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„Caring Communities“: AOK wirbt für Pflege-Netzwerke in Kommunen

Eine AOK-Studie sieht im Ehrenamt große Potenziale, damit Pflegebedürftige länger in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Die Krankenkasse appelliert nun an die Kommunen, neue Pflegestrukturen und Netzwerke aufzubauen.

von Carl-Friedrich Höck · 10. Dezember 2024
Frau mit Rollator im Park

Ehrenamtliche Unterstützung von Pflegebedürftigen kann zum Beispiel darin bestehen, dass sie regelmäßig beim Spaziergang begleitet werden.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat seinen Pflege-Report 2024 veröffentlicht. Demnach ist die Zahl der Pflegebedürftigen im Zeitraum 2017–2023 stark gestiegen. Der Anteil der Pflegebedürftigen unter den Soziale-Pflege-Versicherten hat bundesweit um 57 Prozent zugenommen. Dabei gibt es erhebliche regionale Unterschiede: je nach Landkreis variierte der Anstieg von 37 bis 144 Prozent.

Dem Bericht zufolge waren im Jahr 2023 sieben Prozent aller Versicherten pflegebedürftig. Den höchsten Anteil an Pflegebedürftigen gab es vorwiegend in Kreisen in Ostdeutschland, Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland: Hier waren zwischen 9,1 und 17,1 Prozent pflegebedürftig.

Demografie ist nicht der einzige Grund

Ein Grund für den Anstieg ist die demografische Entwicklung. Die geburtenstarken Jahrgänge 1946 bis 1964 – die sogenannten Babyboomer – haben mittlerweile ein hohes Alter erreicht. Damit steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen. Das allein erkläre die Zahlen aber nicht, meinen die Autor*innen des Pflegereports. Denn in 396 von 400 Städten und Landkreisen habe die Anzahl an Pflegebedürftigen über dem Wert gelegen, der demographisch erwartbar gewesen wäre. Ein weiterer Faktor: im Jahr 2017 wurde der Begriff der Pflegebedürftigkeit erweitert. Dadurch haben mehr Menschen Anspruch auf Leistungen als vorher.

Susann Behrendt, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege am WIdO, meint: „Die Ergebnisse zeigen, wie heterogen das Thema Pflege in Deutschland ist.“ Um die Pflegeinfrastruktur vor Ort systematisch und passgenau planen zu können, müsse man auch berücksichtigen, wie unterschiedlich verschiedene Leistungen auf kommunaler Ebene in Anspruch genommen werden.

Kommunen sollen Unterstützung organisieren

Der AOK-Bundesverband spricht sich nun dafür aus, in der Pflege neue Wege zu gehen. Die Vorstandsvorsitzende Carola Reimann erklärte am Dienstag: „Um den Wünschen der Menschen mit Unterstützungsbedarf nach Verbleib in ihrer gewohnten Umgebung und nach gesellschaftlicher Teilhabe zu entsprechen und auch, um Unterstützung und Pflege vor Ort zu organisieren, kommt den Kommunen eine zentrale Rolle zu. Dafür sind Caring Communities ein geeigneter Ansatz.“

Laut AOK beinhaltet dieser Ansatz „integrierte sozialräumliche Planung, innovative Wohnformen, den effizienten Einsatz professioneller Pflege und den Aufbau von unterstützenden Netzwerken vor Ort“. Diese können aus Angehörigen und Freund*innen, aber auch Ehrenamtlichen bestehen – sowie aus professionellen Akteur*innen der Gesundheits- und Pflegeversorgung.

Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der AOK hat ergeben, dass viele Menschen bereit sind, pflegebedürftigen Menschen im Alltag beizustehen. Das gilt nicht zuletzt für die Generation der Babyboomer: 64 Prozent von ihnen können sich grundsätzlich vorstellen, sich ehrenamtlich in einem Netzwerk zur Unterstützung pflegebedürftiger Menschen zu engagieren. Besonders häufig genannt wurden dabei Tätigkeiten wie: Pflegebedürftige beim Einkaufen unterstützen, ihnen Gesellschaft leisten (etwa mit Spaziergängen oder Vorlesen) oder sie bei Behördengängen und Arztbesuchen begleiten.

Modellprojekte in Hannover

Hannover hat sich das Thema Caring Communities bereits auf die Fahnen geschrieben. In der Stadt werden sogenannte Quartierszentren aufgebaut. Dort sollen Beratungs- Bildungs- und Kulturangebote mit therapeutischen, medizinischen und pflegerischen Angeboten kombiniert werden. Die AOK beschreibt es so: Ein Quartierszentrum solle beispielsweise als Wohn- und Pflegezentrum mit Plätzen für die Langzeitpflege und im betreuten Wohnen ausgestaltet werden. Daran angeschlossen seien Angebote wie präventive Hausbesuche oder ein gemeinsamer Mittagstisch für die Bewohner*innen in der Umgebung. Zudem gebe es Kooperationen mit Arztpraxen, Angehörigenschulungen und mehr.

Dagmar Vogt-Janssen, Fachbereichsleiterin Senioren der Landeshauptstadt Hannover, sagte: „Ein Quartier mit einem Quartierszentrum kann ein Ort der Geborgenheit sein, in dem sich die Menschen begegnen und gegenseitig unterstützen.“

Pflegeeinrichtungen schlagen Alarm

Dass mit Blick auf das deutsche Pflegesystem Handlungsbedarf besteht, hat jüngst auch der „Arbeitgeberverband Pflege“ betont. Präsident Thomas Greiner sagte bei einem Pressegespräch am 5. November: „Man kann nicht mehr sagen, es gibt in Deutschland für alle eine gute und bezahlbare Pflege“. Seit 2021 seien mindestens 1.100 Einrichtungen geschlossen worden oder insolvent gegangen.

Grund seien gestiegene Kosten, die von den Kassen nicht rechtzeitig refinanziert würden. Täglich gingen bei den Heimleitungen Anrufe ein von Menschen, die verzweifelt einen Heimplatz suchen. In Zukunft müssten mit weniger Pflegekräften mehr Menschen versorgt werden, so Greiner. Bund, Länder und Kommunen rief er auf, die Pflegeeinrichtungen stärker zu unterstützen – etwa durch die Übernahme von Investitionskosten, weniger Bürokratie und die Bereitstellung von Grundstücken.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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