Geywitz wünscht sich „mehr Krach aus dem ländlichen Raum“
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Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) stammt „vom Dorf“, wie sie selbst sagt. Aus ihrer Sicht ist der Berliner Politik- und Medienbetrieb zu sehr auf Großstädte fixiert. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Mehrheit der Bevölkerung im ländlichen Raum lebt“, rief sie am Dienstag den Gästen im Berliner Tagungswerk zu. Damit stieß sie auf offene Ohren: Viele Zuhörer*innen waren selbst Kommunalpolitiker*innen aus Dörfern und Kleinstädten. Das Bauministerium hatte sie zu einem Kommunaldialog „Wohnen im ländlichen Raum“ eingeladen.
Gefühlte Trends?
Laut Tagungsprogramm sollte diskutiert werden, wie auch periphere Lagen vom Trend zum Wohnen auf dem Land profitieren können. Was – so die Hoffnung des Ministeriums – die angespannten Wohnungsmärkte in den Städten entlasten könnte, zumal in einigen Gegenden Deutschlands Häuser und Wohnungen leer stehen. Für Geywitz ist es auch eine Frage des Klimaschutzes: „Natürlich spart es jede Menge CO2, wenn wir die Häuser nutzen, die da sind, statt ständig neue zu bauen.“
Die These von der neuen Lust am Landleben ist allerdings umstritten, wie sich im Dialog schnell zeigte. „Wir hatten keine Landflucht und wir haben auch jetzt keine Stadtflucht“, betonte Professor Peter Dehne von der Hochschule Neubrandenburg. Er glaubt auch nicht, dass ländliche Räume das Wohnungsproblem der großen Städte lösen können. Kay Ruge vom Deutschen Landkreistag merkte in einer Gesprächsrunde an, die große Abwanderung aus den ländlichen Räumen habe „eher gefühlt“ stattgefunden. Tatsächlich hätten immer um die 56 bis 58 Millionen Menschen hier gelebt. Die Erzählung vom ländlichen Raum habe sich nun aber „in der Wahrnehmung durch Corona“ gewandelt.
Was im ländlichen Raum zu tun ist
Ruge sprach von „funktionierenden Räumen“ – mit Defiziten, die angegangen werden müssten: „Wir brauchen digitale Infrastruktur, wir brauchen medizinischen Versorgung“. Geywitz will hier unter anderem auf Gesundheitskioske setzen, wie es sie zum Beispiel in Thüringen gibt. „Man kann nicht in jedem Ort eine Krankenschwester vorhalten, aber man kann wieder mit vertretbaren Kosten und Personalaufwand staatliche Infrastruktur in die Fläche bekommen.“
Nötig sei auch eine gute Finanzausstattung der Kommunen, betonte Bernd Düsterdiek, Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Wir brauchen handlungsfähige Kommunen.“ In der Diskussion wurde deutlich, dass insbesondere kleinere Kommunen Schwierigkeiten haben, die für sie passenden Förderprogramme aufzuspüren. Auch fehlen hier Fachleute, die Projekte wie die Wärme- oder Mobilitätswende umsetzen können. „Wir brauchen Experten, die uns helfen können“, sagte ein Dorfbürgermeister. Ein anderer Bürgermeister bemängelte die Bürokratie in der Förderlandschaft. So dürfe die Kommune keine Spenden annehmen, weil das von der Förderung abgezogen werde.
Ländliche Räume bieten viel Potenzial
Welche Vorteile ländliche Räume ihren Bürger*innen bieten können, wurde auf der Tagung ebenso deutlich. „Da steppt der Bär“, berichtete Torsten Warnecke (SPD), Landrat des Kreises Hersfeld-Rotenburg. Hier gebe es Kulturangebote, die Städte so nicht hätten – zu großen Teilen ehrenamtlich organisiert. Claudia Müller (B90/Die Grünen), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, kommentierte: Die Bereitschaft, sich einzubringen, mache die Gemeinschaft im ländlichen Raum aus.
Genau das kann eine große Chance sein, machte Julia Paaß deutlich. Sie ist Mitgründerin und Vorstand des Netzwerks Zukunftsorte. „Der Leerstand muss zum Potenzialort werden“, forderte Paaß. Er könne Menschen mit Ideen anziehen, die auf der Suche nach Gestaltungsspielräumen seien und gemeinsam mit Gleichgesinnten etwas aufbauen wollen. Leute, denen es in den Metropolen zu eng, zu teuer und zu anonym sei. Oft gründeten sie genossenschaftlich organisierte Wohn- und Arbeitsprojekte. „Kooperative Leerstandsbehebung“ nennt Paaß das. Ihr Netzwerk berät solche Projekte. Auch die Kommunen könnten sie aktiv unterstützen, machte Paaß deutlich – zum Beispiel mit Liegenschaften, Netzwerkarbeit und einer unterstützenden Verwaltungskultur.
Hier Zuzug, dort Leerstand
Eine Diskussionsrunde zum Thema Planen und Bauen räumte mit dem Klischee auf, Wohnen außerhalb der Großstadt sei gleichbedeutend mit Einfamilienhäusern. Volker Riedel, Geschäftsführer bei der Alzeyer Baugesellschaft, erlebt in seiner Kleinstadt einen enormen Zuzug. „Die Nachfrage ist gezielt nach Geschosswohnungsbau“, berichtete er. Das kommunale Wohnungsunternehmen reduziere den Pro-Kopf-Verbrauch an Wohnfläche und achte auf eine einfache Ausstattung, um Wohnraum bezahlbar zu halten.
Das entgegengesetzte Problem hat Andreas Heinrich, 2. Beigeordneter der Stadt Prenzlau. Die Bevölkerung sinkt, frühere sozialistische Mustersiedlungen stehen leer. „Es würde schon reichen, wenn wir sie abreißen könnten“, sagte Heinrich. Auch aus dem Publikum wurde beklagt, dass es keine öffentlichen Gelder mehr für das „Wegräumen“ gebe. Das behindere die Entwicklung mancher Orte. So sieht es auch Bundesbauministerin Geywitz. „Leerstand ist auch ein Missstand am Wohnungsmarkt“, erklärte sie. Das führe im restlichen Wohnungsbestand dazu, dass nicht investiert werde, weil die Mieten so niedrig seien, dass es sich nicht rechne. Als Strategien gegen Leerstand hätten sich Leerstandskataster und „Kümmerer“ vor Ort bewährt, wie es sie etwa in Thüringen gebe. Geywitz kündigte zudem an, sie wolle sich Gedanken um die „Frage der herrenlosen Häuser“ machen: sanierungsbedürftige Gebäude, die nach dem Tod der Eigentümer*innen nicht mehr genutzt werden, weil die Kinder längst weggezogen sind und kein Interesse an der Immobilie haben.
Ringen um Aufmerksamkeit
Politische Entscheidungen in Berlin und den Landeshauptstädten sorgen in ländlichen Räumen immer wieder für Kopfschütteln – auch in der Kommunalpolitik. Landrat Warnecke fasste eine häufige Wahrnehmung so zusammen: „Die da wollen uns sagen, wie wir es zu machen haben, geben uns aber gleichzeitig kein Geld.“ Also müssten die ehrenamtlichen Politiker*innen in den Kommunen die Steuern erhöhen. „Das geht so nicht!“
Einen verbreiteten Unmut nimmt auch die Bundesbauministerin wahr. Die Bäuerinnen und Bauern seien nicht nur mit ihren Traktoren nach Berlin gekommen, um gegen teureren Agrardiesel zu protestieren. Sondern auch, weil das Leben in ländlichen Räumen stärker wahrgenommen werden sollte. Klara Geywitz wünscht sich viele Stimmen aus den Landkreisen im politischen Diskurs. Denn Aufmerksamkeit sei ein wichtiger Faktor im Streit um Ressourcen. „Ich glaube, dass wir mehr Krach brauchen aus dem ländlichen Raum“, sagte die SPD-Politikerin.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.