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Gendergerechte Stadtentwicklung: „Ziel ist eine bessere Stadt für alle”

Lange Zeit wurden Städte hauptsächlich von Männern geplant. Die Perspektive von Frauen sei dabei oft außen vorgeblieben, sagt Mary Dellenbaugh-Losse. Die Forscherin erklärt, wie gendergerechte Stadtplanung funktioniert.
von Carl-Friedrich Höck · 2. Februar 2024
Dr. Mary Dellenbaugh-Losse ist Expertin für gendergerechte Stadtplanung

Sie forschen zu feministischer Stadtplanung. Wie lässt sich das definieren?

Ich nutze lieber den Begriff gendergerechte Stadtentwicklung. Das ist ein Werkzeug, mit dem wir Defizite in unseren Städten identifizieren können. Das Ziel ist es, zu einer besseren Stadt für alle zu kommen. Dafür greifen wir Perspektiven auf, die bisher oft außen vorgeblieben sind. Zum Beispiel kann ich sagen: Diese Stufe hier ist aus Sicht einer älteren Dame problematisch.

Warum sprechen Sie dann nicht einfach von einer Stadtplanung für alle?

Im Kern geht es genau darum. Dort hinzukommen ist aber einfacher, wenn wir konkrete Gruppen von Nutzer*innen identifizieren und überlegen: Welche Anforderungen haben sie an den Raum, an Zugänglichkeit, Komfort und Sicherheit? Und dann gehen wir mit dieser fiktiven Person neben uns durch die Stadt und versuchen, den Raum aus ihren Augen zu sehen. Die größte Gruppe, die in dieser Betrachtung bisher vernachlässigt wurde, sind eben die Frauen in all ihrer Vielfalt.

Lassen Sie uns etwas konkreter werden: Worauf kommt es zum Beispiel bei gendergerechter Verkehrspolitik an?

Frauen sind viel häufiger multimodal unterwegs. Das bedeutet: Sie gehen zu Fuß einkaufen, fahren dann mit dem Rad zur Arbeit oder nutzen das Auto, wenn sie die Oma besuchen. Frauen sind auch häufiger für Care-Arbeit unterwegs. Sie fahren also nicht nur morgens zur Arbeit und abends wieder heim, sondern reihen viele kurze Wege aneinander, wenn sie Einkäufe und andere Erledigungen machen.

Für die Kommunalpolitik bedeutet das: Wir müssen über die Tarifstrukturen im Öffentlichen Nahverkehr sprechen. Tickets, die nur in eine Richtung gültig sind, sind für Menschen ungeeignet, die auf dem Heimweg noch Umwege zur Kita und zum Supermarkt machen müssen. Oder nehmen wir das Thema Carsharing: Wir wissen, dass viele Sharing-Angebote sehr schlecht abschneiden bei Frauen. Sie passen nicht zu ihren Bedürfnissen, weil es zum Beispiel zu wenig Gepäckraum gibt oder Kindersitze fehlen. Oder weil sie mit dem geliehenen Auto nicht aus der Großstadt rausfahren dürfen, obwohl sie gerade dafür ein Auto brauchen könnten.

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Spielplätze. Was macht da gendergerechte Stadtplanung aus?

Wir sehen durch die Raumbeobachtungen, dass Mädchen ab dem Alter von 12 oder 13 Jahren von unseren öffentlichen Plätzen verschwinden. Das liegt daran, dass diese Räume für sie nicht ansprechend sind. Plätze für Jugendliche werden oft nach Schema F gebaut: Hier ein Bolzplatz, dort ein Skatepark. Diese Räume sind nicht den Jungs und Männern vorbehalten, aber sie sind männlich codiert. Auch wenn ein Mädchen gerne Fußball spielt, ist es für sie eine Hürde, wenn auf dem Bolzplatz mehrheitlich Jungs sind.

Wie können Kommunen es besser machen?

Ein wesentlicher Schlüssel ist die Beteiligung von Mädchen, wenn diverse Räume gestaltet werden. Jüngere Mädchen wünschen sich oft Trapeze, Sachen zum Schaukeln, Turnstangen usw. Die typischen Spielplätze aus dem Katalog sind für sie oft wenig geeignet. Auch wegen der Raumkonstellation: Da wird ein Objekt in die Mitte des Platzes gestellt, wo alle draufschauen. Das sollte man durchbrechen. Denn wir wollen ja Plätze, wo sich größere und kleinere Kinder und diverse Gruppen von jungen Menschen wohl fühlen.

Ein Thema, das nicht nur Frauen betrifft, sind sogenannte Angsträume. Also öffentliche Räume, wo Menschen sich unwohl fühlen. Welche klassischen Fehler sollten Stadtplaner*innen vermeiden?

Bauliche Fehler haben oft mit Beleuchtung zu tun: Kaputte Lampen, fehlendes Licht oder auch unpassende Beleuchtung. Sehr gängig sind zum Beispiel Sodium-Lampen, die ein orangenes und eher dunkles Licht abgeben. Typische Angsträume sind auch Einengungen und Tunnel, weil die Fluchtwege fehlen. Wenn jemand hier auf mich zukommt, den ich als suspekt wahrnehme, kann ich nicht ausweichen. Auch sehr laute Umgebungen sind problematisch, weil dort niemand Hilferufe hört. Das gleiche gilt für abgeschiedene Orte. Wenn ich hier umknicke, kann mir niemand helfen. Neben den baulichen Aspekten wie Sichtachsen geht es auch um Alltagsdinge: Kümmert sich jemand um den Müll? Werden Verunreinigungen entfernt?

In der Kommunalpolitik gibt es Quoten und Reißverschlussverfahren. Sie sollen dafür sorgen, dass mehr Frauen ihre Perspektive in die Politik einbringen. Stadtplanung wird aber zu großen Teilen in Planungsbüros gemacht. Sind diese zu männlich dominiert?

Planung und Architektur allgemein ist immer noch relativ männlich geprägt. Die aktuelle Statistik zeigt, dass wir etwa auf 35 Prozent Frauenanteil kommen bei den Architekt*innen. Zwischen den unterschiedlichen Sparten gibt es starke Unterschiede. In der Innenarchitektur kommen wir auf ungefähr 60% Frauen, in der Landschaftsarchitektur sind es 40 Prozent. Wenn wir über Hochbau-Architektur und Stadtplanung sprechen, sind es eher 30 Prozent. Dazu kommt: Nur sehr wenige Planungsbüros haben eine Chefin. Selbst wenn es dort Frauen gibt, dringt ihre Perspektive nicht unbedingt bis nach oben durch. Wir müssen aber auch über einen anderen Punkt sprechen …

Welchen?

Beteiligungsformate. Die Mitarbeitenden in den Kommunen machen sich viele Gedanken, um Formate zu entwickeln. Und die sollen dann für alle Bürger*innen passen. In der Praxis sehen wir aber, dass am Ende immer wieder dieselben „üblichen Verdächtigen“ am Tisch sitzen. Wir haben herausgefunden: Wenn wir nur Frauen und Mädchen in geschlossenen Gruppen befragen, kommen ganz andere Ergebnisse heraus. Dann werden Ideen und Perspektiven eingebracht, die ich unglaublich schätzenswert finde.

Die Begriffe feministische Stadtplanung bzw. gendergerechte Stadtplanung sind in den 1980er Jahren entstanden, aber immer noch relativ unbekannt. Nehmen Sie ein wachsendes Interesse daran wahr?

Ja, auf jeden Fall. Ich bekomme dazu auch immer mehr Anfragen. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein Grundwert der Europäischen Union und Teil der globalen Nachhaltigkeitsziele. Das Thema bewegt sich von den Rändern in die Mitte der Debatte, und dort gehört es meiner Meinung nach auch hin.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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