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Demokratieexperten warnen vor Rechtsruck

Beratungsstellen bundesweit sind alarmiert. Im Jahresrückblick warnen sie vor einem deutlichen Stimmungsumschwung in manchen Teilen der Bevölkerung im Umgang mit Rechtsextremismus.

von Lea Hensen , Karin Billanitsch · 4. Dezember 2024
Jahresrückblick Mobile Beratung gegen rechts in Berlin: Im Bild v.l. Dominik Schumacher, Vertreter des Bundesverbands Mobile Beratung und Mobiler Berater in Düsseldorf, Sylvia Spehr, Geschäftsführerein in der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendkunstschulen Thüringen und engagiert im Bündnis Nordhausen zusammen, und Prof. Dr. Oliver Decker, Rechtsextremismus-Forscher an der Universität Leipzig und Herausgeber der Autoritarismus-Studien sowie Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratiefo

Der Bundesverband Mobile Beratkung stellt den Jahresrückblick 2024 vor. (V.l.) Dominik Schumacher, Sylvia Spehr und Prof. Oliver Decker.

Experten für Rechtsextremismus haben vor einem Stimmungsumschwung im Umgang mit Rechtsextremismus gewarnt. Dominik Schumacher, Mobiler Berater gegen Rechtsextremismus, informierte am Dienstag gemeinsam mit anderen Experten über die rechtsextremen Szene. „Die Lage ist dramatisch“ sagte er in Berlin. Die Mobilen Beratungsstellen unterstützen Betroffene im Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und bieten Fortbildungen an.

2024 hätten die rund 50 Beratungsstellen des Dachverbands so viele Anfragen wie nie gehabt, sagte Schumacher. Die AfD habe bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg große Erfolge eingefahren, gleichzeitig hätten demokratische Parteien teilweise inhaltlich und sprachlich die Forderungen der Rechtsextremen übernommen, etwa beim Asylrecht. 

„Die extreme Rechte ist in der Offensive", sagte Schumacher. Daran hätten auch die Demokratie-Proteste zu Jahresbeginn nicht viel geändert. „Die Proteste haben gezeigt, das demokratische Potenzial ist gewaltig, aber braucht Unterstützung aus der Politik."

Konservative für Kampf gegen Rechtsextremismus mobilisieren

Der Extremismus-Forscher Oliver Decker von der Universität Leipzig teilt diesen Eindruck. Gemeinsam mit anderen veröffentlicht er seit 2002 Studien zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland. Seit Beginn der Erhebung seien noch nie so viele Menschen demokratiefeindlich gewesen wie jetzt, sagte er am Dienstag. Im Westen Deutschlands habe die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen deutlich zugenommen und nähere sich den Einstellungen im Osten an. Unter AfD-Wähler*innen seien 60 Prozent ausländerfeindlich. 

Unter jüngeren Menschen gebe es heute mehr Vorbehalte und Abneigungen als bei den älteren Generationen. Im Westen Deutschlands seien unter 30-Jährige eher antisemitisch, im Osten teile diese Altersgruppe vor allem den Wunsch nach einem stärkeren Deutschland. „Mir fehlt die politische und ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ursachen der Politik“, kritisierte Decker. Auch ein AfD-Verbot könne die Ursachen für diese Entwicklung nicht beheben. Gleichzeitig appellierte er daran, nicht nur Menschen aus dem Mitte-Links-Spektrum, sondern auch Konservative für den Kampf gegen Rechtsextremismus zu mobilisieren.

Beispiel Nordhausen: Zivilgesellschaft steht zusammen

Wie wichtig es ist, dass die Zivilgesellschaft gegen rechtsextreme Tendenzen zusammensteht, zeigt das Beispiel Nordhausen. Sylvia Spehr vom „Bündnis Nordhausen“ berichtete aus der thüringischen Stadt, in der 2023 ein breites Bündnis dazu beitrug, einen Oberbürgermeister der AfD zu verhindern. Aktiv hatten Kirchen, Vereine, lokale Politiker verschiedener Parteien erreicht, dass der Kandidat im zweiten Wahlgang unterlag. Am 16. September waren 180 Menschen in Nordhausen auf die Straße gegangen, um für mehr Toleranz und Weltoffenheit zu demonstrieren. 

Die guten Ergebnisse der AfD in den Thüringer Kommunalwahlen und Landtagswahlen in 2024 seien ernüchternd gewesen, sagte Spehr im Rückblick. Auch in Nordhausen zog die AfD bei den Kommunalwahlen mit vielen Sitzen in Kreistag und Stadtrat ein. 

„Wer sich für Demokratie einsetzt, wird alleine gelassen“

Die Experten warnten am Dienstag außerdem vor der finanziell instabilen Situation vieler Demokratie-Initiativen. „Wer sich für Demokratie einsetzt, wird alleine gelassen“, kritisierte Decker scharf . Hunderte Kollegen wüssten nicht, ob sie 2025 weiterarbeiten können, berichtete Schumacher aus den Mobilen Beratungsstellen. 

Die Politik müsse die Finanzierung endlich durch gesetzliche Grundlagen dauerhaft sichern und nicht auf einzelne Projekte reduzieren. Zivilgesellschaftliche Initiativen auszudünnen sei erklärtes Ziel der AfD. 

Sylvia Spehr bleib trotz der Herausforderungen optimistisch und will sich weiter engagieren: „Wir werden nicht leiser werden“, sagte Spehr. „Am Ende wird Demokratie stärker sein als ihre Feinde“, ist sie überzeugt. 

Autor*in
Lea Hensen

ist Redakteurin des vorwärts

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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