Geywitz zur Wärmeplanung: „Wir sind ein bisschen spät dran”
Florian Gaertner/Photothek und Frank Hilker
Klara Geywitz ist Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Sie plant eine Pflicht zur Wärmeplanung, das Gesetz beschäftigt aktuell den Bundestag. Umsetzen müssen das Kommunen wie die Stadt Detmold. Hier ist Frank Hilker seit November 2020 Bürgermeister. Wie Geywitz gehört auch er der SPD an. Im Gespräch mit der DEMO tauschen beide ihre verschiedenen Sichtweisen aus.
DEMO: Frau Geywitz, Sie wollen alle Gemeinden verpflichten, eine kommunale Wärmeplanung zu erstellen. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Geywitz: Mir ist wichtig, auch als Brandenburgerin, die auf dem Dorf aufgewachsen ist, dass wir für die ländlichen Regionen keine Nachteile haben. Deswegen haben wir gesagt, wir machen eine Wärmeplanung für alle Gemeinden, die großen und die kleineren. Aber – und das ist wichtig – natürlich in einem vereinfachten Verfahren für die kleineren Gemeinden. Auch Kooperationen sollen ermöglicht werden.
Die Stadt Detmold hat schon viel Geld in den Ausbau der Fernwärme investiert. Da erscheint es jetzt sinnvoll, dass die Bürgerinnen frühzeitig wissen, wie ihr Haus künftig beheizt wird. Herr Hilker, finden Sie es richtig, flächendeckend Wärmeplanung einzuführen?
Hilker: Wir sind die einzige Kommune in Ostwestfalen-Lippe, die das Pariser Klimaziel bis 2035 erreichen kann. Das hat unter anderem eine Ursache darin, dass wir uns gemeinsam mit unseren eigenen Stadtwerken schon sehr früh auf den Weg gemacht haben und das Thema mit dem Prozess zur Klimaneutralität und unserer Nachhaltigkeitsstrategie zusammengeführt haben. Wir haben schon im vergangenen Jahr damit angefangen, das Thema Fernwärme-Ausbau für die nächsten Jahre unabhängig von gesetzlichen Regelungen gemeinsam mit unseren Stadtwerken aufzubereiten.
Die Bürgerinnen und Bürger wollen Bescheid wissen und informiert sein über Umstieg oder Ersatz für ihre derzeitige Heizungsanlage. Um in der Wärmeplanung Erfolg zu haben, ist flankierend der Bürgerdialog entscheidend. Wir brauchen ein Miteinander von Stadtwerk, Verwaltung, Bürgern und einen Pakt mit den örtlichen Handwerksbetrieben. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Für uns stellt sich nicht die Frage nach richtig oder falsch, sondern es geht es darum, den Prozess, den wir begonnen haben, weiter zu forcieren – dafür braucht Detmold aber auch die notwendigen Ressourcen.
Gemeinden bis 100.000 Einwohnerinnen haben für die Wärmeplanung bis Mitte 2028 Zeit, die größeren bis Mitte 2026. Frau Geywitz, woher rührt der Zeitdruck?
Geywitz: Wenn man 2045 klimaneutral sein möchte, was ja das erklärte Ziel Deutschlands ist, und man weiß, dass so eine Heizung locker mal 20 Jahre hält, dann muss man aufhören, neue Erdöl- und Erdgasheizungen einzubauen. In den mehr als 19 Millionen Gebäuden in Deutschland nach und nach die Heizung auszutauschen, ist eine Generationenaufgabe. Deswegen ist es notwendig, diesen Einstieg jetzt zu schaffen. Andere Länder in Europa haben schon sehr viel früher angefangen, Wärmepläne aufzustellen. Die sind jetzt, was beispielsweise die Fernwärme betrifft, natürlich deutlich weiter. Einige Bundesländer haben sich bereits auf den Weg gemacht und Wärmepläne eingeführt. Also sind wir nicht zu eilig, sondern eher ein bisschen spät dran.
Herr Hilker, sind die Fristen aus Ihrer Sicht zu schaffen? Der Städtetag plädiert für eine Verlängerung um ein halbes Jahr, jeweils also bis Ende der jeweiligen Jahre.
Hilker: Ich nehme Sie mal mit nach Detmold. Wir haben hier 27 Ortsteile, und es muss in jedem einzelnen Gebiet den unterschiedlichen Gegebenheiten Rechnung getragen werden. Das heißt, es braucht ein differenziertes, aber auch umsetzbares Konzept. Die Aufgabenübertragung für kommunale Wärmeplanung kommt dabei in einer Zeit, in der es für die Kommunen nie dagewesene kumulierte Herausforderungen gibt. Wir haben rückläufige Einnahmen, permanent steigende Ausgaben und Aufgaben. Wenn der Auftrag der kommunalen Wärmeplanung fachlich und dialogorientiert umgesetzt werden soll, benötigen wir zusätzliches Personal – in der Verwaltung genauso wie bei den Stadtwerken. Daran führt kein Weg vorbei. Die Einhaltung der ambitioniert vom Bund gesetzten Fristen sowie Konzeption, Umsetzung und Fortschreibung des Konzeptes stehen und fallen damit, wie die Ressourcen gegenfinanziert werden können. In Nordrhein-Westfalen warten wir zudem noch darauf, dass das Ausführungsgesetz des Landes beschlossen wird. Das wird frühestens im Januar 2024 der Fall sein, es gehen also noch Monate ins Land. Diese Zeit fehlt den Kommunen zur Umsetzung, die als letzte in der Kette den Kopf vor Ort hinhalten müssen.
Frau Geywitz, Herr Hilker hat es angesprochen: Eine Wärmeplanung aufzustellen kostet Geld und bindet Personal. Welche Unterstützung wird der Bund dabei leisten?
Geywitz: Es stimmt, was Herr Hilker sagt: Es ist eine neue Pflicht. In der Vergangenheit mussten sich die Kommunen nicht flächendeckend einen Kopf machen, wie geheizt wird. Es gab zwar schon Kommunen mit einem Fernwärmenetz und Stadtwerke, die bei der Wärmeversorgung aktiv waren, aber das ist bislang nicht überall Standard.
Wenn wir in Zukunft anders heizen, also ohne Gas und Öl, ändern sich die Voraussetzungen. Wenn eine Stadt Bebauungsgebiete ausweist, muss sie Kenntnis haben vom Zustand der Leitungskapazitäten für Strom und Wärme. Das ist nötig, um zu wissen, ob man das Bauprojekt sofort angehen kann, oder ob man zum Beispiel erst die Stromleitung ertüchtigt. Für das alles braucht man in der Tat Personal und Geld. Der Bund unterstützt diesen Prozess und hat für die Wärmeplanung eine halbe Milliarde Euro reserviert. Mein Wunsch ist, dass wir die Mittel den Kommunen möglichst unbürokratisch zur Verfügung stellen. Da sind wir gerade in der Vorbereitung, wie das umgesetzt werden kann.
Für welchen Zeitraum steht die halbe Milliarde zur Verfügung?
Geywitz: Auch hier sind wir noch in der Vorbereitung. Das Geld soll über mehrere Jahre verteilt werden. Wir werden regional einen unterschiedlichen Hochlauf sehen. Wir haben Vorreiterkommunen, die haben jetzt schon eine Wärmeplanung. Manche sind kurz davor, sie abzuschließen, und andere fangen erst an.
Wenn alle Kommunen gleichzeitig Beratung benötigen, kann das funktionieren, wenn gleichzeitig Fachkräftemangel droht?
Geywitz: Das ist in allen technischen Bereichen und insgesamt im öffentlichen Dienst eine große Herausforderung. Viele Fachkräfte im öffentlichen Dienst werden in den nächsten Jahren in Pension oder Rente gehen. Deswegen haben wir im Gesetz die Möglichkeit vorgesehen, dass kleinere Kommunen ein deutlich einfacheres Planverfahren anwenden können. Eine Gemeinde kann zum Beispiel eine Übersichtsanalyse machen und festlegen, dass sich keine zentrale Versorgung anbietet. Dann wissen alle Bürger, dass in ihrer Gemeinde zukünftig wohl kein Wärmenetz oder keine klimafreundlichen Gasnetze zur Verfügung stehen werden, sie können stattdessen andere technische Optionen des Gebäudeenergiegesetzes ausloten.
Ich kann mir zudem vorstellen, dass im ländlichen Raum verstärkt Biomasse genutzt wird, um lokale Nahwärmenetze zu betreiben. In Hessen gibt es gute Beispiele von Bioenergie-Dörfern. Deswegen ist es wichtig, dass auch der ländliche Raum sich mit dem Thema grüne Wärmeerzeugung vertraut macht, weil da Potenzial liegt.
Wie steht es um das Know-how in Detmold? Kann die Stadt die Wärmeplanung aus eigener Kraft beziehungsweise mit den Stadtwerken vor Ort stemmen?
Hilker: Es gibt eine interessante Faustformel, die fast immer zutrifft: Detmold ist 1/1000 von dem, was in Deutschland passiert. Hier hätten wir also 500.000 Euro für die Jahre 2024 bis 2028, also 100.000 Euro pro Jahr. Wir müssen eine fachliche Wärmeplanung gestalten, aber auch den Bürgerdialog in 27 Ortsteilen. Wenn ich die Arbeitgeber- und Arbeitsplatzkosten mal mit einrechne – und das gehört zur Wahrheit ja auch mit dazu – dann reicht das gerade mal für eine Vollzeitkraft. Und das ist aus meiner Sicht nicht ausreichend, um diesen Zeitplan zu erreichen.
350 Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen haben an Ministerpräsident Hendrik Wüst geschrieben und vor einem finanziellen Kollaps der Kommunen gewarnt. Wir fordern, dass der, der zulasten dritter Maßnahmen beschließt, diese auch finanzieren muss. Das passiert an vielen Stellen nicht. Und ich bin sicher, wir alle wollen nicht, dass es in den Kommunen neben den aktuellen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger noch zu Steuererhöhungen kommt. Es kann gleichzeitig jedoch nicht das Ziel sein, dass es zwischen den staatlichen Ebenen Konnexitätsklagen gibt. Das ergibt überhaupt keinen Sinn, vor allem da die Bürgerinnen und Bürger die Politik im Moment schon als extrem zerstritten empfinden. Es ist der Auftrag über alle politischen Ebenen, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, sonst schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik noch mehr – und wir alle wissen, wer davon profitiert.
Das Ziel der Wärmeplanung ist es, einen Beitrag zu leisten zur Erreichung des Klimaziels 2045. Die Wärmewende polarisiert, Stichwort Heizungsgesetz. Muss die Bundesregierung hier noch nachsteuern, um die Menschen bei der Wärmewende besser mitzunehmen?
Geywitz: Eine gewisse Verunsicherung gibt es immer bei solch großen technischen Umwälzungen. Die Art und Weise der Gesetzgebung und der Debatte – auch in der Ampel – hat das leider noch einmal verstärkt. Im Ergebnis ist es wichtig, dass wir die Wärmewende auch in Deutschland angehen. Aber wir stehen vor gewaltigen Aufgaben: Ausbau Wasserstoffinfrastruktur, Ausbau erneuerbarer Energien, Ausbau der Leitungssysteme Strom und Wärme, Ausbau des ÖPNV – allein die Aufzählung zeigt ja, vor welch gigantischen Umwälzungen wir stehen. Das alles kommt dann praktisch auf der kommunalen Ebene zusammen. Und das in einer Situation mit absehbarem Fachkräftemangel. Das ist für alle Ebenen des politischen Systems sehr herausfordernd. Und da ist es unerlässlich, dass wir gut und verlässlich kommunizieren.
In vier Bundesländern gibt es bereits ein Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung. NRW, wo auch Detmold liegt, fällt nicht darunter. Wie ordnen Sie das ein?
Geywitz: Wir haben versucht, einen Rahmen zu setzen, der den Standard definiert für Wärmeplanung und gleichzeitig den Bundesländern ermöglicht, auf die eigene Struktur Rücksicht zu nehmen. Wir haben zum Beispiel eine Differenzierung zwischen Orten mit 100.000 Einwohnern und den darunter. Es ist eine Stärke des Föderalismus, dass wir es durch ihn schaffen, vor Ort die besten Lösungen zu finden. Jede Region in Deutschland ist anders. Berlin als Stadtstaat macht eine zentrale Wärmeplanung für fast vier Millionen Menschen. Die Kommunen in Brandenburg kommen zusammen auf zweieinhalb Millionen Einwohner und müssen das Thema Wärmeplanungen ganz anders angehen.
Hilker: Was die unterschiedliche kommunale Größe angeht, ist es natürlich richtig, dass wir da differenzieren müssen. Darüber hinaus wäre es aus meiner Sicht klug und richtig, wenn die Länder sich weitestgehend am einheitlichen gesetzlichen Rahmen orientieren und nicht komplett eigene Regelungen schaffen, die wie gesagt neben zusätzlicher Bürokratie auch weitere Verunsicherung bei den Menschen bewirken. Eine Stadt wie Detmold sollte grundlegend gleiche Rahmenbedingungen haben wie eine 76.000-Einwohner-Stadt in Baden-Württemberg oder Bayern. Wir reden häufig über gleichwertige Lebensbedingungen, sind davon in der Lebenswirklichkeit jedoch weit entfernt.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.