Aktuelles

„Der 13. Februar bleibt ein Reizthema”

Am 13. Februar wird in Dresden alljährlich der Opfer der Luftangriffe von 1945 gedacht. Rechtsextreme nutzten das Gedenken jahrelang für große Aufmärsche. Im Interview spricht der Dresdner SPD-Vorsitzende Richard Kaniewski über die Bedeutung des Datums, den Widerstand der Bevölkerung gegen die Rechten und Fehler der Stadt.
von Carl-Friedrich Höck · 13. Februar 2018
placeholder

Herr Kaniewski, was bedeutet der 13. Februar für Sie persönlich?

Für mich ist der 13. Februar ein sehr ambivalentes Datum. Meine Familie stammt aus Dresden, deshalb kenne ich auch die lange Diskussion um diesen Tag. Meiner Großmutter ist es ein wichtiges Anliegen, an dem Tag still zu gedenken, weil sie eine persönliche Geschichte damit verbindet. Auf der anderen Seite war der Tag für mich in den vergangenen Jahren von den politischen Debatten und dem aktiven Eintreten gegen die Instrumentalisierung durch die Nazis geprägt. Es ist nicht immer einfach, diese beiden Dimensionen zusammenzubringen.

Die SED instrumentalisierte das Gedenken an den Luftangriff auf Dresden, um die Westalliierten als barbarisch zu brandmarken. Seit Ende der 90er Jahre nutzten Rechtsextremisten den Jahrestag für Aufmärsche – 2005 etwa liefen 6.500 Nazis durch die Stadt. Wie hat sich das auf die Stadt ausgewirkt?

Zunächst gibt es große inhaltliche Kontinuitäten zwischen DDR-Geschichtsschreibung und dem Versuch der Vereinnahmung des Tages durch die Rechten. Oder anders formuliert: Die SED hat durch den Begriff „angloamerikanischen Bombenterror“ jenen Dresdner Mythos begründet, an den die Nazis später nahtlos anschließen konnten.

Dieses Geschichtsbild prägte viele Dresdner unterbewusst noch lange. Das ist ein Umstand, weshalb der Protest gegen die Naziaufmärsche nur langsam gewachsen ist. Die Neonazis haben es geschafft, über mehrere Jahre die größten Naziaufmärsche Europas in Dresden zu organisieren. Und auch wenn diese Demonstrationen durch das Engagement viele Demokratinnen der letzten Jahre inzwischen vergleichsweise klein sind, bleibt der 13. Februar ein Reizthema.

Wie hat die Stadt auf die Naziaufmärsche reagiert? Und welche Maßnahmen waren erfolgreich?

Aus meiner Sicht hat die Stadt Dresden sehr spät reagiert. Die Parteien – SPD, Grüne und Linke – aber auch der DGB, Kirchen und viele zivilgesellschaftliche Akteure haben frühzeitig angefangen, der Instrumentalisierung durch die Rechtsextremen etwas entgegenzusetzen. Damals mit Demonstrationen unter dem Motto „GehDenken“. Wir mussten aber feststellen, dass wir nicht so viele Menschen auf die Straße bekommen haben, wie wir es uns gewünscht hätten.

Die Demonstrierenden wollten ausdrücken: Dresden ist weltoffen und eben nicht die rechte Hochburg, als die sie am Jahrestag bundesweit auf den Fernsehbildschirmen zu sehen war. Das war am Anfang aber schwierig, weil die Stadt sich selbst nur langsam bewegt hat. Gefreut hat mich, dass sich ab 2010 weitere Formen des zivilgesellschaftlichen Protestes etabliert haben. Und auch die Menschenketten um die Innenstadt, mit denen die Bevölkerung seitdem am Jahrestag ein Zeichen gegen die rechten Aufmärsche setzt, war ein wichtiger Schritt. Die Stadt hat sich damit endlich klar positioniert und ebenfalls eine eigene Form des Proteste gegen die Instrumentalisierung etabliert.

Macht es einen so großen Unterschied für die Proteste, ob sich die obersten Repräsentanten der Kommune beteiligen?

Jedes Engagement gegen Rechtsextremismus und für Demokratie ist wichtig. Aber es war sicher ein wichtiger Anschub für bisher Unentschlossene, dass die Stadt mit an Bord gekommen ist, mit einem eigenen Angebot und einer Rede der Oberbürgermeisterin. Denn es macht eben doch einen Unterschied, ob linke Parteien und Kirchen zu einer Veranstaltung aufrufen oder ob ein größeres Bündnis, welches weitere Parteien und noch andere Organisationen in sich vereint, dahintersteht. Mit der Stadt an der Spitze wurde ein weiteres Angebot geschaffen, hinter dem die Dresdner auch Flagge zeigen konnten.

Wenn man Dresden mit anderen Städten wie Leipzig vergleicht, dann hat es ja Gründe, dass die Rechten sich ausgerechnet Dresden ausgesucht haben. Das liegt nicht nur an der Geschichte. Es liegt auch daran, dass die Stadt es ihnen lange sehr einfach gemacht hat hier zu marschieren. Und diejenigen, die dagegen protestiert haben, galten, vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen nachhallenden DDR-Geschichtsschreibung, schnell als diejenigen, die „stilles Gedenken“ verhindern wollen. Dabei war der Antrieb ein klares Zeichen gegen die Rechtsextremen.

Wie beteiligt sich die SPD gegenwärtig an dem Gedenktag?

Auf unterschiedliche Weise. Wir rufen wieder zur Beteiligung an der Menschenkette auf, aber auch zu anderen Aktionsformen, beispielsweise dem „Mahngang Täterspuren“. In der Stadt gibt es seit einigen Jahren eine Arbeitsgruppe 13. Februar, da sind auch die Stadtratsfraktionen beteiligt, also auch die der SPD. Darüber hinaus sind SPD und Jusos in verschiedenen weiteren thematischen Bündnissen involviert. Und wir unterstützen seit vielen Jahren zivilgesellschaftliches Engagement, etwa durch das Bündnis „Dresden Nazifrei.“ Man darf nicht vergessen: Dass die Nazis 2010 ihren Aufmarsch zum ersten Mal nicht durchführen konnten, lag ja nicht nur an der Menschenkette, sondern auch an den Blockaden der Gegendemonstranten. Dass die Nazis nicht mehr laufen konnten und Dresden für sie immer unattraktiver wurde, war die Summe des Engagements von ganz verschiedenen Organisationen und Institutionen.

Die Blockade-Aktionen waren stets umstritten. Ist diese Form des zivilen Widerstands notwendig, wenn man die Rechtsextremen nicht gewähren lassen will?

Diese Frage ist auch in der SPD kontrovers diskutiert worden. Letztlich ist es eine individuelle Entscheidung, ob man sich an so etwas beteiligen will. Die Blockaden haben aus meiner Sicht dazu beigetragen, dass sich die Nazis in Dresden nicht mehr so wohl gefühlt haben. Sie können ein legitimes Mittel sein, um sich den Rechten entgegenzustellen. Natürlich müssen sie friedlich ablaufen, es darf keine Gewalt geben.

Die Stadt unterhält seit 1956 eine Partnerschaft mit der englischen Stadt Coventry, die ihrerseits durch deutsche Luftangriffe zerstört worden ist. Wird die Partnerschaft heute noch aktiv gepflegt?

Die Partnerschaft existiert noch und es gibt einen regelmäßigen Austausch. Aber man könnte sie noch stärker nutzen, um die Dresdner Erinnerungskultur zu erweitern und darauf aufmerksam zu machen: Nicht nur Dresden wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Wie bewerten Sie die Situation in der Gegenwart? Rechnen Sie für den 13. Februar 2018 noch mit größeren rechten Aktivitäten, oder sind diese Zeiten vorbei?

Auf der einen Seite hat sich vieles zum Guten gewendet: Die Zivilgesellschaft hat den 13. Februar aus den Fängen der Rechtsextremen befreit. Auf der anderen Seite konzentrieren sich die Aktivitäten rechter Gruppen in den vergangenen Jahren nicht mehr nur auf den 13. Februar selbst, sondern auch auf dessen Umfeld. Am Samstag hatten wir eine Demonstration der Rechtsextremen, zum Glück nicht ohne Gegenprotest. Am Jahrestag gibt es eine Kundgebung der AfD und der Jungen Alternative. Und für das nächste Wochenende sind wieder verschiedene rechtsextreme Aktionen zu erwarten. Das Thema ist also nicht vom Tisch, nur weil am 13. Februar selbst nicht mehr die größte Nazi-Demo Europas in Dresden stattfindet. Wir müssen weiter achtsam sein.

Wenn wir uns über rechte Demonstrationen in Dresden unterhalten, müssen wir auch über Pegida sprechen. Warum ist es erneut Rechten und Rechtspopulisten gelungen, Dresden als Kulisse für fremdenfeindliche Kundgebungen zu benutzen? Hätte man das mit den gewonnenen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte verhindern können?

Diese Frage stellen sich die Menschen, die in Dresden gegen Rechts aktiv sind, jeden Tag. Leider gibt es auf Seiten der Stadt zahlreiche Baustellen, die jetzt wieder offenkundig geworden sind. Zum Beispiel müssen wir über die Arbeit der Ordnungsbehörden diskutieren: Wer bekommt welche Plätze für Demonstrationen zugewiesen? Wie konsequent werden Auflagen durchgesetzt?

Leider bedeutet eine „langjährige Erfahrung“ mit rechten Demonstrationen ja nicht zwangsläufig, dass die Stadt aus ihren Fehlern auch lernt. Auch bei Pegida ist die Stadt zunächst nicht geschlossen aufgestanden und hat gesagt: Wir wollen das nicht. Das ist in Leipzig anders. Dort hat der Oberbürgermeister sofort klare Zeichen gegen Legida und Co. gesetzt. Das wiederum hilft, die Zivilgesellschaft hinter gemeinsamen Aktionen zu versammeln. Mittlerweile haben wir aber auch in Dresden einen Oberbürgermeister, der sich klar positioniert – und das freut mich.

(Anmerkung der Redaktion: Oberbürgermeisterin von Dresden war 2008 bis 2015 Helma Orosz CDU. Seit 2015 ist Dirk Hilbert FDP das Stadtoberhaupt. Leipziger OB ist seit 2006 der Sozialdemokrat Burkhard Jung.)

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare