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„Kino bedeutet mehr, als nur einen Film zu schauen”

Heute startet die Berlinale. Johannes Litschel vom Bundesverband kommunale Filmarbeit erklärt, warum das Film-Festival für die Branche so wichtig ist, was kommunale Kinos anders machen und welches große Thema sie gerade umtreibt.
von Carl-Friedrich Höck · 16. Februar 2023
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Johannes Litschel ist Co-Geschäftsführer des Bundesverbandes kommunale Filmarbeit e.V.

DEMO: Die Berlinale startet. Welche Bedeutung hat das Festival für die deutsche Kinolandschaft?

Johannes Litschel: Zum einen ist es eine Plattform für Filme. Die Berlinale ist wie ein großes Schaufenster. Dort können Kinomachende und Kinobetreiber zehn Tage lang Filme entdecken und sich darüber austauschen. Das dient der eigenen Bildung. Man lernt viel dazu und kann auch Filme mitnehmen, die man im Lauf des Jahres im eigenen Kino auswerten kann.

Das andere, was oft übersehen wird: Im Hintergrund des Festivals läuft extrem viel Netzwerkarbeit. Es gibt Empfänge, Veranstaltungen, Panels und Austauschmöglichkeiten. Das gesamte Who´s who der deutschen, vermutlich sogar internationalen Filmbranche ist in diesen zehn Tagen in Berlin.

Wegen der Corona-Pandemie waren Kinovorführungen lange Zeit nur mit Einschränkungen möglich. Wie sind die Kinos durch die Krise gekommen?

So wie die gesamte Kulturbranche: Nicht gut. Es gab Einschnitte und nachhaltige Auswirkungen. Allerdings haben Bund und Länder relativ schnell Fördermittel zur Verfügung gestellt, die auch weitgehend gegriffen haben.

Was die Situation für die Kinos zusätzlich erschwert hat, ist das Streaming. Viele Filmliebhaber*innen haben sich in der Pandemie zuhause eingerichtet, mit Streamingdiensten, Beamern und Leinwänden. Jetzt müssen wir schauen, wie wir die Menschen zurück in die Kinosäle holen und ihnen zeigen, dass Kino mehr bedeutet als nur einen Film zu schauen. Es ist auch eine Form der Vergesellschaftung, des gemeinsamen Erlebens und der Bildung.

Welche besondere Rolle spielen dabei kommunale Kinos?

In unserem Bundesverband kommunale Filmarbeit sind nichtgewerbliche öffentliche Kinos, gemeinnützige Filminitiativen und Filmclubs versammelt – also alle, die nichtkommerziell arbeiten. Darunter fallen öffentlich geförderte städtische Betriebe, die zum Beispiel dem Kulturamt unterstellt sind, eingetragene Vereine und kleine ehrenamtliche Initiativen.

Uns eint, dass wir Kino nicht hauptsächlich als Freizeitvertreib verstehen. Natürlich soll und darf Kino Freude machen und unterhalten. Uns geht es aber immer auch um die Kunstform Film. Damit wollen wir uns kulturell auseinandersetzen. Wir verstehen Kino als kulturelle Praktik. Es geht darum, etwas zu lernen über die Geschichte, über gesellschaftliche Diskurse und letztlich auch über uns selbst. Dazu gehört, nach dem Film mit anderen ins Gespräch zu kommen. Das wollen wir anstoßen.

Sie organisieren also Diskussionsveranstaltungen?

Genau. Das ist ein Markenkern kommunaler Kinos. Bei uns soll man nicht nur einen Film gucken und heimgehen, sondern sich über das Gesehene austauschen. Also laden wir oft Regisseur*innen, Kameraleute und andere Gesprächspartner*innen ein.

Sind Streamingdienste nur eine Konkurrenz zu den Kinos oder auch eine Chance?

Grundsätzlich ist uns durch das Wachstum der Streamingdienste ein neues Konkurrenzangebot entstanden. Das fügt sich in den Trend, dass die Leute generell mehr zuhause bleiben und vieles über das Internet machen können. Man kann aus der Not aber auch eine Tugend machen. Wir haben im Jahr 2021 gemeinsam mit einem dem Hauptverband Cinephilie das Netzwerk Cinemalovers gegründet. Dort können Kinos Programme kuratieren, also Filme vorauswählen und sie online einstellen. Wenn ein Mensch sich den Film ansieht, bekommt das Kino die Gebühr für den Film. So kann man, wenn man möchte, ein kleines Kino vor der Haustür unterstützen.

Kommunen sorgen sich um ihre Stadtzentren. Wie können Kinos dazu beitragen, die Innenstädte lebendig zu halten – und wie können Kommunen die Kinos unterstützen?

Gerade die kommunalen Kinos tragen viel zu lebendigen Innenstädten bei, weil sie Filmvorführungen und Diskussionen organisieren und oft auch eine Kneipe, ein Café oder angenehmes Foyer bereithalten. Damit erreichen sie die gesamte Altersbandbreite von Kindern über junge Erwachsene bis hin zu einem älteren Publikum.

Kommunale Kinos verstehen sich dezidiert als durchlässige, öffentliche Räume, die einen gesellschaftlichen Auftrag haben. Schließlich werden wir zu einem großen Teil durch öffentliche Mittel finanziert. Wer sich einbringen möchte, wer Vorschläge und Ideen hat und etwas diskutieren möchte, ist bei den kommunalen Kinos jederzeit herzlich willkommen. Unser Motto lautet: Kino für alle und Kino mit allen. Das ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, das kommunale Kinos auch von den sogenannten Programmkinos unterscheidet.

Um das zu leisten, brauchen die Kinos Unterstützung bei der Organisation, Ausstattung und natürlich auch finanziell. Wenn das gegeben ist, sind wir gute und ideenreiche Partner für die Gestaltung der Innenstädte.

Auf der Berlinale werden die heißen Themen diskutiert. Welche Entwicklungen beschäftigen die Film- und Kinobranche aktuell besonders?

Was uns in Deutschland umtreibt – und die kommunalen Kinos ganz besonders – ist die Novelle des Filmförderungsgesetzes (FFG). Das Gesetz regelt die gesamte Filmförderung in Deutschland, also von der Produktion von Filmen bis zur Förderung der Abspielhäuser, den Kinos. Alle paar Jahre wird das Gesetz novelliert – wegen der Pandemie wurde das mehrfach aufgeschoben, jetzt will Kulturstaatsministerin Claudia Roth das Thema aber angehen.

Wir kommunalen Kinos wünschen uns, dass wenn – wie von der Claudia Roth vorgeschlagen – eine neue „Bundesfilmagentur” gegründet wird, dann auch die Kinos an der Basis direkter und unkomplizierter gefördert werden. Kinos sind die zentralen Orte für das Filmerleben und nur mit einer gut ausgestatteten, starken und diversen Kinolandschaft können wir den Kinofilm als Medium und das Kino als kulturelle Praktik aus der Krise holen.

Mehr zum Selbstverständnis kommunaler Kinos:
kommunale-kinos.de

Anmerkung: Die Antwort auf die letzte Frage haben wir am 17.02.2023 auf Wunsch des Interviewpartners aktualisiert. Der Grund ist, dass Kulturstaatsministerin Claudia Roth parallel zur Veröffentlichung dieses Interviews neue Informationen zur Novelle des Filmfördergesetzes bekanntgegeben hat.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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