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80 Jahre Kriegsende: Wie Kommunen mit russischen Diplomaten umgehen

Am 8. Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Das Auswärtige Amt rät den Kommunen, offizielle Vertreter*innen Russlands nicht zu Gedenkveranstaltungen einzuladen oder zuzulassen. Das stößt nicht überall auf Verständnis.

von Carl-Friedrich Höck · 25. April 2025
Kranzniederlegung am Sowjetischen Ehrenmal Berlin-Tiergarten

Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung am Sowjetischen Ehrenmal Berlin-Tiergarten im Jahr 2022: Der Umgang mit Jahrestagen führt seit Russlands Angriff auf die Ukraine regelmäßig zu Kontroversen und diplomatischen Schwierigkeiten.

Außenpolitik gehört in der Regel nicht zum kommunalpolitischen Kerngeschäft. Doch manche Bürgermeister*innen müssen sich derzeit mit einer komplizierten diplomatischen Frage auseinandersetzen: Sollen Vertreter*innen Russlands zu Gedenkveranstaltungen eingeladen werden, die an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren erinnern?

Lange Zeit galt das als selbstverständlich. Schließlich hat die Bevölkerung in der ehemaligen Sowjetunion besonders stark unter dem von Nazideutschland losgetretenen Krieg gelitten. Dass Adolf Hitlers Regime besiegt werden konnte, war maßgeblich ein Verdienst der Roten Armee, die gemeinsam mit Großbritannien und den USA gegen das „Dritte Reich“ gekämpft hatte. Die Sowjetunion war ein Vielvölkerstaat. In der Armee kämpften Russ*innen, Ukrainer*innen, Belaruss*innen, Usbek*innen, Kasach*innen und viele andere gemeinsam.

Torgau gedenkt – und der russische Botschafter kommt

Doch seit elf Jahren führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein gemeinsames Gedenken beider Länder erscheint schwer vorstellbar. Die Folgen sind aktuell in Torgau zu beobachten. Am 25. April 1945 trafen hier sowjetische und amerikanische Soldaten erstmals aufeinander, die Fotos vom „Handschlag von Torgau” gingen um die Welt. Daran erinnerte die Stadt an diesem Freitag, unter anderem war eine Kranzniederlegung und eine Rede von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer geplant. Auch Russlands Botschafter Sergej Netschajew nahm teil – offiziell eingeladen worden war er nicht. Oberbürgermeister Henrik Simon (parteilos) erklärte laut Medienberichten, die Stadt Torgau verschicke seit einigen Jahren lediglich Informationsschreiben über das öffentliche Gedenken an die Auslandsvertretungen verschiedener Länder.

Kretschmer richtetet in seiner Rede einige deutliche Worte an den russischen Botschafter: „Es war Russland, das einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Nicht 2021, sondern schon 2014. Und es liegt an Russland, nur an Russland, diesen Krieg zu beenden”, sagte der CDU-Politiker.

Das Auswärtige Amt hat laut Medienberichten bereits im Januar eine Handreichung an Kommunen und Gedenkstätten versandt. Darin empfahl das Ministerium, offizielle Vertreter*innen Russlands oder Belarus´ nicht einzuladen oder zuzulassen. Es sei mit „massiver Propaganda, Desinformation und geschichtsrevisionistischer Verfälschung“ zu rechnen, zitiert der RBB aus dem Papier. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte später, dass es eine solche Empfehlung gegeben hat. Man werde nicht dulden, dass russische Desinformationskampagnen herangezogen werden, um den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen.

Hausrecht ausüben war in Seelow keine Option

Wenig Verständnis für die Handreichung äußerte Friedemann Hanke (CDU), Vizelandrat von Märkisch-Oderland. Dort wurde am 16. April an die „Schlacht auf den Seelower Höhen“ vor 80 Jahren erinnert. Auch in Seelow erschien Russlands Botschafter Netschajew.

„Es hat ja in gewisser Weise was Absurdes“, sagte Hanke. Damit bezog er sich zum einen auf den Hinweis des Außenministeriums, Kommunen sollten vom Hausrecht Gebrauch machen. „Das machen wir immer, wenn wir denn Störer hätten“, berichtete der Vizelandrat gegenüber Zeit online. Die habe man aber nie gehabt. Weiter kommentierte er: „Wenn wir einen Botschaftsvertreter haben, also sogar den Botschafter selbst, dann kann ich wohl kaum Hausrecht anwenden.“ Er sei der höchste Vertreter seines Landes hier und er werde ihn nicht von einer sowjetischen Kriegsgräberstätte verweisen können – das verbiete der zivilisierte Umgang miteinander.

Gedenken ja – aber keine Bühne für Propaganda

Die SPD-Landtagsabgeordnete Sina Schönbrunn erinnerte daran, „dass hier russische und ukrainische Soldaten zusammen gekämpft und uns befreit haben“. Putins Angriffskrieg sei zu verurteilen. Aber es sei wichtig, die Erinnerungskultur aufrechtzuerhalten.

Seelows parteiloser Bürgermeister Robert Nitz erklärte vorab laut RBB, die russische Botschaft sei nicht offiziell eingeladen worden und man wolle keine Bühne bieten. Das Gedenken sei ausdrücklich still und würdevoll geplant.

Berlin verzichtet auf eine Einladung

Auf ähnliche Weise versucht das Land Berlin, diplomatische Verwicklungen zu vermeiden. „Der Senat von Berlin lädt zu den Veranstaltungen im Rahmen der Gedenkwoche um den 8. Mai keine offiziellen Vertreter anderer Staaten ein“, teilte eine Sprecherin dem Tagesspiegel auf Anfrage mit. Der Senat erwarte, „dass offizielle Vertreter von Russland und Belarus an keinen Gedenkformaten teilnehmen, zu denen sie nicht eingeladen wurden“. Ob sich die russische Botschaft daran hält, ist jedoch angesichts der Erfahrungen aus Brandenburg fraglich.

Botschafter Netschajew selbst weist Vorwürfe zurück, sein Land würde Gedenkveranstaltungen propagandistisch instrumentalisieren. Es sei seine Überzeugung, „dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, den entscheidenden Anteil der Roten Armee an der Zerschlagung des Nazismus und die kolossalen Opfer des Sowjetvolkes nicht von der jeweils aktuellen politischen Agenda abhängen, verdreht oder verschwiegen werden darf“, erklärt er in einem Statement, das auf der Internetseite der russischen Botschaft veröffentlicht wurde.

Ukrainischer Botschafter will russische Vertreter ausschließen

Auf derselben Website spricht er allerdings auch von „postsowjetischen Ländern, in denen heute nicht die sowjetischen Befreier, sondern die SS-Veteranen und Nazi-Schergen geehrt werden“. Damit knüpft er indirekt an die russische Propaganda-Lüge an, Russlands Armee kämpfe heute in der Ukraine gegen ein faschistisches Regime.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland Oleksii Makeiev hat sich dafür ausgesprochen, russische Offizielle von Gedenkveranstaltungen wie der in Torgau auszuschließen. Russland habe „den Friedensschwur mit einem völkermörderischen Angriffskrieg“ brutal gebrochen. „Die Friedenstaube ist von einem russischen Marschflugkörper getötet worden. Dafür verdient Russland keinen Handschlag, sondern Handschellen.“

Museum erinnert an deutsche Kapitulation

Beendet wurde der Zweite Weltkrieg durch die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Ihre Oberbefehlshaber unterzeichneten die Kapitulationserklärung am 8. Mai 1945 in einem Saal, der heute Herzstück des Museums Berlin-Karlshorst ist. Früher trug es den Beinamen „Deutsch-Russisches Museum“, mittlerweile wurde dieser abgelegt.

„Das Museum erinnert an alle sowjetischen Opfer des deutschen Vernichtungskrieges, unabhängig von deren Nationalität“, heißt es dazu auf der Internetseite des Museums. Finanziert wird es von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, also dem Haus von Claudia Roth (Bündnis 90/Grüne). An der Arbeit des Museums seien vier Nationen beteiligt, heißt es auf der Website: die Bundesrepublik Deutschland, die Russische Föderation, die Ukraine und die Republik Belarus.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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