Aktuelles

Autonomes Fahren: „Die Komplexität der Technologie wurde unterschätzt”

Ein Team der Hochschule München arbeitet daran, selbstfahrende Fahrzeuge fit für die Besonderheiten europäischer Innenstädte zu machen. Professor Fabian Flohr erklärt das Projekt und erklärt, warum Kommunen vom autonomen Fahren profitieren könnten.

von Carl-Friedrich Höck · 11. November 2024
Gruppenfoto neben einem weißen Auto

Professor Fabian Flohr (mitte) und sein Team von „Intelligent Vehicles Lab”

DEMO: Das Projekt STADT:up ist im vergangenen Jahr gestartet. Worum geht es da?

Fabian Flohr: STADT:up ist ein Forschungsprojekt, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird. Gemeinsam mit 22 Partnern forschen wir daran, autonomes Fahren in die Innenstadt zu bringen. Das Projekt hat mehrere Facetten. Bei den Teilprojekten, in denen das „Intelligent Vehicles Lab“ der Hochschule München hauptsächlich tätig ist, dreht sich alles um die funktionale Wirkkette im Fahrzeug, also um die Algorithmen, welche im Fahrzeug laufen. Wir arbeiten an Techniken die Umgebung des Fahrzeuges mit Kamera-, Radar- und Lasersensoren effizient zu erfassen, und die Situation richtig zu interpretieren. Uns geht es vor allem darum, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Interaktion mit den Fußgängern und Fahrradfahrern zu modellieren und dem Fahrzeug beizubringen, auf deren Verhalten richtig zu reagieren.

Wie ist der Forschungsstand weltweit und warum besteht gerade auf diesem Gebiet noch Forschungsbedarf?

Deutsche Autohersteller haben bereits Fahrzeuge entwickelt, die teilautomatisiert fahren können. Man spricht hier von SAE-Level 2 und 3. Level 3 bedeutet, dass man sich unter bestimmten Fahrbedingungen sogar schon mit einem Buch zurücklehnen und dem Auto vertrauen kann – etwa auf der Autobahn. Zur Einordnung: Ein Level-4-Fahrzeug fährt in einem definierten Bereich vollautomatisiert, sodass der Fahrer zum Passagier wird. Und Level-5-Fahrzeuge sind in jeder Verkehrslage komplett autonom unterwegs, hier bräuchte es nicht einmal mehr menschliche Mitfahrer.

In San Francisco zum Beispiel fahren tatsächlich schon Fahrzeuge autonom durch die Gegend. Dort ist die Situation im Straßenverkehr aber eine ganz andere als in europäischen Innenstädten, wo im Prinzip überall Fußgänger die Straße kreuzen können. Der Verkehr bei uns ist komplexer und chaotischer. Deshalb ist es so wichtig, dass die Künstliche Intelligenz das Verhalten von Radfahrenden und Fußgängern richtig einordnen kann – und daran forschen wir.

Der Gesprächspartner

Prof. Dr. Fabian Flohr ist Professor für Maschinelles Lernen und Autonome Systeme

Porträtfoto Flohr

Ein Problem für den Standort Deutschland ist, dass man sehr viele Daten benötigt, um die Künstliche Intelligenz zu trainieren, die das Auto steuert. Und bei der Verarbeitung großer Datenmengen sind uns die USA und China ein ganzes Stück voraus, auch dank erheblicher Investitionen von staatlicher und privater Seite. Bei uns ist die Verwendung von Daten strikter geregelt, was gut für den Datenschutz ist, aber eine Herausforderung für Industrie und Forschung darstellt.

Welche Vorteile könnte das autonome Fahren aus Sicht der Kommunen bringen?

Eine ganze Reihe. An erster Stelle steht die Verkehrssicherheit. Es gibt Belege dafür, dass schon Assistenzsysteme, wie sie heute serienmäßig in Autos verbaut werden, die Verkehrssicherheit deutlich erhöhen. In der Zukunft, wenn Autos komplett autonom fahren und die Fahrzeuge miteinander kommunizieren, ist es denkbar, dass schlimme Unfälle gänzlich vermieden werden können. Aus Sicht der Städte ist ein weiterer Vorteil, dass der Verkehrsfluss verbessert werden kann. Wenn die Fahrzeuge vernetzt durch die Gegend fahren, lässt sich ihr Fahrverhalten so koordinieren, dass Staus in Innenstädten vermieden werden. Ein dritter Punkt: Die effiziente Fahrweise der KI ist umweltfreundlicher.

Nicht zuletzt hat autonomes Fahren das Potenzial, viel Platz in Innenstädten einzusparen. Nämlich dann, wenn nicht mehr jeder Haushalt sein eigenes Auto vor der Tür stehen hat, sondern Robotertaxis die Passagiere jederzeit von A nach B bringen können. Man bräuchte dann nur noch 20 Prozent der Fahrzeuge, die heute in den Kommunen eingesetzt werden. Bisher ist das nur eine Vision, aber sie könnte den öffentlichen Nahverkehr, die Logistik und vieles mehr revolutionieren. Auch mobilitätseingeschränkte Menschen oder Personen ohne Führerschein hätten dann ein viel besseres Mobilitätsangebot als heute.

Und welche Risiken bestehen aus Ihrer Sicht?

Es gibt ein paar Sachen, die man im Hinterkopf behalten muss. Auf die Kommunen werden beträchtliche Kosten zukommen, weil sie ihre Infrastruktur anpassen müssen, damit Fahrzeuge vernetzt fahren können. Wir müssen darauf achten, dass Daten nicht missbraucht werden. Wenn eine Kamera am Auto Menschen filmt, sind das sensible Daten. In der Regel werden diese Daten aber direkt im Fahrzeug verarbeitet und nicht an andere Stellen übertragen oder gespeichert. Und dann müssen wir uns natürlich Gedanken um die Cybersicherheit machen. Die Gefahr von Hackerangriffen auf solche Fahrzeuge und Verkehrssysteme besteht. Ich denke aber, dass man dieses Risiko in den Griff bekommen kann.

Bis wann werden wir in Deutschland selbstfahrende Autos auf öffentlichen Straßen sehen?

Vor etwa zehn Jahren hat Elon Musk gesagt, in zwei bis drei Jahren werde das alles autonom funktionieren. Das hat sich nicht bewahrheitet. Die Komplexität der Technologie wurde unterschätzt – und wird es von manchen Unternehmen auch heute noch. Trotzdem gehe ich davon aus, dass wir innerhalb der nächsten zehn Jahre selbstfahrende Fahrzeuge in deutschen Städten sehen werden, wenn auch nur in begrenzten Bereichen.

Wie lange wird das Projekt STADT:up laufen und was soll am Ende dabei herauskommen?

Das Projekt soll bis Ende 2025 laufen. An der Hochschule München haben wir in Kooperation mit Mercedes-Benz einen Fahrzeugprototypen gebaut. Wir haben also ein Fahrzeug, das autonom fahren kann, mit einem umfassenden Sensor-Setup. Das dient vor allem der Forschung, weil wir anhand der Daten ausprobieren können, welche Sensorvarianten am besten funktionieren, wie sich die Sensoren bestmöglich fusionieren lassen und welche Algorithmen sich für die Situationsanalyse eignen. Wir wollen mit dem Prototyp aber auch zeigen, dass bestimmte Funktionen auf innerstädtischen Routen funktionieren. Bis Ende nächsten Jahres wollen wir demonstrieren können, wie unser Fahrzeug sicher mit Fußgängern und Radfahrern interagiert.

Weiterführende Informationen:
https://iv.ee.hm.edu/team/

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare