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Hilfe für Novovolynsk: „Gezielt Sachspenden gesammelt“

Bis vor kurzem kannte Tobias Bergmann (SPD), Oberbürgermeister von Neumünster, den Namen der ukrainischen Stadt Novovolynsk nicht. Nun organisiert die Stadt Hilfstransporte.
von Susanne Dohrn · 11. März 2022
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DEMO: Sie haben einen Hilfstransport Novovolynsk in der Ukraine organisiert. Wie kam es dazu?

Tobias Bergmann: Als der Krieg ausbrach, war ich genauso fassungslos, ratlos und verzweifelt wie die meisten von uns. Also habe ich eine Mitarbeiterin mit ukrainischen Wurzeln eingeladen – sie hat mittlerweile einen deutschen Pass – sich mit mir zu unterhalten. Sie kommt aus Novovolynsk. Bis dahin kannte ich die Stadt nicht. Sie liegt im Westen der Ukraine in der Nähe der Grenze zu Polen.

Wie haben Sie die Kontakte in die Stadt hergestellt?

Den ersten Kontakt hat die Mitarbeiterin über eine Freundin in der Ukraine organsiert, die sie aus dem Kindergarten kennt. Inzwischen bin ich in engem Kontakt mit dem Bürgermeister Borys Karpus und einem Ratsherrn, Bogdan Badzyn. Wir als Stadt versuchen, die Hilfe zu strukturieren, damit das großartige ehrenamtliche Engagement dort ankommt, wo es gebraucht wird. Ich habe bei uns sofort eine Task Force eingerichtet, an der unter anderem der Katastrophenschutz und der Förderverein des Stadtfeuerwehrverbandes beteiligt sind.

Woher wussten Sie, was in der Ukraine gebraucht wird?

Wir haben eine Liste bekommen, sodass wir gezielt Sachspenden sammeln konnten: vor allem Power Banks, Konserven, Babynahrung, auch warme Wintersachen. Den ersten Transport haben wir bis nach Novovolynsk gebracht. Inzwischen haben die Ukrainer auf der polnischen Seite Lagerkapazitäten angemietet, sodass wir nur noch bis zur polnischen Grenze fahren müssen.

Brauchen Sie noch mehr Spenden?

Nein, unsere Lager sind voll. Ein letzter Transport geht noch raus. Dann konzentrieren wir uns auf Geldspenden und auf die Flüchtlinge.

Mit wie vielen Flüchtlingen rechnen Sie in Neumünster?

In Neumünster befindet sich die Erstaufnahme für Schleswig-Holstein. Wir müssten deshalb keine Flüchtlinge aufnehmen. Ich habe aber der Landesregierung signalisiert, dass wir natürlich dazu bereit sind. Schleswig-Holstein rechnet mit 13 000 Flüchtlingen, für Neumünster würde das 400 Personen bedeuten. Die können wir nicht alle in Wohnungen unterbringen. Deshalb bereiten wir erstmal Unterkünfte vor, schauen aber gleichzeitig, wo wir Wohnungen anmieten können. Gerade habe ich ein Angebot von einer Frau bekommen, deren Mutter ins Seniorenheim gezogen ist. Deren Haus steht leer. Das könnten wir beispielsweise für eine Familie anmieten.

Die Kinder sollen in die Schule und in die Kita gehen. Klappt das?

Wir müssen mit dem Land reden, ob wir den Betreuungsschlüssel für die Kitas für eine Zeitlang hochsetzen können. Außerdem müssen wir schnell schauen, welche Kompetenzen die Menschen mitbringen, die zu uns kommen. Ich will von jeder Kindergärtnerin, jeder Krankenschwester, jeder IT-Spezialistin wissen, denn die brauchen wir hier dringend. Wir haben in Neumünster ein Lebensmittelinstitut, das KIN. Der Leiter hat mir eine Liste von Universitäten geschickt und gesagt: Wenn eine Absolventin dabei ist, nehme ich die sofort. Das sind Top-Wissenschaftler.

Das alles klingt nach breitem Konsens. Gibt es auch Probleme?

Wir haben in Neumünster viele russische Spätaussiedler. Wir müssen mit ihnen in den Dialog gehen und bleiben, auch wenn manche einen anderen Blick auf den Konflikt haben. Wir dürfen uns als Stadtgesellschaft nicht spalten lassen. 

Autor*in
Porträtfoto Susanne Dohrn
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und SPD-Ratsfrau in Tornesch

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