Beton statt Grün: Deutsche Großstädte entsiegeln zu wenig
Bebaute Flächen zu entsiegeln, gilt als wichtige Maßnahmen, um Kommunen an den Klimawandel anzupassen. Doch in der Praxis passiert oft das Gegenteil. Das zeigt eine Recherche zu den Entwicklungen in Hamburg, Leipzig und Stuttgart.
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Parkplatz in Hamburg: In der Hansestadt wurden in den vergangenen sechs Jahren besonders viele Flächen neu versiegelt.
Nicht nur im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird das Ziel ausgegeben, Flächen zu entsiegeln. Denn wenn mehr Regenwasser vor Ort im Boden versickern kann, verringert das die Gefahr von Überschwemmungen und senkt die Temperaturen an Tagen mit starker Hitze.
Versiegelung hat zugenommen
Doch treiben deutsche Kommunen tatsächlich die Entsiegelung voran? Das hat die Rechercheorganisation Correctiv nun gemeinsam mit Vertical52 anhand von Fallbeispielen untersucht. Vertical52 ist eine Plattform für Satellitenjournalismus. Anhand von Satellitendaten wurde überprüft, wie sich die Versiegelung der Städte Leipzig, Hamburg und Stuttgart seit dem Jahr 2018 entwickelt hat.
Der nun veröffentlichte Bericht kommt zu dem Schluss: Die Städte entsiegeln nicht ausreichend, um Menschen vor Klimafolgen wie Hochwasser oder Hitze zu schützen. Im Gegenteil: Die Versiegelung hat sogar in allen drei Städten zugenommen.
Drei Fallbeispiele
Leipzig hat laut Correctiv und Vertical52 seit dem Jahr 2018 acht Quadratkilometer Grünfläche verloren. Auch viele neu gepflanzte Bäume konnten diesen Verlust nicht auffangen. Der Anteil betonierter und asphaltierter Flächen ist von 29,2 auf 31,2 Prozent gewachsen – ein Zuwachs von rund sechs Quadratkilometern.
Die Stadt Stuttgart hat zwar Entsiegelungsprojekte vorangetrieben, etwa im Europaviertel oder rund um das Rathaus. Auch ist es gelungen, einen Quadratkilometer Grünflächen hinzuzugewinnen. Doch insgesamt ist auch in der Schwabenmetropole die Versiegelung um einen Quadratkilometer angestiegen.
In Hamburg wurde besonders viel betoniert und asphaltiert. 14 Quadratkilometer Fläche wurden hier neu versiegelt. Das sei fünfmal so groß wie der Stadtteil St. Pauli, heißt es im Bericht.
Woran liegt es, dass zu wenig entsiegelt wird?
Die Ergebnisse decken sich mit früheren Erkenntnissen. Im Jahr 2023 ergab eine Umfrage von Correctiv, BR, NDR und WDR, dass nur jeder dritte Landkreis Flächen entsiegelt, um Städte bei Hitzewellen abzukühlen.
Correctiv nennt auch mehrere Gründe, weshalb die vielbeschworene Entsiegelung in der Praxis zu selten stattfindet. Ein Problem sei, dass die Abteilungen in den Stadtverwaltungen strikt voneinander getrennt seien. Klimaschutz und -anpassung beträfen jedoch alle Bereiche der Verwaltung. Das Ergebnis sei eine widersprüchliche Stadtentwicklung.
Die Baugesetzgebung wird als weiteres Hindernis genannt. So sei es nach aktueller Rechtslage schwer, Gewerbe in Wohnraum umzuwandeln. Deshalb würden Wohnungen auf der grünen Wiese gebaut, anstatt leerstehende Büros umzuwandeln. Das Bundesbauministerium hat aktuell an eine Baugesetzbuch-Novelle in den Bundestag eingebracht, die dieses Problem angehen soll.
Ein dritter Grund für die Versiegelung von Bodenflächen sei die Abhängigkeit von Investoren, schreibt Correctiv. Das führe zum Beispiel dazu, dass für einen ersehnten Supermarkt ein neues Gewerbegebiet ausgewiesen wird, wo bisher eine Grünfläche war. Der Investor werde dann auch nicht verpflichtet, den Supermarkt mit einer Tiefgarage zu versehen oder obendrüber Wohnungen zu bauen. Stattdessen entstehe oft noch ein Parkplatz nebendran.
Link zum Bericht von Correctiv:
correctiv.org
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.