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Integration neu gedacht

Immer mehr Kommunen verfolgen eine Integrationspolitik, die sich an den Bedürfnissen aller orientiert, nicht nur an den Zuwanderern. In einer Studie hat das Berlin-Institut die Integrationskonzepte von Landkreisen und Städten ausgewertet.
von Karin Billanitsch · 4. Oktober 2023
Immer mehr Verantwortliche denken Integration neu und geben das Ziel aus: Alle sollen teilhaben. Eine Studie des Berlin-Instituts beschreibt, wie Landkreise und kreisfreie Städte die teilhabeorientierte Integrationspolitik in der Praxis umsetzen.

Die Herkunft oder der Pass rücken als Kategorien immer mehr in den Hintergrund, wenn Angebote für Integration allen offen stehen: Mit Hilfe einer teilhabeorientierten Integrationspolitik kann die Teilhabe aller Einwohner*innen verbessert werden. Das ist ein Ergebnis einer neuen Publikation des Berlin-Instituts und der Mercator-Stiftung. Dort wird beschrieben, wie Landkreise und kreisfreie Städte „Integration neu denken“ können. „Teilhabeorientierte Integrationspolitik soll die Chancen aller Menschen in den Lebensbereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit und Wohnen ermöglichen“ sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts.

Studie nimmt Integrationskonzepte unter die Lupe

Wie die kommunale Integrationsarbeit ausgerichtet ist, spiegelt sich gut in den Integrationskonzepten. Im Jahr 2021 gab es 221 Städte und Kreise, wo Integrationskonzepte vorlagen, 149 davon liegt bereits ein teilhabeorientiertes Verständnis zugrunde. Nach der Zuwanderung im Jahr 2015 hätten viele Landkreise und kreisfreie Städte ihre Integrationsarbeit aktualisiert und neue Ansätze verfolgt, heißt es in der Studie. Auch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Städte dazu gebracht, neue Konzepte zu erarbeiten.

In vielen Regionen beeinträchtigt der demografische Wandel die Teilhabechancen der Menschen ­– Zuwanderung und ein konstruktiver Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt können dabei helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Das erfordert ein Umdenken, denn gerade strukturschwache Regionen sind bei Zuwandernden bislang wenig beliebt, stellt das Berlin-Institut fest.

Um an die Praxis anzuknüpfen, hat das Berlin-Institut sechs Landkreise und kreisfreie Städte mit teilhabeorientierten Konzepten über anderthalb Jahre bei ihrer Integrationsarbeit begleitet: Neumünster in Schleswig-Holstein, Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt, das Altenburger Land in Thüringen, den Rhein-Neckar-Kreis in Baden-Württemberg, den Wetteraukreis in Hessen sowie den Kreis Lippe in Nordrhein-Westfalen. „Uns haben alle Menschen interessiert, die in diesem Bereich arbeiten, Verwaltungsmitarbeiter, Stabsstellen, Leute aus Gesundheits- und Ordnungsämtern, aus migrantischen Selbstorganisationen und Kommunalpolitiker, berichtet Mitautor Adrian Carrasco Heimermann. Dabei stellt er fest: „Eine moderierende Instanz ist unerlässlich“, um die vielen verschiedenen Interessen zu steuern.

Schlüsselposition Integrationsbeauftragte

Das sind oft die Integrationsbeauftragten. Wichtig ist für sie ist aber auch, dass die Lokalpolitik, also Kreistage und Stadträte, und die Verwaltungsspitzen mitziehen, damit alle Maßnahmen rund um Teilhabe, Diversität und Antidiskriminierung auch verbindlich umgesetzt werden.

Zwar haben sich viele Kreise und Städte auf dem Papier Ziele gesetzt, aber „die für Integration verantwortlichen Personen müssen kontinuierlich dafür kämpfen, dass diese Konzepte tatsächlich umgesetzt werden“, sagt Catherina Hinz und fordert: „Landrät*innen und Oberbürgermeister*innen sollten ebenso wie die Mitglieder der Kreistage und Stadträte Zuwanderung als Chance begreifen und teilhabeorientierte Integrationspolitik als Instrument verstehen, das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft zu gestalten.

In der Praxis bewährt haben sich verschiedene Austauschplattformen oder Gremien, in denen sich die Verantwortlichen der Integrations- und Teilhabearbeit austauschen, beraten und zusammenarbeiten. Die „Vielfaltsgestalter“ haben sich in Dessau Roßlau zusammengeschlossen zu einem Netz von Akteuren aus Zivilgesellschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur. Es gibt zum Beispiel einen Ehrenamtskoordinator im Rhein-Neckar-Kreis, oder einen Austausch auf Leitungsebene mit Spitzen anderer Ämter in Neumünster und im Rhein-Neckar-Kreis. Auch Beiräte, wie der Beirat Migration und Integration im Altenburger Land bieten eine regelmäßige Plattform zum Austausch.

Praxisbeispiel Dessau-Roßlau

Dessau-Roßlau hat seit 2018 ein Integrationskonzept. Christian Altmann, Koordinator im Integrationsbüro in Dessau Roßlau, berichtet: „Wenn ich auf sieben Jahre Erfahrung zurückblicke, komme ich mir vor wie ein Zirkusartist, der Bälle jongliert. Diese Bälle sollte man immer im Blick haben. Bei Integration, wenn es um Teilhabe geht, ist es wichtig, dass man inklusiv denkt, breit denkt, und nicht nur defizitär.

Er nennt zwei wichtige Phasen bei der Umsetzung des Konzepts: die Übersetzung, das heißt, es mussten „Mehrwerte kommuniziert“ werden, etwa gesellschaftlicher Zusammenhalt. Nach drei Jahren richtete sich der Fokus nach innen, auf die Verwaltung. „Ich hätte nie gedacht, dass es so viele Möglichkeiten gibt, trotz Ressourcenmangels, immer wieder Lösungen zu finden.“

 

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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