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Bericht: Direkte Demokratie bremst den Klimaschutz nicht aus

Direktdemokratische Instrumente in Kommunen werden rege genutzt: Im vergangenen Jahr wurden 245 Bürgerbegehren neu gestartet. Der Klimaschutz werde von den Bürger*innen häufiger gefördert als behindert, analysiert der Verein Mehr Demokratie.
von Carl-Friedrich Höck · 1. Juni 2023
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Alle zwei Jahre veröffentlicht der Verein Mehr Demokratie einen Report, wie es um die direkte Demokratie in den Kommunen steht. Erarbeitet wird er vom Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal. Nun liegt der Bürgerbegehrensbericht 2023 vor. Er zeigt: Wo die Bürger*innen sich einmischen können, tun sie es auch.

Rund 300 Bürgerbegehren pro Jahr

245 neu gestartete Verfahren auf kommunaler Ebene verzeichnet der Bericht. Das ist etwas weniger als in den Vorjahren (Im Jahr 2021 waren es 307 Verfahren, 2020 wurden 289 Verfahren gezählt und 2019 insgesamt 369). Doch insgesamt pendele sich die Zahl bei rund 300 im Jahr ein, teilt Mehr Demokratie mit. Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck erklärt: Wegen der Corona-Pandemie hätten die Bürger*innen sich in den vergangenen Jahren etwas damit zurückgehalten, auf Straßen und Plätzen zu stehen und Unterschriften zu sammeln.

Bis zum Jahr 1990 gab es in Deutschland nur ein einziges Land, in dem direkte Demokratie auf kommunaler Ebene praktiziert wurde, nämlich Baden-Württemberg. Im Zuge der Deutschen Einheit änderte sich das, nach und nach wurden in allen Bundesländern direktdemokratische Instrumente eingeführt. Der Verein Mehr Demokratie setzt sich dafür ein, direktdemokratische Elemente zu fördern und Hürden abzubauen.

Im Gesamtzeitraum 1956 bis 2022 gab es insgesamt 8.958 direktdemokratische Verfahren. Die meisten Verfahren betrafen Wirtschaftsprojekte (wie Einkaufszentren oder Hotelausbau), öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen (zum Beispiel Schulen, Kitas, Schwimmbäder) und Verkehrsprojekte (Umgehungsstraßen, Fußgängerzonen oder Radwege).

Unterschiedliche Regelwerke

Die Daten zeigen deutliche Unterschiede zwischen den Ländern. Etwa 40 Prozent aller erfassten Verfahren fanden in Bayern statt. Das liegt allerdings auch an der Größe des Bundeslandes. Gemessen an der Anzahl der Gemeinden ist Hamburg Spitzenreiter, hier findet pro Stadtbezirk etwa ein Verfahren pro Jahr statt. Schlusslicht ist Rheinland-Pfalz mit einem Verfahren alle 218 Jahre pro Gemeinde.

Das Gefälle zwischen den Bundesländern führt der Verein Mehr Demokratie auf die unterschiedlichen Regelwerke zurück, die ein erfolgreiches Bürgerbegehren erleichtern oder erschweren. Das betrifft zum Beispiel Mindestquoren oder die Zulässigkeit bestimmter Themengebiete. Einen Ausreißer gibt es auch hier: Thüringen habe eigentlich „die besten Regeln in Deutschland”, so Beck. In der Praxis würden Möglichkeiten aber nur verhalten angewandt. Als Grund vermutet Beck, dass die Rechte der Bürger*innen noch zu wenig bekannt seien.

Schleswig-Holstein verschärfte die Regeln

Kritik äußert der Verein an Schleswig-Holstein, weil die schwarz-grüne Koalition im April diesen Jahres neue Regeln beschlossen hat, die Bürgerbegehren einschränken. So seien Bürgerbegehren zur Bauleitplanung nicht mehr möglich, wenn der Gemeinderat diese mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen habe, erklärt Ralf-Uwe Beck. „Hier werden unliebsame Bürgerbegehren einfach unterbunden“, sagt er. Das Demokratieverständnis der Regierung habe regressive Züge.

Die Grünen in Schleswig-Holstein begründeten die Neuregelung unter anderem damit, man wolle bei Klimaprojekten schneller werden. Der Verein Mehr Demokratie hält es jedoch für ein Vorurteil, dass Bürgerbegehren den Klimaschutz behindern. In den vergangenen zehn Jahren habe es in Deutschland 387 Verfahren mit einem Klimafokus gegeben. Fast zwei Drittel dieser Fälle hätten in eine den Klimaschutz fördernde Richtung gezielt. „Insgesamt lässt sich also nicht urteilen, dass die Bürgerinnen und Bürger auf der Bremse stehen“, sagt Beck.

Er räumt ein, dass das nicht für den Windkraftausbau in Schleswig-Holstein gilt. 70 Prozent der Verfahren zum Thema hätten sich gegen mehr Windräder gerichtet. Doch in den vergangenen fünf Jahren habe sich auch das umgekehrt, nun werde der Ausbau durch die direkte Demokratie eher beschleunigt. „Wir haben eine Bewusstseinsstärkung, was den Klimaschutz angeht“, sagt er.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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