten, denn die positive Wirkung für unseren Wahlkampf war noch wesentlich größer und weitreichender:

Erstens konnten wir mit dem Slogan eine „Marke“ schaffen, die als Erkennungszeichen Menschen weit über die Stammwählerschaft der SPD hinaus erreichte. Aus der Wahlforschung ist längst bekannt, dass sich viele Menschen heutzutage immer weniger über Parteien identifizieren – umso stärker jedoch mit inhaltlich fundierten Botschaften und „Projekten“. Die positive Identifikation vieler Menschen mit unserem Slogan kam in zahlreichen Gesprächen zum ­Ausdruck.

Zweitens schuf der Slogan auch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl „nach innen“: Es ist kein Geheimnis, dass viele Untergliederungen der SPD bei der Aufstellung ihrer kommunalen Wahllisten auf parteifreie Kandidat*innen zurückgreifen (müssen). Auch die Einbindung dieser Kandidat*innen erschien uns einfacher, indem wir sie für unser inhaltliches Konzept begeistern konnten.

Drittens erlaubt eine klare Markenbotschaft immer auch, eine Wahlkampagne stringent zu gestalten und einen hohen Wiedererkennungswert zu schaffen: Ein eigens kreiertes Logo für alle Anzeigen und Print-Publikationen und nicht zuletzt der Hashtag #kulmbachmitcharakter sorgten dafür, dass wir im Wahlkampf als klar erkennbare „Gegenbewegung“ zur Politik des Amtsinhabers wahr­genommen wurden.

Dies erlaubte uns – viertens und letztens – eine klare Polarisierung zwischen den politischen Lagern herbeizuführen. Der Begriff der Polarisierung mag gerade im kommunalpolitischen Kontext verpönt sein, ist aber dennoch notwendig, um überhaupt als Alternative wahr- und ernst genommen zu werden.

Mehr als eine Werbebotschaft

Wir sind rückblickend froh, viel Zeit und Energie in die inhaltliche Gestaltung unseres Wahlkampfs investiert zu haben. Wir wissen aber auch: Entscheidend ist nicht, wie gut ein Slogan allein als Werbebotschaft funk­tioniert hat. Vielmehr soll dieser in den kommenden Jahren ein Leitspruch für unseren neuen Oberbürgermeister und unsere Stadtratsfraktion sein – damit ein „Kulmbach mit Charakter“ nicht nur ein Slogan bleibt, ­sondern bestmöglich gelebt wird.

 

Dieser Text ist zuerst im Landes-SGK EXTRA Bayern der DEMO erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Bayern veröffentlicht.

Autor*in
Simon Moritz

Diplom-Politologe und Stadt- und Kreisrat in Kulmbach

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