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Difu-Expertin Bock: „Leerstandsmanagement als Chefsache begreifen”

Stephanie Bock leitet beim Deutschen Institut für Urbanistik ein Projekt, das Kommunen bei der Aktivierung von Leerstand unterstützt. Im Interview erklärt sie, welche Ansätze sich bisher bewährt haben.

von Carl-Friedrich Höck · 27. Mai 2025
Porträtfoto Stephanie Bock

Stephanie Bock forscht am Deutschen Institut für Urbanistik unter anderem zu Stadt- und Regionalentwicklung.

DEMO: Laut Statistischem Bundesamt stehen in Deutschland knapp zwei Millionen Wohnungen leer. Welches Potenzial sehen Sie hier, um den deutschen Wohnungsmarkt zu entlasten?

Stephanie Bock: Das muss man differenziert betrachten. Es ist keine gute Strategie, Menschen, die in stark nachgefragten Städten Wohnraum suchen, in die strukturschwachen Regionen zu schicken, nur weil es dort noch Wohnraum gibt. Dort, wo der Wohnungsmarkt angespannt ist und die Nachfrage nach Wohnraum groß, stehen nur wenige Wohnungen leer. Da haben wir es oft mit spekulativem Leerstand zu tun oder mit sogenannten Schrottimmobilien, in die nicht gleich wieder jemand ein­ziehen könnte.

Wo ist der Leerstand besonders ausgeprägt?

Im statistischen Durchschnitt liegt der Leerstand bei vier Prozent in Westdeutschland und sechs bis sieben Prozent in Ostdeutschland. Im Schwerpunkt sind zumeist ländlich strukturierte Regionen betroffen, die gleichzeitig auch wirtschaftliche Strukturschwächen zu bewältigen haben. Dort ist die Nachfrage nach Bestandswohnungen gering. Zudem ziehen noch immer viele Menschen lieber in das Einfamilienhaus auf der grünen Wiese. Auch manche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister verlieren die Potenziale des Leerstands aus dem Blick, sie sehen eher in der Schaffung von Neubaugebieten einen politischen Erfolg.

Stephanie Bock

Leerstand betrifft nicht selten identitätsstiftende Gebäude, die manchmal auch abgerissen werden müssen.

In welchem Zustand sind die leer ­stehenden Wohnungen?

Ihr Zustand ist sehr unterschiedlich. Mehr als die Hälfte der betroffenen Gebäude steht schon länger als ein Jahr leer. Damit hier wieder jemand einziehen kann, sind oft erst einmal Sanierungsmaßnahmen nötig. Hinzu kommt, dass es sich teilweise um Wohnraum handelt, der umgebaut werden müsste, weil sich die Wohnbedarfe oder die energetischen Anforderungen verändert haben. Dies ist wiederum mit Investitionen verbunden, die nicht jeder Wohnungseigentümer leisten kann oder will. Für große Wohnungsbaugesellschaften ist dies tendenziell eher möglich. Viel komplizierter ist es bei Altbauten in Ortsinnenlagen, in Dörfern, bei alten Hofgebäuden oder ehemals gewerblich genutzten Gebäuden. Da fehlen den Eigentümern oft die finanziellen Möglichkeiten, um zeitgemäßen Wohnraum zu errichten.

Welche Folgen haben größere Leerstände für eine Stadt oder Gemeinde?

Da sich Leerstand häufig in den Zentren und Ortskernen konzentriert, verlieren diese an Bedeutung und werden unattraktiver. Zudem betrifft Leerstand nicht selten identitätsstiftende Gebäude, die manchmal auch abgerissen werden müssen, weil sie so lange leer stehen, bis sie nicht mehr erhalten werden können. Das führt dazu, dass die Lebensqualität in den betroffenen Städten und Gemeinden langsam, aber stetig abnimmt.

Es gibt Stimmen, die sagen: Wenn wir den ländlichen Raum mit besseren Verkehrsanbindungen und schnellem Internet aufwerten, dann wollen die Leute auch wieder dorthin ziehen. Was meinen Sie?

Diese These trifft zu, wenn die Pendel-Entfernungen zu den großen Zentren überschaubar sind. Im Berliner Umland gewinnen immer mehr Kleinstädte an Attraktivität. Es wird zunehmend vorstellbar, dort zu wohnen, weil die Entfernungen zur Stadt noch als zumutbar erlebt werden, weil es bezahlbaren Wohnraum und weil es ausreichend Angebote der Daseinsvorsorge gibt, wie zum Beispiel Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Arztpraxen. In Regionen, die weiter entfernt vom nächsten Verdichtungsraum liegen und beispielsweise keine Bahnanbindung haben, sieht das anders aus. Hier braucht es andere Ansätze, als auf Pendler zu setzen.

Welche?

Vor allem in ostdeutschen Regionen gibt es Initiativen, die sich an sogenannte Rückkehrer und Rückkehrerinnen wenden. Sie wollen Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind und ihre Heimatgemeinde zum Beispiel für eine Ausbildung verlassen haben, wieder zurückgewinnen. Die Städte Görlitz und Guben bieten die Möglichkeit zum Probewohnen an, die sie mit bundesweiten Imagekampagnen verbinden. Sie verweisen auf den vorhandenen Wohnraum und die Arbeitsmöglichkeiten in ihrer Stadt und laden Menschen dazu ein, für einen befristeten Zeitraum probeweise dort hinzuziehen und im Rahmen eines Praktikums potenzielle neue Arbeitsplätze kennenzulernen. Die Zielgruppe sind Fachkräfte, aber auch Seniorinnen und Senioren, die dort ihren Lebensabend verbringen möchten, werden angesprochen.

Stephanie Bock

Finanzielle Förderung allein reicht nicht aus, um die Probleme kleiner, strukturschwacher Kommunen zu lösen.

Die Bundesregierung hat Anfang 2025 eine Leerstandsstrategie veröffentlicht. Was bringt sie?

Die Handlungsstrategie Leerstandsaktivierung fasst Maßnahmen zusammen, mit denen der Bund die Kommunen beim Umgang mit Leerstand unterstützt. Es handelt sich überwiegend um Förderprogramme. Das jüngste heißt „Jung kauft alt“. Damit werden junge Familien finanziell unterstützt, die eine alte Immobilie erwerben, herrichten und selbst nutzen, anstatt auf der grünen Wiese zu bauen. Die Strategie umfasst auch die klassischen Städtebauförderprogramme, die sich auf die Innenentwicklung und die Förderung von Zentren konzentrieren. Finanzielle Förderung allein reicht aber nicht aus, um die Probleme kleiner, strukturschwacher Kommunen zu lösen.

Was braucht es noch?

Gerade in kleinen Kommunen stehen die oft ehrenamtlich tätigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die kleinen Verwaltungen vor besonderen Herausforderungen. Dort fehlen Zeit, Ressourcen und Know-how. Manche Kommunen haben bereits Schwierigkeiten, Fördermittel zu beantragen. Nicht nur deshalb bietet das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen eine Online-Plattform an, die derzeit vom Deutschen Institut für Urbanistik zusammen mit dem Institut Raum & Energie aufgebaut wird. Die Plattform bündelt Informationen zum Leerstandsmanagement und bereitet sie für die Kommunen auf. Die Plattform soll aufzeigen, wie mit Leerstandsproblemen vor Ort konkret umgegangen werden kann: Welche Instrumente und rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es? Was lässt sich planerisch regeln? Wie kann die Kommune Leerstand erfassen, Netzwerke aktivieren und die breite Palette vorhandener Fördermöglichkeiten richtig nutzen?

Wie ist der Stand des Projekts?

Bundesbauministerin Klara Geywitz hat die Plattform im Januar 2025 freigeschaltet. Erste Informationen sind dort also schon zu finden – und diese wollen wir in den kommenden zwei Jahren kontinuierlich ergänzen. Unter anderem veröffentlichen wir kommunale Erfolgsgeschichten, die verdeutlichen, was Kommunen erreichen können. Aktuell suchen wir weitere gelungene Projekte, insbesondere im ländlichen Raum, und freuen uns über entsprechende Hinweise.

Welche?

Eine Erfolgsgeschichte kommt aus Pößneck, einer Gemeinde in Thüringen mit etwas mehr als 12.000 Einwohnenden. Die Gemeinde hatte nach der Jahrtausendwende eine Leerstandsquote von mehr als 30 Prozent. Um hier gegenzusteuern, begann die Stadt, sich als Projektentwickler zu betätigen, statt auf private Investoren zu warten – denen war das Risiko zu hoch. Die Kommune kauft leer stehende Gebäude und setzt diese so weit instand, bis sie auf Rohbauniveau wieder auf dem Markt angeboten werden können. Das macht sie seit 15 Jahren, und es hat sich als sehr erfolgreiche Strategie erwiesen.

Ein weiterer erfolgreicher Ansatz ist es, wenn Kommunen eng mit zivilgesellschaftlichen und gemeinnützigen Initiativen zusammenarbeiten, die leer stehende Immobilien erwerben und für unterschiedliche Nutzungen weiterentwickeln. Häufig wird so nicht nur Wohnraum hergestellt – etwa für generationenübergreifendes Wohnen –, sondern es entstehen gleichzeitig Angebote der Daseinsvorsorge, die in den Regionen ebenfalls fehlen. Und ein dritter spannender Ansatz sind Kulturinitiativen, die mit Aktionen und Projekten auf den Leerstand aufmerksam machen. Das ist oft ein wichtiger erster Schritt, weil damit auch das Bewusstsein für diese Gebäude und das damit verbundene Potenzial steigt. Wenn es gut läuft, können solche Initiativen in einem weiteren Schritt das Interesse von Investoren wecken.

Wie können Kommunen solche Initiativen und Netzwerke unterstützen?

Ganz wichtig ist Beratung: Kommunen können den Initiativen Fördermöglichkeiten aufzeigen, eine Beratung durch Architekten anteilig finanzieren oder dabei helfen, den Kontakt zum Eigentümer der Immobilie herzustellen.

Mit den Eigentümern in einen guten Austausch zu kommen, fällt auch den Kommunen oft schwer. Besonders dann, wenn sie nicht aus dem Ort kommen oder im Ausland sitzen. 

Das ist eigentlich die größte Baustelle. Leider gibt es keinen Zauberspruch, der das Problem löst. Es hilft aber, wenn der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin Leerstandsmanagement als Chefsache begreift und selbst den Kontakt zu Eigentümerinnen und Eigentümern sucht. Manche Gemeinden haben Erfolg damit, Fragebögen an die Hauseigentümerinnen und -eigentümer zu schicken oder direkte Wege der Ansprache zu nutzen. In der Regel sind Kommunikationsprozesse mit privaten Akteuren langwierig. So gibt es unterschiedlichste Gründe, weshalb diese sich nicht aktiv um ihre Immobilien kümmern. Sei es, weil sie hoffen, dass die leer stehenden Gebäude irgendwann wieder von Teilen der Familie genutzt werden oder weil eine Erbengemeinschaft sich zerstritten hat – jeder dieser Fälle erfordert einen eigenen kommunikativen Zugang.

Wir haben nun viel über Wohnungen und kleine Häuser gesprochen, aber es stehen auch Fabrikgebäude oder Bauernhöfe leer. Kennen Sie gute Beispiele, wie man solche Immobilien neu bespielen kann?

Eine Erfolgsgeschichte ist der Hof Prädikow, ein großer Gutshof im märkischen Oderland, in dem inzwischen mehr als 50 Erwachsene und 25 Kinder Wohnraum gefunden haben. (Siehe Seite 9.) Für die Umwandlung leerstehender Bauernhöfe gibt es mittlerweile zahlreiche gute Beispiele. Und auch die Bedeutung der Umnutzung von Gewerbe zu Wohnen, das heißt der Umbau von Nichtwohngebäuden zu Wohngebäuden nimmt zu. 

 

Zur Person

Dr. Stephanie Bock ist Wissenschaftlerin beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Sie hat in Marburg und Frankfurt am Main Geografie studiert (1983–1991) und an der Universität Kassel einen Doktortitel in Planungswissenschaften erworben (2001). Berufserfahrung sammelte sie unter anderem als Regionalplanerin im Regierungspräsidium Darmstadt (1992–1995). Seit 2001 arbeitet sie beim Deutschen Institut für Urbanistik. Dort leitet sie das Team „Stadt und Raum“ im Forschungsbereich „Stadtentwicklung, Recht und Soziales“. Zudem ist sie Projektleiterin beim Aufbau einer Online-Plattform zur Aktivierung von Leerständen (seit 2024). Seit vielen Jahren begleitet und evaluiert Bock kommunale Programme und Förderschwerpunkte des Bundes. Die Expertin ist ständiger Gast der Kommission „Frauen in der Stadt“ des Deutschen Städtetages und Mitglied im Arbeitskreis „Bürgergesellschaft und Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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