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Daldrup über Bilanz der SPD-Fraktion: „Anwältin kommunaler Interessen”

Was hat die SPD-Bundestagsfraktion für die Städte und Gemeinden erreicht? Der kommunalpolitische Sprecher Bernhard Daldrup zieht im Interview ein Fazit. Zur Bundestagswahl tritt er nicht wieder an.

von Carl-Friedrich Höck · 9. Januar 2025
Bernhard Daldrup am Rednerpult des Bundestages

Bernhard Daldrup ist Sprecher der Arbeitsgruppe Kommunalpolitik in der SPD-Bundestagsfraktion.

DEMO: Die Wahlperiode des Bundestages endet in wenigen Wochen. Wie fällt aus Ihrer Sicht die Bilanz mit Blick auf die Kommunen aus?

Bernhard Daldrup: In der Gesamtbetrachtung positiv. Die SPD-Fraktion hat ihrem Selbstverständnis Rechnung getragen, Anwältin kommunaler Interessen zu sein. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Nachdem die Kommunen über zehn Jahre positive Finanzierungssalden gehabt haben, gab es im vergangenen Jahr ein deutliches Defizit in den kommunalen Haushalten.

Insgesamt betrugt das kommunale Finanzierungsdefizit 2024 rund 17 Milliarden Euro. Welchen Anteil hat die Bundespolitik daran?

Sie hat durchaus eine Teilverantwortung dafür. Denn manche Gesetze, die der Bund beschließt, lösen bei den Ländern und Kommunen zusätzliche Kosten aus. Ich will aber auch deutlich sagen: Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen stimmen nicht mehr. In vielen Bereichen übernimmt der Bund mittlerweile Finanzierungsaufgaben, die eigentlich originär bei den Ländern zu verorten sind. Also sind auch die Länder gefordert, ihre Finanzierungsverantwortung wieder stärker wahrzunehmen.

Bernhard Daldrup

Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen stimmen nicht mehr.

Nehmen wir die kommunalen Altschulden: Eine wachsende Zahl von Kommunen kann sich nicht mehr aus einer Schuldenspirale befreien, in die sie durch den Strukturwandel geraten sind. Das hat Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse in den Städten und Gemeinden. Die Verfassung verpflichtet uns, gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Also müssen wir die Altschuldenfrage gemeinsam mit den Ländern lösen. Die aktuelle Minderheitsregierung erarbeitet dazu einen Vorschlag, zu dem der ehemalige Bundesfinanzminister Lindner nicht in der Lage war. Der Vorschlag sieht eine Grundgesetzänderung vor, für die wir Stimmen der Opposition, also CDU und CSU brauchen. Ob die Union mitmacht, ist fraglich.

Die Ampelkoalition hat zu Beginn der Wahlperiode das Ziel ausgegeben, gemeinsam mit den Kommunen 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen. Das Ziel wurde deutlich verfehlt. Sehen Sie dennoch einen Kurswechsel in der Wohnungspolitik?

Das ursprüngliche Ziel von 400.000 Wohnungen war ambitioniert. Nachdem sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich verändert haben, war es nicht mehr zu schaffen. Ich will aber dem Mainstream etwas entgegenwirken. Wir haben im Regelfall in den vergangenen Jahren 300.000 Wohnungen pro Jahr erreicht, trotz der gestiegenen Baukosten und Zinsen. Zudem besteht noch immer ein Bauüberhang von über 800.000 Wohnungen, wovon sich derzeit 390.000 Wohnungen im Bau befinden. 

Und im vorletzten Jahr wurden 50.000 neue Sozialwohnungen errichtet. Wir investieren wieder deutlich mehr in den sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau als in den vergangenen Wahlperioden. Das werden auch die Zahlen für 2024 zeigen. In einigen Bundesländern nimmt die Gesamtzahl der Sozialwohnungen wieder zu, die Fördermittel sind vielfach komplett verplant. Das ist eine echte Trendwende, nachdem über viele Jahre mehr Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen sind, als neue geförderte Wohnungen geschaffen wurden. Der Bund investiert gegenwärtig 3,5 Milliarden Euro pro Jahr in Sozialwohnungen. Bis 2027 haben wir eine Summe von mehr als 18 Milliarden dafür zur Verfügung. 

Bernhard Daldrup

Wir investieren wieder deutlich mehr in den sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau als in den vergangenen Wahlperioden.

Außerdem haben wir das Wohngeld erhöht und so gestaltet, dass mehr Menschen es in Anspruch nehmen können. Diesen Weg wollen wir fortsetzen, indem wir zusätzlich den genossenschaftlichen Wohnungsbau und Azubi-Wohnungen fördern sowie die neue Wohngemeinnützigkeit weiter stärken.

Zwei Vorhaben der Bundesregierung haben bei den Kommunen für besonders große Diskussionen gesorgt: die Krankenhausreform und die Pflicht zur kommunalen Wärmeplanung. Halten Sie die Projekte in der Rückschau für gelungen?

Die kommunale Wärmeplanung ist unausweichlich. Ob unsere Pläne gelungen sind, wird sich zeigen. Es hat sich schon jetzt eine große Zahl von Kommunen auf den Weg gemacht, Wärmepläne zu erarbeiten. Nun kommt es auf zwei Dinge an: Erstens müssen wir das Thema Wärmewende aus der Schmuddelecke herausholen. Dort ist es durch die CDU hineingeraten, aber auch durch Fehler, die das Klimaministerium unter Robert Habeck beim Heizungsgesetz gemacht hat. Zweitens muss der Bund die Kommunen bei der Wärmeplanung weiter unterstützen. Es steht Geld zur Verfügung, um die Pläne zu erarbeiten, und ein Kompetenzzentrum, das den Kommunen hilft. Aber es stehen noch bei weitem nicht genügend Mittel bereit, um die Wärmepläne dann auch umzusetzen.

Und die Krankenhausreform?

Sie setzt im Kern die richtigen Akzente. Streiten kann man darüber, ob die Liquiditätsprobleme, in die viele Krankenhäuser zwischenzeitlich geraten sind, besser hätten aufgefangen werden müssen. Ich bin der Meinung: Ja, das hätten passieren müssen, damit nicht so viele Kliniken in Konkurs gehen. Wir hatten es hier aber mit deutlichem Widerstand aus dem Finanzministerium und der FDP zu tun.

Im Februar 2022 hat Russlands Präsident Putin die Ukraine angegriffen. In der Folge sind mehr als eine Million Menschen nach Deutschland gekommen, die von den Kommunen aufgenommen werden mussten. Wie gut ist das aus Ihrer Sicht gelungen?

Der Bund hat schnell entschieden, dass die Flüchtlinge nicht Asylbewerberleistungen beziehen sollen, sondern sofort ins SGB II kommen, also wie anerkannte Flüchtlinge Bürgergeld erhalten. Heute wird das kritisiert. Damals war es aber eine Entscheidung, die die finanziellen Lasten der Kommunen reduziert hat. Deshalb war sie richtig.

Bei der Flüchtlingspolitik insgesamt stellen sich zwei Fragen: Bewältigen wir die Integrationsaufgaben bei denjenigen, die in Deutschland eine dauerhafte Bleibeperspektive haben? Und bringen wir Asylverfahren schnell genug und wirkungsvoll zum Abschluss? In beiden Bereichen sind wir noch nicht genügend vorangekommen. Wir müssen als Gesellschaft verstehen, dass die Aufnahme und Integration von Geflüchteten in der heutigen Welt eine Daueraufgabe für die Kommunen bleiben wird. Deswegen muss diese Aufgabenstellung auch im Finanzierungssystem zwischen Bund und Ländern – und insbesondere auch zwischen Ländern und Kommunen – eine Verankerung finden.

Die SPD-Fraktion konnte in der Koalition nicht alle Wünsche umsetzen. Was sollte die zukünftige Bundesregierung mit Blick auf die Kommunen unbedingt noch anpacken?

Das Thema Finanzen. Der Steueranteil der Kommunen muss größer werden. Zweitens müssen wir die Kommunen in die Lage versetzen, ihren Investitionsrückstand von gegenwärtig 186 Milliarden Euro abzubauen und in die Zukunft zu investieren. Das betrifft insbesondere die Infrastruktur, also zum Beispiel Straßen, Rathäuser, Schulen und Sportstätten. Sie müssen auf Vordermann gebracht und energetisch saniert werden. Die Kommunen brauchen niedrigschwellige Förderkulissen, die transparent und insbesondere für finanzschwache Städte und Gemeinden leichter zugänglich sind. Und drittens muss die nächste Bundesregierung den Kommunen helfen, ihre Wärmeplanung umzusetzen. Dazu muss sie Geld in die Hand nehmen. Außerdem muss sich der Bund weiterhin um die Frage kümmern, wie wir gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland schaffen und sichern. Das ist keine Ost-West-Diskussion, sondern betrifft die gesamte Republik. Und das ehrenamtliche Engagement muss in den Kommunen gestärkt werden, bildet es doch vielfach die Basis des örtlichen Miteinander.

Bernhard Daldrup

Es war mir eine unglaubliche Ehre, im Deutschen Bundestag Politik machen zu dürfen

Sie sind seit zehn Jahren kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Zur nächsten Wahl treten Sie nicht wieder an. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf das Ende Ihrer Zeit im Bundestag?

Erstens: Zufriedenheit. Es freut mich, dass ich zehn Jahre lang einen Beitrag leisten konnte, dass die SPD-Bundestagsfraktion sich als Anwältin der Städte, Gemeinden und Landkreise versteht. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Bundestag mittlerweile wieder einen Ausschuss hat, der das Wort „Kommunen“ im Namen trägt. Viele Jahre war das gar nicht der Fall. Das zweite Gefühl ist Wehmut. Es war mir eine unglaubliche Ehre, im Deutschen Bundestag Politik machen zu dürfen für die Bevölkerung, meinen Wahlkreis und für die Kommunen. Ich werde das vermissen. Meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern drücke ich die Daumen, dass sie nach der Wahl wieder eine gute Arbeit finden. Mir war aber auch immer bewusst, dass politische Mandate eine Aufgabe auf Zeit sind. Darüber muss sich jeder im Klaren sein, der gewählt wird. Und aufgrund meines Alters halte ich es jetzt für einen guten Zeitpunkt, Platz für Jüngere zu machen.


Mehr Informationen:
Die SPD-Bundestagsfraktion hat eine Broschüre „Bilanz unserer Politik für Kommunen (2021 – 2025)“ herausgegeben. Sie kann hier als PDF heruntergeladen werden, gedruckte Exemplare sind unter diesem Link bestellbar. Hinweis: Die Broschüre dient ausschließlich zur Information und darf nicht zu Wahlkampfzwecken genutzt werden.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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