Iris Gleicke: „Gastfreundschaft und Fremdenhass schließen sich aus“
DEMO: Frau Gleicke, der Tourismus in Deutschland boomt. Doch die Zahlen zeigen, dass ländliche Regionen hinterher hinken. Welche neuen Möglichkeiten können gerade ländliche Räume dem Tourismus bieten?
Iris Gleicke: Es ist das Jahr der Rekorde für den deutschen Tourismus: 447 Millionen Übernachtungen insgesamt. Und wir haben zum ersten Mal die 80 Millionen Schwelle bei Übernachtungen ausländischer Gäste geknackt. Was für ein Erfolg! Bislang boomt hauptsächlich der Städtetourismus, damit haben Sie natürlich Recht. Aber genau deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir mit diesen ganzen Rekorden das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht haben. Wir können noch mehr Gäste gewinnen. Nämlich alle die, die nicht nach städtischem Trubel und dem ultimativen Shopping-Erlebnis suchen, sondern nach etwas anderem. Leider ist immer noch viel zu wenig bekannt, dass auch unsere ländlichen Regionen mit ihren wunderschönen Landschaften und faszinierenden Kulturräumen unheimlich viel zu bieten haben. Das ist eben nicht nur etwas für Wanderer, Radfahrer und Badegäste, sondern auch für Feinschmecker und Hobbyhistoriker und alle anderen, die neben Entspannung und Erholung auch nach neuen Erfahrungen suchen und spannende Entdeckungen machen möchten, etwa beim Wandeln auf Luthers oder Bugenhagens Pfaden. Wenn wir Naturräume erhalten und auch unser kulturelles Erbe liebevoll pflegen und bewahren, tun wir damit nicht nur etwas für unsere Seele, sondern auch für die touristische Attraktivität unseres Landes: Wir verbessern damit die Chancen für eine erfolgreiche Vermarktung ganzer Regionen, gerade auch im Ausland. Moralisch verantwortungsvolles Handeln und wirtschaftliches Denken gehen da in einer Weise Hand in Hand, die mir richtig gut gefällt.
Ein aktuelles Thema ist nachhaltiger Tourismus. Das ist auch einer der Schwerpunkte der Tourismuspolitik der Regierung. Bieten sich hier insbesondere für die dünn besiedelten Gebiete in Ostdeutschland Chancen, um die Regionen wirtschaftlich zu beleben?
Tourismus ist gerade für strukturschwache Regionen eine echte Chance. Und Nachhaltigkeit gehört zum Markenkern des „Reiselands Deutschland“. Mit unseren 16 Nationalparks, 15 Biosphärenreservaten und 104 Naturparks haben wir etwas vorzuweisen. Wer hier auf eine gute Infrastruktur und auf Gastfreundschaft setzt, ist gut gerüstet und verbessert seine Chancen bei den Touristen der Zukunft. Der Bund hat da in der Vergangenheit geholfen und wird das auch in Zukunft tun, das will ich jedenfalls schwer hoffen: Schließlich haben wir seit 1991 mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ein Investitionsvolumen von rund 13,2 Mrd. Euro in gut 10.000 Projekten angestoßen. Gerade Ostdeutschland braucht sich beim nachhaltigen Tourismus nicht zu verstecken. Ich denke nur an das Grüne Band in meinem Heimatland Thüringen.
Gefährlich für die eigentlich wirklich gute touristische Entwicklung sind Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Gastfreundschaft und Fremdenhass schließen einander schlicht und ergreifend aus. Die Touristen aus der ganzen Welt werden nur dann zu uns kommen, wenn sie wissen, dass sie in Deutschland zu Gast bei Freunden sind. Wenn sie dann im Fernsehen brennende Flüchtlingsheime sehen, bleiben sie weg und fahren lieber woanders hin. Ich sage das auch deshalb immer so klipp und klar, weil man bei manchen Leuten mit moralischen Appellen offenbar nicht weiterkommt. Rechtsextremisten und Ausländerhasser versauen nicht nur unseren guten Ruf. Die sägen auch an dem Ast, auf dem wir alle sitzen.
Wie können gute Ideen in der Fläche verbreitet werden, wie können sich Regionen von erfolgreichen Beispielen lernen, wie lassen sich ungenutzte Potenziale heben?
Gute Ideen sprechen sich rum. Regionen, die ihre Stärken gut vermarkten, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Wir führen derzeit ein Projekt zum Kulturtourismus im ländlichen Raum durch: „Die Destination als Bühne: Wie macht Kulturtourismus ländliche Regionen erfolgreich?“ Drei der fünf Modellregionen liegen in Ostdeutschland. Mit diesem Projekt werden Konzepte entwickelt, die zur bundesweiten Nachahmung anregen. Die Vernetzung der Touristiker mit den Kulturschaffenden spielt dabei eine große Rolle. Es hilft ja nichts, wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, das ganze Menü muss stimmen. Wir haben deshalb die Online-Dialogplattform www.culturcamp.de eingerichtet, auf der sich die Tourismusbranche über Know-how und Erfahrungen austauschen kann. Mit dem Kirchturmdenken muss Schluss sein. Dann kann auch das nächste Jahr ein Rekordjahr werden.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.